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Der Pianist Murray Perahia "Ich hinterfrage immer wieder"

Am 19. März konzertierte Murray Perahia in der Münchner Philharmonie. Im Interview spricht er über sein Repertoire, seine jahrelange Zwangspause und warum man erst einmal ein guter Musiker sein muss, wenn man ein guter Pianist werden will.

Murray Perahia | Bildquelle: Felix Broede

Bildquelle: Felix Broede

Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Murray Perahia, in Ihrem Konzert in München spielen Sie Werke von Bach, Schubert und Beethoven. Auch wenn die Frage vielleicht schwer zu beantworten ist: Welcher dieser drei Komponisten steht Ihnen am nächsten?

Murray Perahia: Das ist wirklich eine sehr schwierige Frage. Ich spiele auch ein Rondo von Mozart in diesem Programm. Alle vier Komponisten stehen meinem Herzen sehr nahe. In der letzten Zeit habe ich mich intensiv mit Bach beschäftigt und vor Kurzem auch seine Französischen Suiten eingespielt. Schubert war mir immer schon sehr wichtig. Mozart versteht sich von selbst: Ich habe ja alle seine Klavierkonzerte gespielt und studiere seine Musik immer noch. Und was Beethoven angeht: Ich arbeite gerade mit dem Münchner Henle Verlag an einer neuen Edition sämtlicher Klaviersonaten. Von Beethoven bin ich geradezu besessen. Das ganze Konzertprogramm dreht sich sozusagen um die letzte Klaviersonate von Beethoven.

BR-KLASSIK: Vor vielen Jahren, Anfang der Neunziger, haben Sie sich unglücklich an einem Notenpapier geschnitten; es gab eine Wunde am Daumen, die sich entzündete. Dies hatte zur Folge, dass Sie jahrelang nicht spielen konnten. Wie geht es Ihnen jetzt?

Murray Perahia: Wunderbar. Ich habe keinerlei Probleme mehr damit. Vielleicht sollte ich das nicht allzu laut verkünden, aber es ist verheilt.

Besondere Liebe zu Bach

BR-KLASSIK: Können Sie sich an eine besonders nachhaltige Idee erinnern, die Ihnen während Ihrer Zwangspause kam?

Pianist Murray Perahia | Bildquelle: © Felix Broede Murray Perahia | Bildquelle: © Felix Broede Murray Perahia: Wenn man es ganz schonungslos betrachtet, ist es natürlich ein riesige Katastrophe, wenn ein Pianist nicht spielen kann. Aber ich habe so viel Zeit gehabt, Musik zu studieren und zu analysieren. Zu Bach fühlte ich mich ganz besonders hingezogen. Außerdem habe ich mich mit den Musikanalysen von Heinrich Schenker befasst. Er ist 1935 in Wien gestorben und war ein sehr bedeutender Musiktheoretiker, der auch Wilhelm Furtwängler, Edwin Fischer und andere großartige Musiker wie Bruno Walter beeinflusst hat. Ich konnte also diese Schriften und vor allem alle Präludien und Fugen von Bach in Ruhe studieren. Das hat mir einen unglaublichen musikalischen Input verschafft. Am Ende habe ich mich dadurch viel erfüllter gefühlt.

Das Unterrichten ist inzwischen etwas wichtiger geworden.
Murray Perahia

BR-KLASSIK: Wenn Sie vollständig aufs Klavierspielen verzichten müssten - wie sähe Ihr Leben dann aus?

Murray Perahia: Wahrscheinlich würde ich das Gleiche tun wie damals. Das Unterrichten ist inzwischen etwas wichtiger geworden. Ich unterrichte ja nicht so viel, aber das schätze ich sehr. Mein Leben würde sich definitiv weiterhin um Musik drehen. Da gibt es keinen Zweifel. Aber was genau ich machen würde… ich denke lieber gar nicht darüber nach.

Wichtig: das kulturelle Verständnis

BR-KLASSIK: Sie unterrichten auch. Was macht Ihrer Meinung nach einen guten Lehrer aus?

