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Iván Fischer zum Tod von Zoltán Kocsis "Für Ungarns Musikleben war er ein Held"

Am Sonntag ist der ungarische Pianist und Dirigent Zoltán Kocsis im Alter von 64 Jahren gestorben - nach langer, schwerer Krankheit. Der Dirigent Iván Fischer war einer seiner langjährigen Weggefährten. 1983 gründete er mit ihm zusammen das Budapester Festivalorchester. BR-KLASSIK konnte mit Fischer, der heute der Chef des Konzerthausorchesters Berlin ist, über Zoltán Kocsis reden.

Dirigent und Pianist Zoltán Kocsis | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

BR-KLASSIK: Iván Fischer, Sie kannten Zoltán Kocsis sehr gut. An was für einen Menschen erinnern Sie sich, wenn Sie an ihn denken?

Iván Fischer: Dreizehn Jahre haben wir eng zusammen gearbeitet, haben viele Konzerte gegeben, Platten aufgenommen. Er war ein genialer Musiker, ein phantastischer Pianist. Er hat einen deutlichen Plan von dem gehabt, was er hören wollte. Er war ein besessener, fanatischer, aber so hochbegabter Künstler, dass es manchmal schwierig war, mit ihm zusammen zu arbeiten. In ihm war immer dieses beethovensche Feuer. Aber auf der anderen Seite war er ein lustiger, humorvoller Freund.

BR-KLASSIK: Sie haben zusammen 1983 das Budapester Festivalorchester gegründet. Was war die Motivation dahinter?

Dirigent Iván Fischer | Bildquelle: Marco Borggreve Iván Fischer | Bildquelle: Marco Borggreve Iván Fischer: Ich wollte verschiedene Reformpläne realisieren. Und dann kam mir die Idee, das in Ungarn zu machen. Weil dort ein starkes Sehnen unter jungen Musikern herrschte, ein gutes Orchester aufzubauen. Man war unzufrieden mit den staatlichen Orchestern der damaligen Zeit. Und der, der das vielleicht am lautesten kritisiert hat, war Zoltán Kocsis. Und darum habe ich ihn angerufen und gefragt: Hast Du Lust, ein neues Orchester mit mir zu gründen?

Vom Klavier zum Dirigentenpult

BR-KLASSIK: Wie haben Sie sich denn damals finanziert?

Iván Fischer: Geld hat am Anfang keine Rolle gespielt. Wichtig war, die Leute in ihrer freien Zeit einzuladen. Am Anfang lief das ohne Bezahlung. In der nächsten Phase kam die ungarische Plattengesellschaft Hungaroton ins Spiel, die ebenfalls frustiert war, dass es in Ungarn kein Spitzenorchester gab. Wir haben dann ziemlich schnell Aufträge von Hungaroton bekommen. Und durch diese Honorare konnten wir Konzerte finanzieren.

BR-KLASSIK: In den 1990er Jahren hat es sehr viele Aufnahmen mit dem Pianisten Zoltán Kocsis gegeben. Wie kam es, dass er vom Klavier zum Dirigieren übergegangen ist?

Iván Fischer: Er war eines von diesen großen Talenten, für die das Klavier zu klein war. Immer diesselben Solo-Konzerte wiederholen und damit durch die Welt reisen, das kam nicht in Frage. Zoltán Kocsis war ein großes Genie unter den Künstlern. Er hatte eine große Idee davon, wie Symphonien und Opern klingen sollten. Es war ein natürlicher Schritt, dass er zu dirigieren angefangen hat.

Ein eigensinniges Genie

BR-KLASSIK: Was wird Ihnen ohne ihn am meisten fehlen?

Iván Fischer: Das ist schwierig. Ich finde, seine besten Jahre waren, als er noch aktiv Klavier gespielt hat. Und die großen Aufnahmen gemacht hat: etwa die drei Bartók-Konzerte, die wir zusammen aufgenommen haben. Das ist eine Spitzenerinnerung. Später hat er "nur" dirigiert und ich habe ihn - weil er mit einem anderen Orchester gearbeitet hat- ein wenig aus dem Blick verloren. In den letzten Jahren hat er mit einer Krankheit gekämpft. Für das Musikleben Ungarns war er der große Held, so etwas wie ein Heiliger. Vielleicht ein nicht ganz leicht zu behandelnder: Er war ziemlich wild, ziemlich eigensinnig. Aber durch sein Wissen und seine Fähigkeiten wurde er von allen als großer Mann geehrt. Und wenn so ein großer Mann verschwindet, hinterlässt das furchtbare Lücken.

Das Gespräch führte Falk Häfner für BR-KLASSIK.

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