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Cellistin und Autorin Katharina Deserno "Im 19. Jahrhundert waren Cellistinnen ein Skandal"

Jacqueline du Pré, Maria Kliegel, Sol Gabetta – Frauen am Cello sind heute eine Selbstverständlichkeit. Doch es war nicht immer so: Früher wurde das Instrument als ausschließlich männlich verstanden. Katharina Desernos neues Buch "Cellistinnen" beleuchtet den Transformationsprozess, den das Cello durchlaufen hat und stellt die Pionierinnen des Cellos Lise Cristiani und Guilhermina Suggia vor.

Die Cellistin Katharina Deserno | Bildquelle: katharinadeserno.de

Bildquelle: katharinadeserno.de

BR-KLASSIK: Ihr Buch "Cellistinnen" trägt einen komplexen Untertitel: "Transformationen von Weiblichkeitsbildern in der Instrumentalkunst". Früher war das Cello ein reines Männerinstrument, warum haben Frauen damals das Cello nicht in die Hand genommen? Was haben Sie dazu bei den Forschungen zu Ihrem Buch herausgefunden?

Katharina Deserno: Der Grund dafür war einerseits der tiefe Klang, dann die Größe des Instruments – man muss es ja auch tragen und mit ihm herumlaufen. Und das widerspricht dem Bild der Zartheit und der Schwäche der Frau, wie es vor allem im 19. Jahrhundert vorherrschte. Und dann kommt noch etwas ganz Entscheidendes dazu: die Haltung. Man nimmt das Cello normalerweise zwischen die Beine, und zwar zwischen die geöffneten Beine. Das war der größte Stein des Anstoßes.

Cellistinnen - im 19. Jahrhundert ein Skandal

BR-KLASSIK: Irgendwann kam es dann aber doch dazu, dass Frauen das Cello in die Hand genommen haben. Wann hat dieser Wandel eingesetzt? Gab es einen Impuls, die geschlechterspezifische Zuordnung aufzulösen – zumindest am Cello?

Katharina Deserno: Ja, das kann man auch bei anderen Instrumenten beobachten. Beim Cello ist es vielleicht insofern besonders interessant, weil es ein ganz kurzer Wandlungsprozess war. Da spielt die Cellistin Lise Cristiani, über die ich in meinem Buch ausführlich schreibe, eine große Rolle. Sie ist tatsächlich nach dem aktuellen Stand der Forschung die erste Frau, die mit dem Cello eine erfolgreiche und sehr interessante Solokarriere machte. Im 19. Jahrhundert war das erst ein Skandal, aber sie schaffte es, das bürgerliche Publikum zu überzeugen – zumindest für eine gewisse Zeit.

Weite Röcke und engelhafter Klang

BR-KLASSIK: Das muss ja auch ein Dilemma gewesen sein: einerseits für den Mut, etwas ganz Neues zu wagen, bewundert zu werden, aber auch gleichzeitig sehr kritisch betrachtet zu werden, vielleicht sogar verächtlich. Wie ist Lise Cristiani damit umgegangen?

Buchcover - Katharina Deserno: "Cellistinnen" | Bildquelle: Verlag Böhlau Das Cover von Katharina Desernos Buch "Celistinnen" | Bildquelle: Verlag Böhlau Katharina Deserno: Lise Cristiani hatte eine ganz spannende Strategie. Sie hat kompromisslos ihre Karriere durchgezogen, aber sie hat in der Art, wie sie sich präsentiert und gekleidet hat – sogar bis zur Auswahl und Interpretation ihrer Stücke – sehr stark den weiblichen Bildern des 19. Jahrhunderts gehuldigt. Sie trug ein „weitwallendes Kleid, wodurch alle Konturen des Körpers verschleiert wurden“ - das ist ein Pressezitat - also ein Kleid, das die Beinhaltung unsichtbar machte. Sie hat viel langsame Stücke gespielt und sogar die tiefen Saiten vermieden. Und sie hat einen Klang besonders gern produziert: das natürliche Flageolett, und das ist ein sehr engelhafter, reiner, purer, zarter Klang.

BR-KLASSIK: Sie haben in Ihrem Buch ja auch noch das Leben einer anderen Cellistin aufgegriffen: Guilhermina Suggia. Wie hat sie dieses Problem angepackt?

Katharina Deserno: Als sie ihre Karriere startete – nach der Wende zum 20. Jahrhundert – hatte ja schon eine erste Frauenbewegung stattgefunden. Das heißt, bestimmte kritische Gedanken waren schon im Raum. Guilhermina Suggia hatte zudem einen Vater, der Cellist war und seiner Tochter von Anfang an alles, was in der Spielweise des Instruments irgendwie frauenspezifisch war, nicht beigebracht hat. Sie hat das Repertoire gespielt, was gerade aktuell war und hat immer versucht, sich nicht in eine spezifische Frauenecke drängen zu lassen. Das kann man auch deutlich an dem Stück "Epilogue" sehen, das die Komponistin Rebecca Clarke für sie komponiert und ihr gewidmet hat – ein langsames Stück zwar, aber mit vollem Celloklang und sehr expressiv; von Zartheit und Dezenz ist da nichts zu bemerken.

Es ist möglich, eine weibliche Performance zu liefern, die keine Klischees mehr nötig hat.
Katharina Deserno

Das Abendkleid als Cello-Mode

BR-KLASSIK: Sie haben seit 2015 eine Professur an der Frankfurter Musikhochschule. Davor haben Sie Ihr Buch geschrieben als Dissertation für Ihren Doktor in Philosophie. Ganz provokant gefragt: Haben Sie das Gefühl, dass es noch irgendein Cello-Klischee gibt – irgendetwas Frauenspezifisches?

Die Cellistin Katharina Deserno | Bildquelle: katharinadeserno.de Cellistin und Buchautorin Katharina Deserno | Bildquelle: katharinadeserno.de Katharina Deserno: Das ist wirklich lustig, aber es gab wirklich Frauen, die bis ins 20. Jahrhundert noch in diesem sogenannten Damensitz gespielt haben. Heute haben wir alle die gesunde und aktuell gute Haltung. Was aber interessant ist: das weite, wallende Abendkleid hat sich gehalten als Mode. Und das sieht ja auch sehr schön aus. Man kann beobachten, dass es sich zwar von der Funktion, die es bei Lise Cristiani hatte - dass es etwas verdecken sollte - verabschiedet hat, es sich aber hält und sich auch modernisiert. Es ist durchaus möglich, eine weibliche Performance zu liefern, die trotzdem in der Interpretation keine Klischees mehr nötig hat.

BR-KLASSIK: Sie tragen auch ein Kleid, wenn Sie auftreten?

Katharina Deserno: Ich trage sehr gerne Kleider. Diese Kleider müssen elegant und trotzdem vor allem bequem sein – damit man sich optimal und frei bewegen kann auf der Bühne und mit dem Instrument.

Infos zum Buch

Katharina Deserno:
"Cellistinnen - Transformationen von Weiblichkeit in der Instrumentalkunst"
540 Seiten, kartoniert / broschiert, 24 schwarz-weiße und 8 farbige Abbildungen
Preis: 65,00 Euro
erschienen beim Böhlau-Verlag, Wien & Köln

Sendung: "Leporello" am Freitag, 29. Juni 2018 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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