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Bilanz der 51. Jazzwoche Burghausen 2022 "Wir machen es uns schön"

Die Jazzwoche Burghausen, Bayerns traditionsreichstes Jazzfestival, kehrt nach zweijähriger Corona-Pause zurück und überzeugt mit großartigen Bandleaderinnen und leistet sich einen Fehltritt.

Harfenistin Julie Campiche mit ihrer Band im Stadtsaal in Burghausen | Bildquelle: Elmar Petzold

Bildquelle: Elmar Petzold

Die Sonne strahlt unverschämt hell vom tiefblauen Burghauser Himmel und taucht die längste Burg der Welt und die bunten Altstadt-Prachtbauten in ein herrliches Licht. Der Schein trügt: Auf allem liegt ein Schatten. Der Krieg in der Ukraine ist auch bei der Jazzwoche präsent. Zudem beschäftigt die Pandemie die Menschen noch mehr als erwartet, die Corona-Inzidenz liegt bei fast 3000 im Landkreis Altötting.
Keine unbeschwerte Situation, um ein Festival mit 50-jähriger Geschichte nach zwei Jahren Corona-Pause wieder zum Laufen zu bringen, doch es ist geglückt – teilweise.

Corona und Jazz – Burghausen und die Pandemie

Pianist Roberto Di Gioia und Sängerin Joy Denalane im Duo bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen 2022. | Bildquelle: Ralf Dombrowski Pianist Roberto Di Gioia und Sängerin Joy Denalane im Duo bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen 2022. | Bildquelle: Ralf Dombrowski Rund 6000 Karten wurden für die 51. Jazzwoche Burghausen 2022 verkauft, das sind etwa 2000 weniger als in normalen Jahrgängen. Aber das ist eine beachtliche Summe angesichts der anhaltenden Pandemie. Maskenpflicht in den Konzerten, Kontrolle des Impf- oder Genesenenstatus am Einlass, all das gehört zum Konzertbesuch in Burghausen dazu und hält vielleicht doch manche ab.
Corona wirbelte am Mittwoch auch gleich zum Start der Jazzwoche das Programm durcheinander: Soulsängerin Joy Denalane konnte nicht mit ihrer Band auftreten, kam aber im Duo mit ihrem Pianisten Roberto Di Gioia. Aus der Notlage wurde ein Glücksfall: Lustvoll, spontan und innig interpretierten die beiden das Soulrepertoire Denalanes. Di Gioia glänzte durch sein perfektes Timing, sein sparsames, aber dadurch umso präsenteres Klavierspiel. Beim Soundcheck hatte Joy Denalane noch zu ihrem Pianisten gesagt: "Komm, wir machen es uns schön!" – und so wurde es dann auch für die rund 500 Menschen im Saal.

Ohrwürmer mit Groove

Auf gleichem Niveau, aber mit ganz anderem Sound, begleitete Pianist und Hammondorganist Simon Oslender am darauffolgenden Tag in der Wackerhalle die Jazzlegende Bill Evans. Der amerikanische Saxophonist, Jahrgang 1958, spielte in den 80er Jahren mit Trompeter Miles Davis. Da war Evans Anfang zwanzig. Simon Oslender ist ebenfalls Anfang Zwanzig und hat einen persönlichen Stil entwickelt, der voll instrumentaler Reife, Geschmackssicherheit und Ideenreichtum steckt.
Die Kompositionen Bill Evans‘ sind kernige Groove-Nummern, die aber dank der herausragenden Musikalität seiner Mitstreiter nie an Kontur verlieren oder ins Beliebige abdriften. Ein generationenverbindender Abend mit satten Sounds und lässigen Soli.

Klingende Friedensbotschaften

Jazz nach Mitternacht mit Saxophonist Johannes Enders und seiner Band im Burghauser Jazzkeller | Bildquelle: Elmar Petzold Jazz nach Mitternacht mit Saxophonist Johannes Enders und seiner Band im Burghauser Jazzkeller | Bildquelle: Elmar Petzold Wer nach diesen Klängen noch konditionell den Besuch im Jazzkeller schaffte, dem Herzstück der Jazzwoche in der Burghauser Altstadt, konnte in diesem Jahr die ganze Woche über das vorzügliche Quartett des "Local Heros" Johannes Enders erleben. Der Weilheimer sorgte mit seinen trickreich-swingenden Eigenkompositionen und sehr stimmungsvollen Interpretationen von Jazzstandards für unvergessliche Jazzmomente. Das besondere Highlight, Enders‘ allabendliche Version  der Komposition "Peace" des Hardbop-Pianisten Horace Silver. Musik, die nie an Aktualität verloren hat, in diesen Zeiten aber besonders bedeutungsvoll ist.

