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Kritik: Online-"Falstaff" an der Bayerischen Staatsoper Glitzer-Traumwelt am heimischen Bildschirm

Die ursprünglich für die Opernfestspiele im Sommer 2020 angesetzte Neuproduktion von Verdis letzter Oper "Falstaff“ wurde jetzt schließlich vor leeren Zuschauerreihen im Nationaltheater als reiner Video-Livestream übertragen. Kammersänger Wolfgang Koch gab in der Titelrolle sein Rollendebüt und auch für die slowenische Regisseurin Mateja Koležnik war es ihre erste Oper. Und erstmals bespricht auch unsere Kollegin Franziska Stürz eine Premiere, die sie nicht im Saal, sondern am heimischen Bildschirm miterlebt hat.

Szene aus "Falstaff" an der Bayerischen Staatsoper (Premiere 2.12.2020) | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Die Kritik anhören

Das Beste kommt bekanntlich häufig zum Schluss,.Und so ist es auch bei dieser Münchner Live-Stream-Falstaff-Premiere, die einen knapp drei Stunden lang in ein hin- und herfahrendes, holzgetäfeltes Türenkabinett hineinzieht.

Fremde Welt mit poppigem Flair

Das Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt auf der Staatsopernbühne bietet außer 16 Türen auch noch viel Stauraum hinter den Holzpaneelen für Schuhe, Glitzerklamotten oder Toilettenpapier. Ist es ein Casino? ein Hotel? Sind wir in den USA, in Europa? Die Verortung der Handlung bleibt unklar in dieser Inszenierung, die poppigen Kostüme weisen in die 1960er-, 70er-Jahre. Alle Charaktere wirken überzeichnet, tragen Pelz und Schlangenleder, dicke Brillen und hochtoupierte Frisuren. Eine fremde Welt, diese Welt des Falstaff.

Die Inszenierung in Bildern

Doch im dritten Akt werden wir von weißen Federfächern und Elena Tsallagova als himmlisch singender Nanetta im Revuedress aus diesem erdrückenden Türenlabyrinth in eine verlockend glitzernde Traumwelt voll betörender Klänge entführt. Der Moment verstreicht und die harte Wirklichkeit holt Falstaff und die Zuschauer am Bildschirm wieder ein. Denn nach dieser gelungenen Feen-Szene setzt Regisseurin Mateja Koležnik in Falstaffs Schlussmonolog einen harten Schnitt und lässt nur noch eine Aufnahme des Finales mit privaten Videoprojektionen der Solistinnen und Solisten einspielen. Um zu zeigen, wie weh es tut, wenn die Kunst nicht mehr da ist. Das wirkt im Zuschauerraum sicherlich stärker, als in der Aufnahme im kleinen Guckkasten des Bildschirms.

Schmerzlicher Verlust des Live-Erlebnisses

Enorm präsent in der Staatsopern-TV-Übertragung sind die vier wunderbar agierenden Frauen, die sich am lüsternen Sir John Falstaff rächen. Allen voran Ailyn Pérez als Alice Ford mit glutvollem Sopran und Feuer im Blick – den bekommt man im Livestream natürlich deutlicher mit, als im Zuschauerraum. Und genau hier liegt die große Herausforderung, die Rollendebütant Wolfgang Koch trotz wunderbarer Gesangspassagen darstellerisch nicht überzeugend meistert. Wo bleibt die viel besungene Maßlosigkeit, wo die Lüsternheit und die Selbstüberschätzung in diesem Charakter? Stimmlich kann Kochs Falstaff locker mithalten mit dem deutlich jüngeren Ford, dem Boris Pinkhasovich beachtlichen Kern verleiht. Aber die Figur des alternden Falstaff, der das Leben noch schöpfen will, der sich hinter einer Maske versteckt und uns am Ende sein "tutto il mondo e burla“ – "alles in der Welt ist Posse" – entgegenschleudert, diese Figur zeigen weder Koch noch Regisseurin Koležnik.

Ersatz für ausgehungerte Opernfreunde

Dirigent Michele Mariotti holt voller Verve mit dem Bayerischen Staatsorchester die vielschichtigen Verwebungen und Facetten aus Verdis enormer Partitur hervor und macht den schmerzlichen Verlust des Live-Erlebnisses spürbar. Könnte man doch in diesen Klängen baden, bei ihnen im Raum sein – das Streaming-Angebot auch dieser Falstaff Premiere ist und bleibt ein Ersatz, für den der ausgehungerte Opernfreund dennoch äußerst dankbar ist.

Besetzungen und weitere Informationen auf der Website der Bayerischen Staatsoper

Sendung: "Allegro" am 3. Dezember 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK und als Videostream auf br-klassik.de/concert am 3. Dezember 2020 um 20:00 Uhr

Kommentare (1)

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Dienstag, 15.Dezember, 09:18 Uhr

Karl H. Kirchmann

LOHENGRÜN

Wiedereinmal eine kleine Opernvergewaltigung. Aber gelungene kammermusikalische Seite. Die Oper müsste in ELSA umbenannt werden. Eine strahlend schöne Frau mit strahlend schöner Stimme. Wegen ihr allein würde ich nach Berlin kommen. Lohengrin sang einenzu lauten Othello, aber trotzdem erfreulich. Zwei Opern in eins.
Ortrud besonders böse und hervorragend, Allwetterkönigbass wie immer erfreulich. Vom Hin- und Heerrufer würde ich auch Anderes gern hören.
Also, im Mai hin nach Berlin, sich in die erste Reihe setzen, Elsa geniessen und überwiegend die Augen schliessen, um die Inszenierung (Oper ist keine moralische Anstalt) zu vergessen

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