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80 Jahre Kriegsende Gedenkkonzert in der Kongresshalle

Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Unter dem Titel "Verleih uns Frieden" erinnert ein Gedenkkonzert daran - an historisch bedeutsamer Stätte: der Kongresshalle auf dem ehemaligen "Reichsparteitagsgelände" in Nürnberg. Zu Gast aus New York ist das The Orchestra Now (TON) unter der Leitung von Leon Botstein, der sich seit Jahrzehnten für vergessene jüdische Komponistinnen und Komponisten einsetzt. Im BR-KLASSIK-Interview erklärt er, warum er sich für dieses Konzert ein reines Mendelssohn-Programm ausgesucht hat und weshalb Musik ein gutes Mittel gegen demokratiefeindliche Tendenzen ist.

Dirigent Leon Botstein | Bildquelle: Matt Dine

Bildquelle: Matt Dine

BR-KLASSIK: Herr Botstein, mit welchen Gefühlen werden Sie auf dem ehemaligen "Reichsparteitagsgelände" den Taktstock heben?

Leon Botstein: Ich bin sehr neugierig – ich war noch nie in Nürnberg, und dieses Gelände hat natürlich eine besondere historische Bedeutung. Es ist ein starkes Zeichen, dass wir gerade dort spielen und an das Ende des Naziregimes erinnern – vor allem mit Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy, der damals verboten war. Das ist ein wichtiges Signal für ein offenes, lebendiges Kulturverständnis. Ein glücklicher Tag – und eine hoffnungsvolle Erinnerung.

BR-KLASSIK: Nun ist Mendelssohn ein Komponist, der inzwischen längst wieder rehabilitiert ist, aber Sie als Dirigent und Wissenschaftler kümmern sich ja sehr um vergessene jüdische Komponistinnen und Komponisten. Warum haben Sie ein reines Mendelssohn-Programm gewählt?

Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy | Bildquelle: picture alliance / akg-images Im Zentrum des Gedenkkonuerts in Nürnberg: Felix Mendelssohn Bartholdy | Bildquelle: picture alliance / akg-images Leon Botstein: Erstens: Trotz seiner Rehabilitierung steht Mendelssohn weiterhin im Schatten alter antisemitischer Vorurteile – Vorurteile, die unter anderem von Richard Wagner geschürt wurden. Es heißt etwa, Mendelssohn sei ein oberflächlicher Komponist gewesen, der bloß virtuose Unterhaltungsmusik geschrieben habe. Und obwohl seine Werke heute wieder gespielt werden, nimmt er im Konzertrepertoire nicht den Platz ein, der ihm eigentlich zusteht. Er war verboten, verschwunden – und ist wieder ins Leben zurückgekehrt.

Ein weiterer Grund, warum ich Mendelssohn für dieses Konzert ausgewählt habe, ist seine Symbolkraft. Er wird immer wieder als Jude betrachtet – dabei war er zwar jüdischer Herkunft, aber überzeugter Protestant. Er heiratete die Tochter eines Pfarrers und schrieb einige der bedeutendsten Werke der Kirchenmusik seit Bach. Ihn ausschließlich auf seine Herkunft zu reduzieren, ist rassistisch. Die "Reformationssymphonie" etwa ist ein klares Glaubensbekenntnis – aber keines zum jüdischen Glauben. Dieses Klischee wollte ich bewusst thematisieren.

BR-KLASSIK: Sie haben mit ihrem Orchester schon einige CDs eingespielt mit Werken weniger bekannter Namen wie Hugo Kauder, Hans Erich Apostel oder Adolf Busch. Wie kommt denn diese vergessene Musik an, wird sie im Repertoire eine Chance haben?

Leon Botstein: Das ist sehr unterschiedlich und hängt stark von den jeweiligen Stücken ab – aber grundsätzlich: Ja, diese Musik hat eine Chance. Schwieriger wird es allerdings bei unbekannten Namen, gerade bei einem Publikum, das eher konservativ ist und gerne hört, was es kennt. Interessanterweise haben viele der unter dem NS-Regime "verstummten" Komponisten stilistisch eher traditionell geschrieben. Dennoch ist es nicht einfach, ihre Werke dauerhaft im Repertoire zu etablieren. In New York haben wir aber gute Erfahrungen gemacht: Dort vertraut das Publikum darauf, dass diese Musik Qualität hat – man muss keine Angst vor dem Unbekannten haben.

BR-KLASSIK: Nun erleben wir momentan rasante politische Veränderungen in der Welt. Wir erleben auch ein Abwenden von der Demokratie. Kann man aus Ihrer künstlerischen Sicht als Dirigent eines Orchesters etwas entgegensetzen?

Leon Botstein: Ich bin Musiker, weil ich glaube, dass Musik eine eigene Form des Lebens ausdrückt – eine, die anders funktioniert als Sprache oder Bilder. Sie schafft eine besondere Dynamik der Kommunikation, die Menschen verbindet statt sie zu trennen. Im Publikum sitzen Menschen mit ganz unterschiedlichen politischen Überzeugungen. Und doch ermöglicht ein Konzert, Individualität und Freiheit zu respektieren und zugleich einen gemeinsamen Nenner zu finden. Musik bietet die Chance, andere zu verstehen – auch wenn sie nicht so denken oder glauben wie man selbst. Sie ist eine Kraft gegen das Autokratische, das Tyrannische, gegen Abschottung und Zensur.

Sendung: "Leporello" auf BR-KLASSIK am 06.05.2025 ab 16:05 Uhr

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