Das Ballett-Team des Münchner Gärtnerplatztheaters wagt ein Experiment und betanzt zwei Meisterwerke der Symphonik: Dvořáks Achte und Sibelius' Siebte. Die Choreographien tragen jeweils den Vornamen des Komponisten, "Antonin" und "Jean". Premiere war am Samstag in der Münchner Reithalle. Eine Kritik von Sylvia Schreiber.
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Kritik - "Jean und Antonin" in München
Symphonisches Ballett
In der Mitte steht ein Sarg, umrahmt von zwei Stuhlreihen. Die Trauergesellschaft nimmt Platz. Die Beerdigung kann beginnen. Ein greller Schluchzer bringt Bewegung in die schwarz gekleideten Tänzer. Sie klatschen rhythmisch, pfeffern ihre Schuhe auf den Boden, pusten synchron Luftballons auf, die dann wild davonzischen. Party auf Teufel kommt raus - das einzig wahre Rezept gegen die Trauer, gegen die Wut über die Vergänglichkeit und gegen den Tod!
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Der irische Choreograph Michael Keegan-Dolan lässt Tänzerinnen zornig ihre langen Haare schütteln, die Trauernden ihre Beklemmung herausschreien. Mit ausladenden Schrittfolgen füllen sie die verzagten Melodien Dvořáks, sehr tief gehen sie in die Knie, dazu drehen sie die Oberkörper in die entgegengesetzte Richtung. Nein, sie wollen unter keinen Umständen den Kontakt zur Erde verlieren, als könnten sie so den eigenen Tod verhindern. Manchmal erinnert diese bodenständige Körpersprache an einen derben Bauerntanz, wie ihn Renaissance-Meister Pieter Bruegel seinerzeit gemalt hat.
Viele Fetzen böhmischer Volkstänze hat Dvořák in seine Symphonie Nr. 8 eingeflochten und die liefern die passende Steilvorlage für die trunkene Derbheit. Aber in der Musik steckt eigentlich mehr als mit irrer Endzeitstimmung gepaarte melancholische Budweiser-Seeligkeit: Häufig streben die Melodien schwindelerregend in die Höhe, springen strotzend vor Energie durch die Oktaven, völlig frei von irgendeiner Programmatik. Und da wird es dann eng mit dem Konzept. Besonders fällt das beim Thema aus dem 3. Satz auf. Erst schraubt es sich nach oben, dann sinkt es ab, sanft schaukelnd wie eine Feder. Das hört man zwar, präzise und dynamisch gespielt vom Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Man sieht es aber nicht. Die Tänzer umkreisen starr den Sarg. Der einzige, der die schöne Melodie mit dem Körper erspürt, ist der Dirigent Michael Brandstätter.
Bildquelle: BR/Ralf Wilschewski
Ballett-Chef Karl Alfred Schreiner im Interview
Am Ende des Balletts "Antonin" hocken alle in sich versunken um den Toten. Mit Gas gefüllte Luftballons hängen am Sarg und symbolisieren die Himmelfahrt. Ein charmanter Schlussgag. Nahezu unbemerkt von den Trauernden richtet sich der Tote plötzlich auf, raucht eine Zigarette und schreitet die Stufen der Zuschauertribüne nach oben, vielleicht in die Ewigkeit. Auf die Trauergesellschaft regnet es Luftschlangen und Konfetti.
Wie der Tanz das Erleben eines großen Werks erweitern kann, zeigt "Jean" zu Jean Sibelius' Symphonie Nr. 7. Die 18 Tänzer tragen völlig identische Kostüme aus Langarm-Shirt und kurzer Hose. Der Stoff ist weich, in eisigem hellblau, bestickt mit Ornamenten. Die Körper werden umhüllt, aber nicht umschmeichelt. Die Bühne ist leer, nur eine mannshohe Kerze in der rechten Ecke steht für das Licht des Lebens. Choreograph Karl Alfred Schreiner lässt die uferlos weiten Melodiebögen von Sibelius durch die Körper der Tänzer strömen. Mal krallen sich die Füße in den Boden, dann stechen sie zu Messerspitzen gestreckt in die Luft.
Verschiedene Stadien des menschlichen Zerfalls finden parallel statt: Eine Gruppe von Tänzern kriecht schlaff und träge wie Reptilien über den Boden, eine andere strotzt nur so vor Energie. Unter totaler körperlicher Anspannung reagieren diese Tänzer auf die schleunig wechselnden Tempi. Sie lassen die Hüfte wiegen oder kippen, angespornt von vitalen Streichern. Gleichzeitig imitiert eine andere Gruppe das sorgenvolle Blubbern einiger Holzbläser mit fieberhaft abrupten Armbewegungen, versucht sich im miteinander eines Pas de deux zu stützen. Der Blick schweift permanent zwischen den unterschiedlichen Stufen der Vergänglichkeit, zwischen Mattheit und explosiver Dynamik. In dieser Choreographie zu Sibelius Musik sind Körperbewegung und Partitur eng miteinander verwoben.
Nach einem kämpferischen Solo schreitet Sandra Salietti durch das Publikum die Treppe nach oben - sie nimmt denselben Weg, wie im ersten Teil des Abends der Tote aus dem Ballett "Antonin" - wohin auch immer der führt. Auf der Bühne brechen die Tänzer mit dem letzten Takt zusammen, das Licht erlischt. Tosender Applaus. Gerade mal 22 Minuten lang ist Sibelius' Siebte, nur aus einem Satz besteht sie. Insgeheim wünscht man sich, Sibelius wäre damals - im Jahr 1924 - nicht dem Suff erlegen, sondern hätte noch Zeit für mehr dieser Noten gehabt. Damit für uns das Leben - und der Tanz - doch noch etwas länger dauern könnte.
Zwei Sinfonische Ballette
Reithalle, München
Uraufführung am 1. April 2017
Nächste Vorstellungen: 3., 4., 6. 8., 9. und 12. April.
Weitere Infos finden Sie unter gaertnerplatztheater.de.