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Pianist Marc-André Hamelin "Ich liebe die Vergangenheit"

Gleich zweimal ist der kanadische Pianist Marc-André Hamelin in dieser Woche in München zu Gast: Heute und morgen konzertiert er mit dem Bayerischen Staatsorchester unter Kirill Petrenko, am Freitag gibt er ein Solo-Recital. Im Interview spricht er über seine eigenen Kompositionen und darüber, warum er kaum zeitgenössische Musik spielt, aber sein Publikum stets gern mit Neuem überrascht.

Pianist Marc-André Hamelin | Bildquelle: © Canetty Clarke

Bildquelle: © Canetty Clarke

BR-KLASSIK: Gab es einen bestimmten Schlüsselmoment oder ein Erlebnis, wodurch Sie Ihre Liebe zum Klavier entdeckt haben?

Marc-André Hamelin: Ich denke, ich würde heute nicht Klavier spielen, wenn mein Vater nicht gewesen wäre. Er hat zwar nicht professionell gespielt, aber er war ein sehr guter Amateurmusiker. Dabei spielten seine Eltern beide kein Instrument. Er war phänomenal, seine Begabung kam wirklich aus dem Nichts. Musik war sein Leben, auch wenn er keine Karriere gemacht hat. Und er hat die Freude daran nie verloren. Diese Neugier hat er an mich weitergegeben.

Die Macht und die Einschränkung des Notensystems

BR-KLASSIK: Sie gelten als Übervirtuose, aber sie spielen nicht nur Klavier, sondern sie komponieren auch. Wie beeinflusst denn das Komponieren Ihr Klavierspiel?

Pianist Marc-André Hamelin | Bildquelle: © Canetty Clarke Bildquelle: © Canetty Clarke Marc-André Hamelin: Ich glaube, dass das Komponieren essentiell ist - für jeden Interpreten oder Musiker. Man kann sich einfach viel mehr in den Komponisten der Werke hineinversetzen. Es bringt einen viel näher an den kreativen Entstehungsprozess heran. Mann weiß dann als Interpret besser, was eigentlich geschieht, wenn man versucht, seine Gedanken als Musiknoten auf's Papier zu bringen - und wie schwierig das ist. Man hat automatisch mehr Respekt vor der Arbeit der Komponisten. Letztlich zeigen sich dadurch aber auch die Möglichkeiten und gleichzeitig die Einschränkungen des Notensystems, wie wir es kennen.

BR-KLASSIK: Ihr kompositorisches Oeuvre ist recht überschaubar, da sind Etüden, da sind ein paar Stücke für Klavier solo. Finden Sie keine Zeit zum Komponieren oder warten Sie einfach auf Ideen?

Marc-André Hamelin: Nun, mein Lebensunterhalt hängt nicht von meiner kompositorischen Arbeit ab. In erster Linie bin ich Pianist. Ich schreibe Stücke, weil es mir ein kreatives Bedürfnis ist. Erfreulicherweise hatte ich einige Aufträge im vergangenen Jahr, unter anderem für ein Klavierquintett, das vor ein paar Wochen Premiere hatte. Auch für den Cliburn-Wettbewerb, der im Mai stattfindet, schreibe ich etwas. Das wird sehr spannend, weil ich auch in der Jury sitzen werde. Die Pianisten müssen dann das Stück interpretieren, dass ich geschrieben habe.

Zeitgenössische Musik zu spielen, ist schon fast eine Mission.
Marc André Hamelin

BR-KLASSIK: Sie spielen keine Stücke von noch lebenden Komponisten, obwohl Sie selbst komponieren. Warum ist das so?

Pianist Marc-André Hamelin | Bildquelle: © Canetty Clarke Bildquelle: © Canetty Clarke Marc-André Hamelin: Nun, manchmal spiele ich schon Stücke von zeitgenössischen Komponisten, auch wenn ich das eher als Verpflichtung sehe. Ich denke, wenn ich anfangen würde, das öfter zu tun, dann würde ich am Ende nur noch das tun wollen. Denn zeitgenössische Musik zu spielen, ist schon fast eine Mission. Ich liebe aber die Vergangenheit. Darum möchte ich mich zeitlich nicht einschränken. Mit meiner eigenen kompositorischen Arbeit hat das aber wenig zu tun, denn die hat wenig mit zeitgenössischer Musik zu tun. Ich schreibe zum Beispiel eher tonal. Trotzdem baue ich da immer noch so ein paar Besonderheiten ein. Meine Musik ist oft chromatisch.

