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Kritik – Tschaikowski-Ouvertüren am Bayerischen Staatsballett Der Zauber von Anfängen

Lauter Anfänge, kein Ende? Ein bisschen seltsam wirkt die Idee des Choreografen Alexei Ratmansky, die er da in seiner Neukreation für das Bayerische Staatsballett hatte. Er choreografierte zu Tschaikowskis Fantasie-Ouvertüren nach "Hamlet", "Romeo und Julia", sowie der Fantasie über "Der Sturm". Drei große Shakespeare-Dramen, hier eingekocht zu dichten musikalischen Werken.

Szene aus "Tschaikowski-Ouvertüren" am Bayerischen Staatsballett, Dezember 2022 | Bildquelle: Carlos Quezada

Bildquelle: Carlos Quezada

Doch was ist der Reiz daran, lauter große Geschichten anfangen zu lassen und keine Handlung auszuführen? Da sei er selber gespannt drauf, erklärte er lakonisch bevor er mit den Proben in München begann. Dass Ratmansky diese klassischen Werke kennt aber ist sicher. Bekannt wurde der gebürtige Russe neben seiner tänzerischen Karriere damit, dass er die Werke der klassischen Ära des russischen Balletts rekonstruierte. Penibel studierte er alte Aufzeichnungen und Notationen. Studierte die manchmal fremde alter Technik mit den Tänzerinnen und Tänzern ein. In München schuf er 2014 so eine neue, aber ganz ursprüngliche Version von "Paquita". Doch auch seine eigenen Choreografien sind inspiriert vom klassischen Schrittmaterial. Er lerne von den alten Meistern, erklärt er. Am Tag vor Weihnachten hatte die Uraufführung seiner Neukreation für die Münchner Kompanie Premiere.

Klassischer Tanz mit kleinen Fehlern

Szene aus "Tschaikowski-Ouvertüren" am Bayerischen Staatsballett, Dezember 2022 | Bildquelle: Carlos Quezada Bildquelle: Carlos Quezada Klassische Ballettschritte in großen Raumformationen treffen auf Trios, auf Duos, auf Pas de Deux. Das ist alles bekannt. Und trotzdem stimmt hier etwas nicht. In Alexei Ratmanskys "Tschaikowski-Ouvertüren" schieben sich immer wieder kleine Fehler in die bekannten Formen. Plötzlich eine Gruppe Tänzerinnen und Tänzer in der Bühnenmitte, mehr als menschlicher Haufen, weniger ordentlich aufgereiht. Eine große Corps-Szene, die Tänzerinnen posieren aufgereiht in der Diagonale – plötzlich lassen sie die Hüften kreisen. Die Körperhaltung kippt – im wahrsten Sinne –  auch aus der klassischen Achse ins Moderne. Nur kurz. Dann richten sich alle wieder auf. Der Tänzer Osiel Gouneo taucht auf in der Fantasie-Ouvertüre zu "Hamlet". Wiederholt die Reverence, die elegante Verbeugung vor dem Publikum, mit der Shale Wagman das Stück eröffnet hatte. Doch Gouneo wirft sie mehr hin, bei ihm ist sich lässiger, weniger höfisch. Moderner.

António Casalinho zeigt ein Solo auf höchstem Niveau

Diese kleinen Verschiebungen durchziehen Ratmanskys Stücke zu diesen drei Shakepeare-Ouvertüren von Tschaikowski. Im "Sturm", dem Mittelstück des Abends kippt das ins Wilde und Witzige. Im Pas de Deux von Madison Young und Ariel Merkuri: Sie trippelt in klassischen Courus vom Liebhaber weg. Er trippelt ihr kniend hinterher, lässt einen schmunzeln. Doch dann gibt es auch wieder klassischen Tanz ins virtuoser Höchstform. António Casalinho tanzt eine Manege – Sprünge, Drehungen, voller Wahnsinn, der schmächtige Tänzerkörper scheint zu bersten, hält Stand und zeigt ein athletisches Niveau, dass zur Zeit der großen Handlungsballette im 19. Jahrhundert noch völlig fern war.

