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Kritik - "Im weissen Rössl" am Theater Regensburg Mehr Berlin als Bad Ischl

Am Samstag feierte eine Neuproduktion des Operettenklassikers "Im weißen Rössl" von Ralph Benatzky in Regensburg Premiere. Regisseur Thomas Enziger präsentierte eine schwungvolle Interpretation mit aktuellen Bezügen und Gesangseinlage des Publikums.

"Im weißen Rössl" - Neuproduktion am Theater Regensburg mit Matthias Wölbitsch und Vera Semieniuk | Bildquelle: Juliane Zitzlsperger

Bildquelle: Juliane Zitzlsperger

Frech, temporeich und schräg

Wer hat schon das Glück, das Leben immer nur von der besten Seite kennen zu lernen? Manchmal muss eben die zweitbeste reichen, und oft sogar die dritt- oder viertbeste. Darüber hinweg zu kommen, ist bekanntlich weder leicht, noch vergnüglich - wer verabschiedet sich schon gern von seinen Illusionen? Insofern ist das "Weiße Rössl" nicht nur ein sehr unterhaltsames, sondern auch ein tröstliches Singspiel, ja eine wahre Therapiesitzung, denn dort lernt die berühmte Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber in zweieinhalb Stunden nicht nur, mit mürrischen Berlinern, eiligen Amerikanern und geizigen Professoren klar zu kommen, sondern auch den Mann ihrer zweiten Wahl zu lieben - denn der Mann ihrer Träume, der ist schon anderweitig vergeben. Da braucht es aber schon den österreichischen Kaiser, um diese schmerzhafte Entscheidung auf den Weg zu bringen und am Ende drei glückliche Paare vor den Traualtar zu schicken.
Regisseur Thomas Enzinger begeisterte mit seiner schwungvollen Interpretation "Weißen Rössl" gestern Abend das Regensburger Publikum, weil er das Singspiel nicht brav, bieder und altbacken, also im Stil der fünfziger Jahre präsentierte, sondern frech, temporeich und schräg, ganz und gar zeitgemäß, ja streckenweise tagesaktuell. So gab es Szenenapplaus für eine launige Anspielung auf Franz Beckenbauers merkwürdiges Geständnis, er habe immer alle Papiere blind unterschrieben. Und dass der Zahlkellner Leopold mit dem Regensburger Publikum tatsächlich die Österreich-Hymne einstudierte, sorgte im Saal für beste Laune.

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Ein "Rössl" für alle Generationen

Ein Zuschauer erinnerte sich wehmütig, dass er 1962 seine erste Rössl-Schallplatte gekauft hatte, wesentlich jüngere Fans erschienen in Dirndl und Lederhose und meinten das genauso ironisch wie der Regisseur. Kurz und gut: Alle Generationen kamen auf ihre Kosten, was bei einem Stück mit dem altmodischen Untertitel "Singspiel" selten genug der Fall ist.
Ausstatter Toto hatte eine pyramidenförmige, alpenländische Showtreppe auf die Bühne gezaubert, Sinnbild der Berge im Salzkammergut, aber auch der verschiedenen Etagen des "Weißen Rössl". Das Balkonzimmer ganz oben war unter den Gästen natürlich einmal mehr umkämpft. Kühe und weiße Lipizzaner-Pferde in Laubsägearbeit versperrten hier und da den Blick auf den überraschend seichten Wolfgangsee, und der Hahn krähte allmorgendlich so genervt, als ob er schon sehr lange kein Trinkgeld mehr bekommen hätte. Die Aussicht auf der Alm ist überteuert, das Paprikahuhn von gestern, die Mücken sind aggressiv, die Telegramme ärgerlich und das Wetter wechselhaft, alles ist somit perfekt eingerichtet für einen garantiert unvergesslichen Urlaub.

Die Sänger

Der österreichische Bariton Matthias Wölbitsch gab in diesem herrlich absurden Touristik-Fegefeuer einen überraschend charmanten und vor allem höchst unterhaltsamen Zahlkellner Leopold - ein großartiges Rollenporträt. Wahrscheinlich lässt es sich in der Gastronomie überhaupt nur so überleben: Mit dieser speziell in Salzburg unnachahmlich gepflegten Mischung aus Gelassenheit, Unterwürfigkeit und Herrschsucht. Vera Semieniuk als Rössl-Wirtin war eine anrührend verunsicherte Führungskraft, der man ihre Liebesnöte jederzeit abnahm. Auch mit den besten Umsätzen lässt sich eben kein Herz gewinnen. Doris Dubiel als allzeit übellauniger Berliner Trikotagen-Hersteller Giesecke sorgte völlig verdient für die meisten Lacher, wohl auch deshalb, weil der Großstädter in der Steilwand immer wie ein Witz aussieht.

Mehr Berlin als Bad Ischl

Auf der für eine Revue verhältnismäßig kleinen Bühne des Regensburger Theaters hatten nur sechs Tänzer Platz, die Choreograph Harald Kratochwil leider nicht besonders fantasievoll in Szene setzte. Etwas mehr Ironie wäre da durchaus angebracht gewesen, vor allem, weil alle übrigen Mitwirkenden so herzerfrischend bei der Sache waren. Dieses "Rössl" ist jedenfalls ein riesengroßer Spaß und hat das Zeug zum Spielzeit-Hit, auch weil sich Dirigent Tom Woods mit viel augenzwinkerndem Elan und Lust an jazzigen Akzenten in seine Aufgabe stürzte. So klang das "Rössl" mehr nach Berlin als nach Bad Ischl.

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