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DANCE 2019 in München Wie wollen wir miteinander kommunizieren?

Zum 16. Mal findet heuer das Festival für zeitgenössischen Tanz DANCE in München statt – vom 16. bis zum 26. Mai. Hochkarätige Namen werden erwartet, nicht zuletzt Richard Siegal. Doch Hochglanz wird vermieden: Gespielt wird an inspirierenden Orten, die zu Kommunikation anregen sollen. Kuratorin Nina Hümpel erzählt im BR-KLASSIK-Interview von den Höhepunkten.

Richard Siegal: Roughhouse | Bildquelle: © Thomas Schermer

Bildquelle: © Thomas Schermer

BR-KLASSIK: Tanz als Ausdrucksform ist unglaublich beliebt geworden in den letzten Jahren. Kaum eine Kunstform entwickelt sich so schnell und so kreativ. Welche Trends werden beim Festival DANCE 2019 gezeigt?

Nina Hümpel: Wir wollen versuchen, eine große Bandbreite aufzumachen. Wir haben die großen internationalen Kompanien da. Außerdem William Forsythe und Marie Chouinard, die schon fast Tanzgeschichte geschrieben haben und seit 40 Jahren in Europa und im englisch-kanadischen Raum die Tanzgeschichte prägen. Gisèle Vienne, Richard Siegal und Lia Rodrigues sind bei uns mit wirklich großen Produktionen.

Marie Chouinard: Henri Michaux: Mouvement | Bildquelle: © Sylvie Ann Paré Marie Chouinard: Henri Michaux: Mouvement | Bildquelle: © Sylvie Ann Paré Wir gehen aber auch mit Uraufführungen viele Abenteuer ein: Beispielsweise macht Ceren Oran mit Münchner Künstlerinnen an verschiedenen Orten in der Stadt elf Tage lang einen Tanzmarathon. Dieser Marathon lehnt sich an, an die Tanzwut aus Straßburg von 1516, als eine Frau auf der Straße anfing zu tanzen: Sie ist in Rage geraten und es haben sich ihr immer mehr Menschen angeschlossen, bis sie in eine Tanzwut gerieten und am Ende auch Menschen daran gestorben sind. Das waren revolutionäre Zustände.

BR-KLASSIK: Also wird München dann revolutionär?

Nina Hümpel: Nein, das glaub ich nicht. Es geht eher um das Thema Gruppe, Community, Crowd. Das Thema Kollektivität: Warum tanze ich? Warum tanzen wir zusammen? Warum tanzen wir für ein Publikum? Wie reagiert es darauf – mag es darauf einsteigen? Es sind eher diese Themen.

Wir gehen dieses Jahr einen neuen Weg: ins Kreativquartier.
Nina Hümpel

BR-KLASSIK: München ist interressanterweise ein Zentrum für zeitgenössischen Tanz – und trotzdem hat man manchmal den Eindruck, es geht an der doch sehr auf Hochglanz polierten Stadt vorbei.

Peter Trosztmer / Zack Settel / Osman Zeki: BetweenTheDotsBeta (UA) | Bildquelle: © Peter Trosztmer Peter Trosztmer / Zack Settel / Osman Zeki: BetweenTheDotsBeta (UA) | Bildquelle: © Peter Trosztmer Nina Hümpel: Wir haben eine sehr lebendige Szene – und zum Thema Hochglanz: Wir gehen dieses Jahr einen ganz neuen Weg: ins Kreativquartier. Dort haben Künstler ihre Ateliers und dort finden auch verschiedene sozio-kulturelle Projekte statt. Der Chinese Yang Zhen wird im Kreativquartier seine Produktion uraufführen. Außerdem wird Peter Trosztmer die Räume in ein neues Licht tauchen mittels "Augmented Reality". Wir werden also ziemlich weit weggehen vom Münchner Hochglanz zu einem Ort mit einer ganz anderen städtischen Entwicklung. Deshalb soll dort auch ein Diskurs stattfinden zur Frage: Wie wollen wir miteinander leben?

BR-KLASSIK: Das Festival scheint sehr bewegend zu sein, womit ja ein wesentliches Element des Tanzes aufgenommen wird: sich selbst zu bewegen. Das Publikum sitzt nicht einfach zwei Stunden da. Es soll selbst aktiv werden.

Nina Hümpel: Beim Urban Dancefloor im Kreativquartier gibt es die Möglichkeit, dass das Publikum selbst tanzt. Es gibts aber auch Symposien, in denen man gemeinsam über Tanz nachdenkt. Beispielsweise kann man mit Lia Rodrigues über die gesellschaftliche Entwicklung in Brasilien sprechen. Natürlich auch über die Situation der Kunst dort. Nach der DANCE History Tour, bei der man mit dem Fahrrad zu historischen Orten der Tanzgeschichte durch die Stadt fährt, gibt es ebenfalls ein Symposium. Das Publikum hat viele Möglichkeiten, sich mitzubewegen.

Bei Richard Siegal geht es um Reizüberflutung.
Nina Hümpel

BR-KLASSIK: Zehn Produktionen wird es geben. Wie kann ich mir das vorstellen? Sind Sie durch die Welt gereist, haben sich alles angeschaut und ausgewählt?

Nina Hümpel: Die Prozesse sind ein bisschen komplizierter. Man reist in der Tat zu sehr vielen Festivals, schaut sich Proben und Uraufführungen an. Anschließend wird diskutiert mit dem künstlerischen Berater und der Dramaturgin. Dann kristallisieren sich bestimmte Themen heraus. In diesem Fall haben wir keinen Länderschwerpunkt, sondern die Frage: Wie wollen wir miteinander kommunizieren? Da gibt es viele Produktionen, die sich genau mit dieser Frage beschäftigen. Ganz explizit macht das Richard Siegal. Bei ihm geht es um Reizüberflutung durch Medien, um Fake News und um Sprache.

Klassisches Ballett versus Street-Kultur

BR-KLASSIK: Manche werden wahrscheinlich vor Nervosität zittern, denn William Forsythe wird bei der DANCE 2019 ebenfalls zu Gast sein: der Guru des zeitgenössischen Tanzes sozusagen. Auch bei ihm spielt Kommunikation eine große Rolle bei der Erarbeitung einer Produktion mit den Tänzern. Wie funktioniert das?

Nina Hümpel: Wir haben bei seiner Produktion Kommunikation auf zwei Ebenen. Die Kommunikation von Forsythe mit seinen Tänzern und gleichzeitig mit einem Breakdancer. Die Sprache des klassischen Balletts versus moderne Street-Kultur. Die beiden Sprachen werden in diesem Stück miteinander kommunizieren.

Weitere Infos zum diesjährigen DANCE-Festival finden Sie hier.

Sendung: Leporello am 15. Mai 2019, 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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