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Simon Rattle dirigiert Mozarts "Idomeneo" Elsa Dreisig und Sabine Devieilhe beim BRSO

In Mozarts Oper "Idomeneo" sind sie zwei mythologische Prinzessinnen im kretischen Exil – die eine, Elektra, stammt aus Mykene, die andere, Ilia, aus Troja. Aber im wirklichen Leben sind die beiden französischen Sopranistinnen Elsa Dreisig und Sabine Devieilhe Königinnen des Gesangs. Ein Gespräch zu den drei konzertanten Aufführungen, die Chefdirigent Sir Simon Rattle mit Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks kurz vor Weihnachten präsentiert.

Elsa Dreisig | Bildquelle: Simon Fowler

Bildquelle: Simon Fowler

BR-KLASSIK: Frau Dreisig, warum will Elektra den Idamante für sich gewinnen?

Elsa Dreisig: Ich denke schon, dass sie ihn auch liebt. Ihr geht es nicht nur um Macht und Power. Da ist auch ihre Rolle als Frau im Spiel, da geht es um Liebe. Und sie ist echt berührt, wenn sie erkennt, dass Idamante Ilia liebt – und nicht Elektra. Natürlich ist es auch eine Frage von Stolz und Neid – Elektra ist kein gesunder Charakter, wirklich nicht. Aber ich denke, die Beziehung der beiden hätte auch einen völlig anderen Weg nehmen können. Elektra ist nicht nur schlecht, sie hat eigentlich auch eine sanfte Seite, und man hört das deutlich im zweiten Akt.

Elektra ist kein gesunder Charakter, wirklich nicht
Elsa Dreisig

Da geht ihr Charakter in eine andere Richtung, wenn sie denkt: Okay, jetzt wird etwas laufen mit Idamante! Ich gehe mit ihm, er wird mich lieben, und wir wären glücklich zusammen. Und man hört etwas ganz anderes in ihrer Stimme – und die Musik ist auch ganz anders. Ich denke, diese Seite existiert auch. Aber leider gewinnt die nicht.

BR-KLASSIK: Frau Devieilhe, warum gewinnt Ilia Idamantes Herz?

Sabine Devieilhe: Die Wahrhaftigkeit, die in Mozarts Musik für Ilia steckt, macht mich sehr froh. Ich spüre, welch tiefe Gefühle Mozart in diese Partie reingelegt hat. Und möglicherweise hat Ilia das Publikum genau wegen dieser aufrichtigen Gefühle in Mozarts Musik auf ihrer Seite. Es ist eine lyrische Partie, in der die Gefühle und Emotionen der Figur äußerst berührend sind. Und vielleicht ist das auch der Grund, warum sie Idamante schließlich für sich gewinnt (lacht).

Wahre Liebe und Machtgelüste

BR-KLASSIK: Ist das wahre Liebe?

Sabine Devieilhe | Bildquelle: BR Sabine Devieilhe zu Gast im Magazin Klick Klack 2021 | Bildquelle: BR Sabine Devieilhe: Ja! Ilia liebt Idamante aus tiefstem Herzen. Und es ist schön zu beobachten – in Ilias erstem Rezitativ, direkt nach der Ouvertüre, wie sie darüber spricht, dass sie ihn eigentlich nicht lieben sollte. Aber ihre Gefühle sind einfach übermächtig. Und wer, wenn nicht Mozart, könnte diese geheimen Empfindungen besser zum Ausdruck bringen. Es ist wirklich ein Geschenk, eine Rolle wie die der Ilia übernehmen zu dürfen.

BR-KLASSIK: Machtgelüste spielen bei Elektra aber auch eine Rolle?

Elsa Dreisig: Ja schon, man hört das auch in ihrer ersten Arie, wenn sie erfahren hat, Idomeneo sei gestorben, und sie denkt: Oje, jetzt geht alles den Bach runter. Man merkt schon, sie hat auf diese Geschichte mit Idamante Monate oder vielleicht sogar jahrelang hingearbeitet. Das ist nicht nur eine spontane Aktion, da ist natürlich ein Plan dahinter – genau das spürt man, wenn sie diese Arie singt: Jetzt verliere ich meine Macht! Und die ist ihr eben sehr wichtig. Interessant finde ich aber auch, in eine andere Richtung zu denken: Vielleicht hat sie nie jemanden gehabt, der sie liebt.

