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Die Sopranistin Chen Reiss "Von geistlicher Musik bekomme ich Gänsehaut"

Am 16. Dezember tritt die israelische Sopranistin Chen Reiss bei der Audi-Weihnachtsgala in Ingolstadt auf. Im Interview spricht sie darüber, was Weihnachten für sie bedeutet, wie es sich anfühlte, in Rom vor dem Papst zu singen, und über ihren Mentor, den Dirigenten Zubin Mehta.

 Sopranistin Chen Reiss | Bildquelle: © Paul Marc Mitchell

Bildquelle: © Paul Marc Mitchell

Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Adventszeit - das ist natürlich auch die Zeit der Weihnachtsgalas. Das sind in erster Linie Konzerte, die eine besondere festliche Stimmung hervorrufen sollen. Sind das besondere Auftritte für Sie?

Chen Reiss: Ja, auf jeden Fall! Ich mag die Weihnachtsstimmung sehr. Jedes Jahr warte ich auf diese Zeit. Ich liebe es! Ich bin damit nicht aufgewachsen. Ich bin in Israel aufgewachsen, dort feiern wir nicht Weihnachten, sondern Chanukka, und dieses Jahr fallen beide Feste genau auf denselben Tag. Aber ich wohne seit langer Zeit in Europa, und ich kann mich sehr gut erinnern, dass ich diese Zeit schon als Studentin sehr geliebt habe. Dieses Jahr bin ich besonders glücklich über zwei Gelegenheiten, Weihnachtslieder zu singen - zwei Konzerte mit zwei völlig unterschiedlichen Programmen. Und wenn man diese Arien und Weihnachtslieder in einer Kirche singt, nehmen sie eine ganz besondere Bedeutung an. Im November habe ich in Rom in der Basilika San Paulo das Stabat Mater von Boccherini mit den Wiener Philharmonikern gesungen. Dieses Stück habe ich auch schon mehrere Male in Konzertsälen aufgeführt, aber in einer Basilika in Rom, vor allen Kardinälen und 4.000 Menschen, bekommt es eine besondere Bedeutung, eine besondere Heiligkeit.

Mozart vor dem Papst

BR-KLASSIK: Wo Sie gerade Rom ansprechen: Vor zwei Jahren wirkten Sie in der Weihnachtszeit an der päpstlichen Weihnachtsmesse mit, im Petersdom, dem weltweiten Wahrzeichen des Katholizismus. Was hat das in Ihnen ausgelöst? War es eine ganz besondere Herausforderung für Sie?

Chen Reiss: Ich würde sagen, das war das Highlight meines Lebens! Papst Franziskus zu treffen, ist etwas sehr Besonderes. Er hat sich das "Et incarnatus est" von Mozart gewünscht, ein Stück, das ich auch schon oft in Konzertsälen gesungen habe. Aber in Rom waren die 8.000 Menschen nicht in den Petersdom gekommen, um ein Konzert zu hören, sondern um die Weihnachtsmesse zu feiern. Und da kniet der Papst und betet, während ich singe - was kann heiliger sein? Ich habe es schon immer ganz besonders geliebt, geistliche Musik zu singen. Immer wenn ich das tue, bin ich sehr berührt und bekomme Gänsehaut. Ich kann nicht sagen, warum. Vielleicht, weil ich damit nicht aufgewachsen bin. Es zeigt aber auch vielleicht, dass Musik eben keine Grenzen kennt. Sie geht von Herz zu Herz. Ganz direkt! Egal, welche Religion, egal, welche Nationalität.

Der Papst kniet und betet, während ich singe - was kann heiliger sein?
Chen Reiss

Mit 18 im Militärorchester

BR-KLASSIK: Nun sind Sie aufgewachsen in einer von den Musen begleiteten Familie, haben aber in Israel trotzdem auch den Militärdienst absolvieren müssen. Wie muss ich mir das vorstellen? Wenn man mit so viel Spiritualität, Kreativität, Ästhetik und Kunst aufwächst - dann ist der Dienst an der Waffe doch eine komplett andere Welt. Wie haben Sie die erfahren und auch überstanden? Was haben Sie da gemacht?

Chen Reiss: In Israel ist das ganz normal, dass alle 18-jährigen Frauen zum Militär gehen. Die ersten drei Wochen waren eine Katastrophe. Aber ich war eben 18 Jahre, alle mussten das machen und irgendwie schafft man das. Das geht. Aber nach drei Wochen bin ich zum Glück im Militärorchester gelandet und da war alles ganz anders. Alle meine Kollegen waren Musiker. Insofern konnte ich dort mit Menschen sprechen, die mich verstehen konnten.

Anfang in München

BR-KLASSIK: Sie haben dann in den USA studiert, und wie immer im Leben braucht es am Ende dieses kleine Quäntchen Glück, was einem bei allem Können, bei aller Disziplin, bei aller Begabung am Ende die Tür zu einer großen Karriere öffnen hilft. Dieses Glück hat einen Namen: Zubin Mehta. Er hat Sie unter seine Fittiche genommen und Sie 2002 an die Bayerische Staatsoper gebracht. Seither geht Ihre Karriere steil nach oben. Was hat Ihnen Mehta mit auf den künstlerischen Weg gegeben?

 Sopranistin Chen Reiss | Bildquelle: © Paul Marc Mitchell Chen Reiss | Bildquelle: © Paul Marc Mitchell Chen Reiss: Wir hatten uns eigentlich schon in Israel getroffen, als ich noch Soldatin war. Ich kann mich sehr gut daran erinnern. Ich sang damals Susannas Arie "Deh, vieni, non tardar". Anschließend hat Maestro Mehta sehr nett mit mir gesprochen und sagte mir: "Sie haben ein sehr großes Talent, sind aber noch sehr jung. Studieren Sie und singen mir dann wieder vor." Einige Jahre später bekam ich tatsächlich einen Anruf von seinem Sekretär in Israel, dass Maestro Mehta eine Barbarina in "Nozze del Figaro" suche. Er sei in New York, ob ich ihm vorsingen wolle? Ich ging zu ihm, habe ihm Barbarinas Arie vorgesungen und er sagte: "Ja, Sie sind engagiert, Sie haben sich sehr gut entwickelt." Drei Wochen später war ich in Deutschland. So hat es angefangen. Mein Engagement in München begann mit Blonde aus der "Entführung aus dem Serail". Was kann besser sein? Ich bin Zubin Mehta wirklich dankbar für diese Zusammenarbeit!

Der Weg ist das Ziel

BR-KLASSIK: Gibt es eine Traumrolle, die Sie unbedingt in Ihrem künstlerischen Leben singen wollen? Haben Sie ein solches Ziel?

Chen Reiss: Eigentlich nicht. Es gibt viele Rollen, die ich noch singen möchte. Zum Beispiel studiere ich die "Sonnambula" von Bellini. Wunderbar! Es gibt auch die Cleopatra in "Giulio Cesare", die ich eines Tages singen möchte, auch die Contessa in Mozarts "Nozze di Figaro". Gerade studiere ich die Konstanze aus der "Entführung aus dem Serail" - ja, es gibt noch viele Rollen. Aber es ist mir heute viel klarer als früher: Es geht nicht ums Ziel, sondern um den Weg.

Die Fragen stellte Ursula Adamski-Störmer für BR-KLASSIK.

Infos zum Konzert

Freitag, 16. Dezember, 20.00 Uhr
Ingolstadt, Audi Forum

Chen Reiss (Sopran)
Michael Nagy (Bariton)
Georgisches Kammerorchester Ingolstadt
Leitung: Evan Christ

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