Haufenweise potenzielle Fragen

BR-KLASSIK: Auch heute Abend spielen Sie keine zeitgenössischen Komponisten. Trotzdem spielen Sie aber nie bloß das Standardrepertoire von Mozart bis Bach. Welchen Komponisten würden Sie am liebsten treffen, wenn das ginge?

Marc-André Hamelin: Ach du meine Güte! Am liebsten möchte ich sie alle treffen und ihnen haufenweise Fragen stellen. Es ist mir aber unmöglich, mich da auf eine Person festzulegen. Ich weiß allerdings auch gar nicht, ob sie mir meine Fragen beantworten können. Denn Künstler über ihre Kunst zu fragen, ist oft zwecklos. Sie können meist gar nicht so genau erklären, was sie da machen. Man muss die Kreativität dann für sich selbst sprechen lassen. Darum wäre es auch toll, wenn sie sich ans Klavier setzen und einfach für mich spielen. Das würde dann auch viel darüber verraten.

BR-KLASSIK: Ich sagte ja gerade, Sie sind weit davon entfernt, nur Standardrepertoire zu spielen. Am Freitag spielen Sie im Herkulessaal ein Konzert mit Werken von Schumann, Feinberg, Prokofjew und Liszt. Wie kam dieses Programm zu Stande?

Marc-André Hamelin: Die erste Hälfte des Programms habe ich letztes Jahr bei der Schubertiade gespielt. Man muss sagen, dass es manchmal sehr schwierig ist, Programme zu gestalten. Vor allem wenn man, wie ich, jedes Jahr im Herkulessaal spielt - und das seit 20 Jahren. Es ist wirklich eine Herausforderung, sich da nicht zu wiederholen. Ich muss auch sagen, dass das Publikum in München mich immer sehr unterstützt hat. Denn sie waren sehr begierig darauf, Neues zu entdecken, auch wenn mitunter sehr schwierige Stücke dabei waren. Das macht mich sehr glücklich.

Der unterschätzte Feinberg

BR-KLASSIK: Neue Sachen, wie zum Beispiel Stücke von Samuel Feinberg, die man nicht so oft hört.

Marc-André Hamelin: Feinberg ist ein Komponist, von dem ich sehr viel halte. Er gehört zu denen, die im vergangenen Jahrhundert fast völlig übersehen wurden. Denn er hat sich nie selbst vermarktet. Aber seine Musiksprache ist sehr individuell. Das hört man auch in den zwei Sonaten, die ich spiele. Er hat seinen ganz eigenen Stil entwickelt.

Die Fragen stellte Kristin Amme für BR-KLASSIK.

Marc-André Hamelin in München

Montag, 20. Februar 2017, 20:00 Uhr
Dienstag, 21. Februar 2017, 20:00 Uhr
München, Nationaltheater
4. Akademiekonzert des Bayerischen Staatsorchesters

Nikolai Medtner: Klavierkonzert Nr. 2 c-Moll op. 50
Sergej Rachmaninow: Symphonische Tänze op. 45
Alexander Skrjabin: Rêverie op. 24

Marc-André Hamelin (Klavier)
Bayerisches Staatsorchester
Leitung: Kirill Petrenko
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Freitag, 24. Februar 2017, 19:30 Uhr
München, Herkulessaal
Solo-Recital

Maria Szymanowska: Nocturne B-Dur
Franz Liszt: Soirée de Vienne Nr. 9 (nach Schubert)
Sergej Prokofjew: Walzer-Suite nach Schubert
Samuel Feinberg: Klaviersonaten Nr. 5 und 6
Robert Schumann: Fantasie C-Dur



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