Ihre Gefühle sind einfach übermächtig
Sabine Devieilhe über die Rolle der Ilia

Vielleicht hatte sie auch eine schwere Kindheit. Ich weiß es nicht, aber man kann sich das schon denken: Sie ist an sich schon allein, mehr noch ohne Idomeneo – und noch mehr ohne Idamante! Und natürlich ist Macht für Elektra wichtig, aber Gefühle eben auch. Sie ist kompliziert, sie kann Gedanken und Gefühle nicht so klar ausdrücken wie Ilia. Und deswegen ist sie in ihrem Charakter auch schwer zu verstehen.

Phantom der Oper – mal anders

BR-KLASSIK: Ich denke, ein absolutes Highlight dieser Oper ist das meisterhafte Quartett im dritten Akt, wo eigentlich alle leiden – jeder und jede auf seine und ihre Art?

Elsa Dreisig: Simon Rattle hat in der Probe gesagt: Wir sind alle Phantome in diesem Quartett, denn wir leiden alle separat, so wie wir sind. Wir singen zusammen, aber niemand redet miteinander. Wir sind alle vollkommen isoliert. Man hört das so gut auch in der Musik – das ist eben so, wenn man Mozart singt. Man denkt immer: Oh ja, wenn ich dieses Gefühl hätte, würde ich genau diese Musik dazu schreiben. Und ich finde auch, es ist eines der schönsten Quartette, das ich je gesungen habe.

Vier Menschen – Ein Herz

Sabine Devieilhe: Es ist wunderschön, wie jeder von uns alleine beginnt. Und dann – weil Mozart Ensemblepartien liebt – kommen wir doch alle zusammen. Wir haben ausführlich darüber gesprochen, wie wir diese Stelle anlegen, wie wir jede noch so kleine Note artikulieren, wie wir die Worte betonen. So starten wir als vier verschiedene Individuen und werden zu einer Gruppe, die mit einem Herz schlägt. Und unmerklich verschmelzen wir am Ende des Quartetts zu einer einzigen Person, was äußerst bewegend ist.

BR-KLASSIK: Sie hatten schon Sir Simon Rattle erwähnt, der diese konzertanten Aufführungen leitet. Haben Sie schon öfters mit ihm zusammengearbeitet?

Sabine Devieilhe: Für mich ist es das erste Mal. Und ich bin sehr glücklich, hier dabei zu sein. Was für ein Mensch! Was für ein Musiker!

Elsa Dreisig | Bildquelle: Simon Fowler Die Sopranistin Elsa Dreisig | Bildquelle: Simon Fowler Elsa Dreisig: Ich habe schon schöne Sachen mit Simon Rattle gemacht. Ich bin unter ihm für die "Schöpfung" eingesprungen in Berlin, habe eine Beethoven-Tour mit ihm gemacht und Rameaus "Hippolyte et Aricie" an der Berliner Staatsoper. Das ist jetzt mein viertes Projekt mit ihm – und ich hoffe, es werden noch viel mehr, denn er ist mein Favorit, wenn es darum geht, mit wem ich zusammenarbeiten will. Auch mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu musizieren, ist ein Traum. Manchmal passen eben alle Konstellationen von Sternen und Planeten zusammen – und ich muss sagen, das ist so ein Moment!

Oper konzertant – passt das?

BR-KLASSIK: Diese Aufführungen sind ja konzertant. Würden Sie sagen: Schade eigentlich – oder sehen Sie auch Vorteile?

Elsa Dreisig: Also ich mag konzertante Oper, ich finde, das hat auch Vorteile, weil man da ganz tief in die Musik eintauchen, sie pur genießen kann, ohne Inszenierung oder ohne zu viel Action – es ist auch für uns ganz angenehm. Konzertant bedeutet jetzt aber nicht, dauernd mit der Nase in der Partitur zu singen. Man muss natürlich trotzdem in einen Dialog mit den anderen Charakteren und auch mit dem Publikum treten. Aber dieses Mal kriegen wir ja auch Übertitel, denn ohne Text und ohne lebendige Rezitative macht Oper wenig Sinn. Gerade an den Rezitativen haben wir mit Sir Simon intensiv gearbeitet. Es muss trotzdem Theater sein – zwar ohne Regie, aber eben gesungenes Theater.