Murray Perahia: Das ist ein schwieriger Beruf. Jemand wie ich, der darin nicht so erfahren ist, braucht schon eine Weile, um zu verstehen, wie es funktioniert. Musik ist ein Fach wie andere auch, es gibt Regeln. Zum Beispiel die alten Regeln des Kontrapunkts, die Johann Fux zusammengestellt hat. Mozart, Beethoven, eigentlich alle haben sie studiert. Damals war das Pflicht, heutzutage nicht mehr so. Ich glaube, dass man erst einmal ein guter Musiker sein muss, bevor man ein guter Pianist werden kann. Man muss die Bedürfnisse der Studenten ernst nehmen und erkennen, wie schnell sie vorangehen können. Das betrifft verschiedene Bereiche, nicht nur die Technik oder die Musikalität. Auch das kulturelle Verständnis spielt eine Rolle. Ich glaube, dass man eine Beethoven-Sonate nicht spielen kann, wenn man keinerlei Ahnung von Kant oder von Goethe hat. Das gehört alles zur Kultur.

Das Cembalo - ein anderes Instrument

BR-KLASSIK: Sie spielen Bach auf einem modernen Flügel. Gibt es nichtsdestoweniger die Chance, dass wir Sie einmal auf einem Cembalo erleben dürfen?

Murray Perahia: Das glaube ich nicht. Ich habe das Cembalo wirklich zwei Jahre lang intensiv studiert. Es ist so anders als das Klavier, da werden sogar ganz andere Muskeln gebraucht. Beim Cembalo benutzt man viel mehr die Finger als die Arme und die Herangehensweise an die Musik ist eine ganz andere. Man setzt für den musikalischen Ausdruck unterschiedliche Stilmittel ein. Ich will jetzt nicht in die Tiefe gehen, aber dieses Instrument benötigt schon eine intensive Vorbereitung. Das habe ich aber nicht genug getan, um ein solcher Cembalist zu werden, wie ich es gerne möchte. Im Endeffekt bin ich nur Pianist.

Man beginnt ein Stück jedes Mal anders.
Murray Perahia

BR-KLASSIK: Sie spielen in vielen Konzerten die gleichen Stücke wieder und wieder. Im Interview sagten Sie einmal, dass trotzdem jedes dieser Werke immer wieder neu für Sie ist. Wie schaffen Sie es, sich diesen frischen Blick zu bewahren?

Pianist Murray Perahia | Bildquelle: © Felix Broede Murray Perahia | Bildquelle: © Felix Broede Murray Perahia: Ich weiß nicht genau. Außerdem spiele ich nach einem Jahr nicht mehr dieselben Stücke. Nach einem Jahr ändere ich immer das Repertoire, denn ich will ja nicht stumpfsinnig werden. Aber man beginnt ein Stück jedes Mal anders. Alles, was darauf folgt, steht in Beziehung mit diesem Anfang. Das Klavierspiel ist nicht festgelegt. Aber ich versuche, jedes Stück wieder ganz neu anzugehen. Derzeit beschäftige ich mich zum Bespiel mit Beethovens Skizzenbüchern. Da kann man sehen, wie verbissen er an einem Stück gearbeitet hat. Immer und immer wieder hat er versucht, die richtigen Noten zu finden. Das macht einen ganz demütig. Wie viele Leute haben sich wohl jemals angeschaut, wie oft Beethoven mit seinem Opus 111 angefangen hat, bis er die richtigen Noten hatte? Hunderte Male! Er hat ununterbrochen gearbeitet. Ein wahres Wunder.

Die Unendliche Geschichte der Interpretation

BR-KLASSIK: Und auch Sie studieren die Werke immer und immer wieder?

Murray Perahia: So gehe ich vor. Immer und immer wieder. Immer wieder hinterfrage ich. Wie lang sind die Takte, in welche Richtung führen die Noten? Wie ist die Stimmung? Welche Gefühle sind da? Das frage ich mich immer wieder.

BR-KLASSIK: Also ist es eine "Unendliche Geschichte"?

Murray Perahia: Ich glaube schon. Nach einem Jahr sollte man aber mal eine Pause einlegen. Fünf oder zehn Jahren später fange ich dann wieder von vorne an.

Die Fragen stellte Kristin Amme für BR-KLASSIK.

Murray Perahia in München

Sonntag, 19. März 2017. 19:00 Uhr
München, Philharmonie im Gasteig

Johann Sebastian Bach:
Französische Suite Nr. 6 E-Dur BWV 817
Franz Schubert:
Vier Impromptus für Klavier op. 142 D 935
Ludwig van Beethoven:
Klaviersonate Nr. 29 B-Dur op. 106 ("Hammerklavier-Sonate")

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