BR-KLASSIK

Inhalt

Pablo Heras-Casado über Beethovens "Neunte" "Mich interessiert die humanistische Botschaft"

Das Jahresende verbringt Pablo Heras-Casado in München. Dort dirigiert er zwei Silversterkonzerte mit den Münchner Philharmonikern. Auf der Programm steht Beethovens "Neunte". Was ihm dieses Werk bedeutet, erklärt der Dirigent im Interview.

Dirigent Pablo Heras Casado beim Concertgebouw Orchester | Bildquelle: Renske Vrolijk

Bildquelle: Renske Vrolijk

BR-KLASSIK: Wann haben Sie das erste Mal Beethovens "Neunte" gehört?

Heras-Casado: Das ist ein Stück, das mich schon so lange begleitet – schon seit meiner Kindheit. Ich kann nicht sagen, wann ich Beethovens "Neunte" zum ersten Mal gehört habe – sie gehört irgendwie schon immer zu meinem Leben dazu. Aber eins kann ich mit Sicherheit sagen: Es war nicht an Silvester. Es gibt ja diese Tradition, die "Neunte" an Silvester zu spielen – vor allem in deutschsprachigen Ländern oder auch in Japan. In Spanien, wo ich herkomme, macht man das nicht, und auch in anderen mediterranen Ländern nicht. Also bin ich mir sicher, dass mein erstes Mal nicht an Silvester war – aber: Diese Symphonie ist einfach auf dem Soundtrack meines Lebens mit drauf.

Beethovens 'Neunte' ist das antipolitischste Werk aller Zeiten!
Pablo Heras-Casado

BR-KLASSIK: Die Tatsachde, dass Beethovens "Neunte" immer wieder an Silvester gespielt wird, ist auch nicht ganz unproblematisch. Es geht auch um das berühmte Zitat: 'Alle Menschen werden Brüder.' Haben Sie ein bisschen Angst, dass das Stück politisch zu sehr vereinnahmt wird? Die Musik zu kurz kommt?

Heras-Casado: Auf keinen Fall! Beethovens "Neunte" ist das antipolitischste, antireligiöseste Werk aller Zeiten. Es geht einfach um die Menschheit, um den Menschen als Zentrum des Universums, jenseits von Politik, Meinungen, linker oder rechter Gesinnung, jenseits von Moral, Religion oder Atheismus – es geht um uns. Jeder ist gleich – und das ist die Herrlichkeit dieses Stückes.

Wenn wir alle zusammen im Konzertsaal diesen Worten und dieser Musik lauschen – denkt einfach an euch selbst, denkt an uns als menschliche Wesen, die alle gleich sind, und lasst uns das feiern. Das ist das, was Beethoven uns gegeben hat – und das ist das größte Vermächtnis, das uns ein Künstler überhaupt hinterlassen kann. Und das ist eben auch die antipolitischste Aussage, die ich mir vorstellen kann.

BR-KLASSIK: Aber an der Gleichheit der Menschen kann man in aktuellen Zeiten wieder mal zweifeln. Fühlen Sie Beethoven dadurch anders?

Heras-Casado: Klar spielt das eine Rolle. Wissen Sie, ich habe die "Neunte" auch schon zusammen mit der Staatskapelle Berlin aufgeführt – und natürlich hatte ich da im Hinterkopf, dass dieses Stück auch beim Mauerfall in Berlin gespielt wurde. Als Symbol der deutschen Wiedervereinigung stand es dafür, all die politischen Differenzen hinter sich zu lassen.

Und heute, in dieser krisenhaften Zeit, fühlt es sich immer so an, als ob man sich auf eine oder auf die andere Seite eines Konflikts schlagen müsste. Aber das interessiert mich nicht. Mich interessiert die humanitäre Lage – und die humanistische Botschaft. Denn wir als Musiker können Botschaften an unser Publikum übermitteln. Die Musik tut es, egal welches Stück wir spielen. Auf der Bühne sind wir alle gleich – und wir senden etwas Positives in die Welt. Und natürlich passt da die "Neunte" von Beethoven sehr gut. Und ich bin sicher, wenn diese Musik in die Ohren und in die Herzen der Menschen dringt, wird sie uns Kraft geben – was heute wichtiger ist denn je.

Es ist nicht gerade meine Stärke, zurückzublicken.
Pablo Heras-Casado

BR-KLASSIK: Sie beschließen das Jahr mit den Konzerten in München. Was waren Ihre Highlights im vergangenen Jahr?

Heras-Casado: Es ist nicht gerade meine Stärke, zurückzublicken, auch wenn ich weiß, dass das wichtig sein kann. Meine Highlights, die haben eigentlich alle damit zu tun, mit meiner Familie zusammen zu sein, mit meinem Sohn, mit den Menschen, die mich umgeben. Das ist für mich die Essenz, das Wichtigste.

Natürlich gehört zu den Highlights, dieses Jahr die Bayreuther Festspiele mit "Parsifal" eröffnet zu haben – ich würde sogar sagen: Das war ein Highlight meines Lebens. Da gehört aber auch die Erinnerungen dazu, meinen Sohn bei den Proben dabei gehabt zu haben – und meine Eltern bei den Aufführungen.

BR-KLASSIK: Was machen Sie nach dem zweiten Konzert? Wo geht dann die Reise hin – wie verbringen sie den Jahreswechsel?

Heras-Casado: Nach dem zweiten Konzert kann ich anschließend direkt zurück nach Madrid fliegen. Hoffentlich wird das Flugzeug pünktlich starten. Dann bin ich um 18 Uhr zu Hause und kann das letzte Abendessen dieses Jahres mit meiner Familie vorbereiten. Wir müssen das alles noch organisieren. Aber feststeht, dass es Meeresfrüchte geben wird, guten Wein und viele Vorspeisen. Wir haben oft so viele Vorspeisen, dass wir am Ende zu voll sind für das Hauptgericht.

Sendung: "Allegro" am 29. Dezember ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player