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John Eliot Gardiner im Interview "Schumanns Musik hat so viel Originalität"

Sir John Eliot Gardiner ist einer der Pioniere der Historischen Aufführungspraxis. Um in diesem Sinne zu musizieren, benötigt er nicht zwangsläufig Alte Instrumente: Ein schlankes, transparentes Musizieren ist auch mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks möglich - auch und vor allem in der Musik Robert Schumanns, die Gardiner wegen ihrer Poesie und Leidenschaft schätzt. Am Pult des BR-Symphonieorchesters präsentierte er am 8. Dezember 2017 ein reines Schumann-Programm.

Dirigent Sir John Eliot Gardiner | Bildquelle: picture alliance / Karl Schöndorfer / picturedesk.com

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BR-KLASSIK: Herr Gardiner, Sie haben sich sehr viel mit Quellen beschäftigt. Man hat Schumann immer wieder mangelnde Instrumentation vorgeworfen bei seinen Orchesterwerken und daher Retuschen vorgenommen. Wie sehen Sie das als Dirigent und als Fachmann?

John Eliot Gardiner: Ich denke, das ist ein großes Missverständnis. Schumann war exzellent, wenn er für Orchester schrieb. Man muss nur aufmerksam auf die Dynamik achten. Ich habe alle seine Symphonien auf historischem Instrumentarium aufgeführt; sie mit einem modernen Orchester wie dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu interpretieren, stellt einen natürlich vor eine ganz andere Herausforderung. Es ist aber absolut möglich und lediglich eine Frage von Transparenz, Klarheit und Durchsichtigkeit.

Manfred ist meine Lieblings-Ouvertüre von Schumann.
John Eliot Gardiner

BR-KLASSIK: Könnte man sagen, Ihr Münchner Programm ist ein Schumann-Porträt?

John Eliot Gardiner: Ja, das könnte man wohl sagen. Die drei Stücke sind wundervoll, und sie ergänzen einander hervorragend. "Manfred" ist meine Lieblings-Ouvertüre von Schumann. Ich bedaure es nur, dass wir nicht die ganze szenische "Manfred"-Musik mit den Melodramen aufführen: Die ist nämlich toll. Es ist eigentlich keine Ouvertüre, sondern wirklich eine Tondichtung - sehr engagiert und leidenschaftlich komponiert. Auch das Cellokonzert: Es ist perfekt für das Instrument gesetzt. Und es ist wirklich ein Genuss, den Cellisten Jean-Guihen Queyras zu begleiten, denn er ist ein toller, toller Musiker!

BR-KLASSIK: Jean-Guihen Queyras hat das Cellokonzert schon mit Originalinstrumenten aufgenommen - mit dem Freiburger Barockorchester.

John Eliot Gardiner: Eben, und das spürt man im Hintergrund.

Schumanns Zweite Symphonie könnte auch für uns komponiert sein, für das Jahr 2017.
John Eliot Gardiner

BR-KLASSIK: Herr Gardiner, was macht Schumann heute so modern und auch für zeitgenössische Komponisten so faszinierend?

Sir John Eliot Gardiner, Präsident des Bach-Archivs Leipzig | Bildquelle: Bach-Archiv Leipzig Sheila Rock, Decca Sir John Eliot Gardiner | Bildquelle: Bach-Archiv Leipzig Sheila Rock, Decca John Eliot Gardiner: Das ist sehr leicht zu sagen: Auf der einen Seite hat die Musik so viel Originalität. Auf der anderen Seite ist Schumann wirklich ein Kind seiner Zeit. Die zweite Symphonie ist ein tief frühromantisches Stück. Das merkt man, wenn man sie dirigiert, wenn man sie spielt. Man kann mit ihr wirklich die ganze Welt von Leipzig um 1841/42 wiederauferstehen lassen. Aber andererseits könnte die Symphonie auch für uns komponiert sein, für das Jahr 2017.

BR-KLASSIK: Da gibt es natürlich auch den Schumann'schen Ton, der einem so ans Herz geht.

John Eliot Gardiner: Er ist so poetisch. Es gibt diese enge Verbindung zwischen Sprache und Musik. Man kann nicht wirklich sagen, die Sprache ist wichtiger als die Musik oder die Musik ist wichtiger als die Sprache. Aber diese Mischung bei Schumann ist wichtig, auch wenn es keine Worte gibt. Man spürt, dass es im Hintergrund einen Text gibt, ein Gedicht, eine Ausstrahlung. Das ist wirklich Klangrede.

BR-KLASSIK: Beim Cellokonzert handelt es sich eigentlich um drei Charakterstücke, aber Schumann hat das durchkomponiert. Das ist doch auch neu, oder?

John Eliot Gardiner: Ja, aber er - und auch Mendelssohn - haben sehr viele Werke durchkomponiert. Man denke an Mendelssohns Schottische Symphonie oder Schumanns Vierte und das Cellokonzert. Das war damals etwas Neues. Es gibt einen Bruch zum 18. Jahrhundert, wo alles streng aufgeteilt war, hin zur Romantik, wo alles viel fließender und flüssiger aufeinander folgt.

Das BR-Symphonieorchester hat die Fähigkeit, sehr transparent und leidenschaftlich zu spielen.
John Eliot Gardiner

BR-KLASSIK: Sie waren schon ein paar Mal beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, haben zum Beispiel Mendelssohn, Schubert und Berlioz dirigiert. Sind die Musiker jetzt schon eingestellt auf Ihre Vorstellungen, was Artikulation und Klang angeht?

John Eliot Gardiner: Das müssen Sie die Musiker fragen. Aber ich habe ein sehr gutes Gefühl, dass das Orchester sehr schnell versteht und auf alle meine Wünsche reagiert. Es hat diese Fähigkeit, sehr transparent und leidenschaftlich zu spielen - nicht mit dickem, fettem Käse, sondern viel leichter und feiner.

Das Interview wurde von der Redaktion an die Schriftsprache angepasst.

Sendung: "Leporello" am 7. Dezember 2017, 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Live-Übertragung auf BR-KLASSIK

John Eliot Gardiner und das BR-Symphonieorchester

Freitag, 8. Dezember 2017, 20:00 Uhr
München, Herkulessaal der Residenz

Robert Schumann:
"Manfred"-Ouvertüre
Cellokonzert a-Moll, op. 129
Symphonie Nr. 2 C-Dur, op. 61

Jean-Guihen Queyras (Violoncello)
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Sir John Eliot Gardiner

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