Sabine Devieilhe: Es wäre natürlich schon toll, mit dieser Besetzung in einer "Idomeneo"-Inszenierung auf der Opernbühne zu agieren, einfach, weil wir dann mehr Zeit hätten, um miteinander zu arbeiten. Aber ich bin mir sicher, dass die Theatralik und das Drama in der Musik von Mozart auch so zum Tragen kommen. Das Publikum wird auf keinen Fall enttäuscht werden (lacht).

Live im Radio und auf CD

BR-KLASSIK: Das soll ja auch eine CD-Produktion werden für unser hauseigenes Label BR-KLASSIK – wächst da der Druck ein bisschen?

Sabine Devieilhe: Die Probenphase in dieser Woche ist zwar nicht ausgesprochen stressig, aber doch sehr intensiv. Wir müssen immer präsent und uns immer bewusst sein, dass die Mikrofone eingeschaltet sind. Dafür können wir aber dann auch die drei Aufführungen entspannt genießen, weil ja während der Woche bereits alles mitgeschnitten wurde. Also eigentlich eine Win-Win-Situation (lacht).

Elsa Dreisig: Ich bin bei Aufnahmen sehr ambivalent. Einerseits ist es wunderbar, ein Zeitdokument und eine Erinnerung an diese Aufführungsserie zu haben. Andererseits denke ich: Vielleicht würde ich diese Partie in drei Monaten oder in ein paar Jahren viel besser singen – und jetzt ist die "Elektra" schon im Kasten. Aber ich finde das schon okay, wie Sabine gesagt hat, weil auch die Proben mitgeschnitten wurden – und wir haben drei Konzerte. Das sind schon sehr gute Konditionen. Und ich finde es auch schön, eine Aufnahme davon zu haben.

Fixstern Mozart

BR-KLASSIK: Welche Rolle spielt Mozart überhaupt in Ihrem Repertoire derzeit?

Sabine Devieilhe: Mozart hat mich von Anfang an begleitet. Als lyrischer Sopran habe ich natürlich viel mit den Soubretten-Partien, den Rollen und Arien, die er für Aloisia Weber geschrieben hat, zu tun. Daher ist Mozart seit meiner frühen Jugend ein wichtiger Teil meines persönlichen und beruflichen Lebens.

Elsa Dreisig: Ja, ich würde auch sagen, das ist der Komponist, von dem ich am meisten singe. Und Mozart war auch von Anfang an da, schon mit zwölf Jahren habe ich den ersten Knaben in der "Zauberflöte" gesungen, dann Pamina, Papagena, Contessa, Donna Elvira – und jetzt Elettra. Also ich denke, Mozart ist der wichtigste Komponist für mich.

Apropos Stern: München leuchtet

BR-KLASSIK: Sie haben ja beide auch enge Verbindungen zur Bayerischen Staatsoper ...

Sabine Devieilhe: Ja, 2021 habe ich dort die "Königin der Nacht" gesungen. Und nächstes Jahr werde ich bei den Münchner Opernfestspielen die Mélisande in Debussys "Pelléas et Mélisande" singen. Darauf freue ich mich sehr, obwohl diese Rolle schon eine besondere Herausforderung darstellt. Ich bin aber schon gespannt, die niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen zu treffen; ich kenne sie bisher nur von Produktionen, die ich gesehen habe. Es geht darum, den Text von Maurice Maeterlinck mit Leben zu füllen und die Symbolik in diesem Meisterwerk auf die Bühne zu bringen. Ich bin sehr stolz darauf, hier in München diese Rolle auf Französisch singen zu dürfen.

BR-KLASSIK: Frau Dreisig, Sie sind derzeit sogar Ensemblemitglied an der Bayerischen Staatsoper. Was steht da noch an?

Elsa Dreisig: Ja, genau. Bisher habe ich auch dort Mozart gesungen, die Contessa in "Le Nozze di Figaro" – und ich hoffe, noch viel mehr an der Staatsoper zu singen; im März komme ich wieder für die Lauretta in Puccinis "Il Trittico". Außerdem möchte ich sehr, sehr gern nach München umziehen – und hier auch sehr, sehr viel singen! Das ist mein Wunsch, viel an der Staatsoper, mit dem BRSO und anderen aufzutreten – denn ich finde, es ist es gibt eine Kunstqualität hier im Haus und in der Stadt, die schon was ganz Besonderes ist.

Sendung: Liveübertragung im Radio am 16.12.2023 ab 19:05 Uhr

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