Bandleaderinnen am Puls der Zeit

Die Londoner Saxophonistin Chelsea Carmichael bei der Jazzwoche in Burghausen | Bildquelle: Elmar Petzold Die Londoner Saxophonistin Chelsea Carmichael bei der Jazzwoche in Burghausen | Bildquelle: Elmar Petzold Die kleineren Bühnen, die im Jazzkeller und die im Stadtsaal in der Burghauser Altstadt,  waren es auch wieder in diesem Jahr, auf denen die spannendsten Klänge zu erleben waren in Burghausen. Zwei Bandleaderinnen bestritten den Festivalsamstag im Stadtsaal mit unterschiedlichen Ausprägungen des Jazz, diesseits des Atlantiks. Die Londoner Saxophonistin Chelsea Carmichael improvisierte mit überraschend sanften, leicht angerauten Tönen über einem expressiv-brodelnden Untergrund.

Anders im Klang, aber ähnlich nah am Puls der Zeit, war das Konzert der Schweizer Harfenistin Julie Campiche und ihrer Band. Die Harfe, im Jazz eigentlich eine Exotin, wurde hier herrlich organisch in den Ensembleklang von Schlagzeug, Kontrabass und Tenorsaxophon eingefügt. Die Stücke der jungen Schweizerin entwickelten sich oft langsam und mit viel Luft – von einem zarten Hauchen hin zum wilden Soundsturm. Diese Band hätte gut auf die große Bühne in der Wackerhalle gepasst.
Ebenso wie die der Münchner Sängerin Alma Naidu, die mit ihren poppig gewürzten Jazzsongs das Publikum bezauberte. Oder das österreichische Septett "Shake Stew", das mit seinem kraftvoll groovenden, aber auch feingearbeitet-poetischen Sound in Burghausen fraglos seinen Ruf als eine der aufregendsten Live-Bands im aktuellen Jazz bestätigte.

Spektakel der Soulmates

Auf der großen Bühne der Wackerhalle durften aber eher großen Namen glänzen und im Fall der "Mandoki Soulmates" glänzten einige besonders durch Abwesenheit. Gitarrist Al di Meola, Trompeter Till Brönner, Saxophonist John Helliwell und Bassist Richard Bona standen ganz oben in den Ankündigungen, und alle waren sie nicht da in Burghausen; vor dem Auftritt wurde das Publikum im Saal noch dazu nicht explizit darüber informiert. Das Konzert mit kurzen solistischen Spots etwa vom sowieso anwesenden Saxophonisten Bill Evans, dem Trompeter Randy Brecker oder Gitarrist Mike Stern, war als wuchtige Rockpop-Suite angelegt und auf einem Jazzfestival stilistisch falsch platziert. Der Aufruf zum Frieden in der Ukraine und weltweit, den Schlagzeuger und Projektleiter Leslie Mandoki, unterstützt von der ukrainischen Popsängerin Kamaliya, von der Bühne in Burghausen verkündete, wurde aber vom Publikum uneingeschränkt unterstützt, gipfelnd in Standing Ovations zu John Lennons "Imagine" im Zugabenteil, das viele im Saal nach einigen Zeilen mitsangen.

Die Jazzwoche Burghausen startete 2022 nach der Corona-Zwangspause nun endlich in ihr nächstes halbes Jahrhundert. Der Rückblick auf die 50 schon zurückliegenden Jahre sollte den Veranstaltern zeigen, dass oft die teuer eingekauften Starformationen nicht den bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Das scheint aber auch angekommen in Burghausen. Es bleibt spannend, welche Lehren aus dem 51. Jahrgang gezogen werden. Herausragende Musik gibt es immer wieder an der Salzach, jetzt muss sie nur noch den Weg auf die ganz große Bühne finden.

Die Jazzwoche Burghausen 2022 im Radio

Jazztime auf BR-KLASSIK, jeweils 23.05 Uhr am
Freitag, 20. Mai Jazz auf Reisen
Freitag, 27. Mai Das Jazzkonzert
Donnerstag, 02. Juni All that Jazz
Freitag, 17. Juni Jazz auf Reisen
Freitag, 24. Juni Das Jazzkonzert

radioJazznacht auf Bayern 2 ab 0.03
Sonntag, 10. April Nachlese zur Jazzwoche Burghausen

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