Ratmansky braucht keine Exotismen, keine Mann-Frau-Klischees mehr

Szene aus "Tschaikowski-Ouvertüren" am Bayerischen Staatsballett, Dezember 2022 | Bildquelle: Carlos Quezada Bildquelle: Carlos Quezada Genau dieses Spannungsfeld umkreist Ratmanksy mit seinem "Ballett in drei Akten" immer wieder. Ratmansky, der bekannt ist für seine großen Klassiker-Rekonstruktionen, greift auch in seinen eigenen Choreografien auf die Formen und Schritte der Klassik zurück. Seine Tänzerinnen tragen alle Spitzenschuhe, man sieht größtenteils aufrechte Körper, ausgedrehte Beine, hohe Arabesquen. Und mit Tschaikowskis Musik bezieht er sich natürlich auch musikalisch auf die große Ära des Balletts. Und doch hebt er all das ins Abstrakte, ins Indifferente. Er braucht keine Exotismen, keine Mann-Frau-Klischees mehr. Das Bühnenbild ist wie ein abstraktes, zerschnittenes Gemälde, das sich verschiebt, kurz einen Baum, eine Landschaft wie in Tintenschlieren andeutet, das aber nie ausformuliert. Genauso ist auch Ratmanskys Umgang mit Handlung.

Fragmente der großen Shakespeare-Dramen werden spürbar

Man spürt beim Hamlet die Vertrauenskrise des dänischen Prinzens in den verschiedenen tänzerischen Begegnungen. Man erkennt die Wildheit der Seefahrergeschichte im Sturm. Man fühlt den großen Pathos der tödlichen Liebe von Romeo und Julia. Fragmente, Ahnungen dieser großen Geschichten zeigen sich in abstrakten Bewegungsstudien voll von großer Lust an großer tänzerischer Kunst. Das ist emotional manchmal ein bisschen sperrig. Doch die Unbedingtheit mit der Ratmansky den klassischen Tanz in die Gegenwart hievt und die Perfektion der Tänzerinnen und Tänzer des Bayerischen Staatsballetts, machen die "Tschaikowski-Ouvertüren" zu einem großen Erlebnis.

Sendung: "Allegro" am 27. Dezember 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (5)

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Freitag, 30.Dezember, 18:33 Uhr

Euphrosine

ein Füllhorn an Invention

...bietet dieser Ballettabend, weit mehr, als sich bei einmaligem Sehen erfassen ließe.
Einsatz, Fortführung und Brechung klassischer Bewegungsfolgen machen sicher noch mehr Vergnügen, wenn man ein wenig "ballettgewöhnt" ist, aber ich denke, jeder mit offenen Augen kann sich daran erfreuen. Wunderbar auch, wie der Choreograph die speziellen Qualitäten der einzelnen, durchweg hervorragenden Tänzer herausstellt. -
Ich bin ein wenig verstimmt und schlapp in die Vorstellung gekommen und kam bestens gelaunt und voller Energie wieder heraus!

Mittwoch, 28.Dezember, 15:30 Uhr

Alex

Ratmansky

Altmodisch und untalentiert

Dienstag, 27.Dezember, 08:21 Uhr

Axel Peppermüller

Ballett Ouvertüren

Wir waren gestern in der Vorstellung und waren b e g e i s t e r t!
Tolles Ensemble, Orchester und Solisten.
Fazit hingehen und u n b e d i n g t anschauen.
Super!!!

Sonntag, 25.Dezember, 00:11 Uhr

Sabine Kippenberg

Ouvertüren

Bitte lesen.

Samstag, 24.Dezember, 18:18 Uhr

Wolfgang

Eine "Seefahrergeschichte"...

...ist Shakespeares "Sturm" wohl kaum.

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