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Kritik - "Pierrot Lunaire" in Berlin Dagmar Manzel glänzt in der Dunkelheit

Schwärze auf der Bühne. "Pierrot Lunaire" kommt mit wenig Licht aus. Beim Melodram-Abend an der Komischen Oper Berlin war alles geboten: gespenstisches Grauen gepaart mit virtuoser Stimmkunst.

Szene aus "Pierrot Lunaire" an der Komischen Oper Berlin | Bildquelle: Monika Rittershaus

Bildquelle: Monika Rittershaus

Es beginnt mit großem Lärm. Die gut dreihundert Zuschauer sitzen sehr locker verteilt im großen Saal der Komischen Oper Berlin. Schlagartig geht das Licht aus, der Krach beginnt. Dann schält sich als kleiner Farbfleck ein roter Mund aus der Schwärze. Samuel Becketts Monolog "Nicht ich" beginnt. Ein Redeschwall, eine Wortkaskade, ein überwältigendes Sprachkunstwerk, in dem eine Frau über eine andere Person spricht, nicht über sich selbst. Oder vielleicht doch?

Samuel Beckett: "Nicht ich" und "Rockaby"

Ist das ihre Art, mit dem erlebten Schrecken zurecht zu kommen? In diesem Spätwerk des irischen Dichters wird nichts erklärt, die Worte strömen gehetzt dahin. Wie in einer Solopartita von Johann Sebastian Bach muss die Interpretin dem Werk selbst eine Struktur geben. Mit Erinnerungsmotiven und Wortwiederholungen hat Beckett dem Werk eine Musikalität eingeschrieben, die von Dagmar Manzel virtuos umgesetzt wird. Die grellroten Lippen und die strahlendweißen Zähne reflektieren das Licht in den Saal, nicht jeder Halbsatz kann und soll verstanden werden, aber das Grauen des Erlebten stürzt auf den Zuschauer ein.

Der Traum von Schönbergs Melodram

Darauf mit "Rockaby" ein weiteres Spätwerk Becketts, in dem eine alte Frau im Schaukelstuhl auf den Tod wartet, um doch in den Pausen der Erzählung immer nach "mehr" zu rufen. Schließlich stirbt sie, dämmert weg in die Dunkelheit.

Szene aus "Pierrot Lunaire" an der Komischen Oper Berlin | Bildquelle: Monika Rittershaus Bildquelle: Monika Rittershaus Beide Monologe finden vor schwarzem Hintergrund an der Rampe statt, da ist es fast ein Schock, wenn sich der Vorhang öffnet und den Blick freigibt auf die beinahe leere Bühne. Von ganz hinten holt Dagmar Manzel, nun im Matrosenanzug, ein Bett nach vorne. Legt sich hinein. Steht wieder auf, um ein Kissen zu holen. Dann erzählt sie ihrem Teddy die Geschichte vom mondsüchtigen Pierrot, der sich zurück nach Bergamo träumt. Ausgerechnet Bergamo. Aber dieser Abend ist nicht die Antwort der Komischen Oper Berlin auf Corona, wie der regieführende Intendant Barrie Kosky danach betonen wird.

Dagmar Manzel überzeugt mit flexiblem Stimmeinsatz

Die Antwort des Hauses auf die Pandemie wird erst Jacques Offenbachs "Großherzogin von Gerolstein" Ende Oktober sein, inszeniert von Kosky selbst. Diese Premiere mit Beckett und Schönberg ist vor allem ein Abend für Dagmar Manzel, die schon als junge Frau davon träumte, Schönbergs Melodram einmal spielen zu dürfen. Diese Liebe zum Werk merkt man ihre Interpretation an. Sie verfällt nicht in den Fehler vieler Opernsängerinnen, die genau notierten Töne singen zu wollen, sondern deklamiert sie, hält das Werk in der Schwebe zwischen Sprechen und Singen, wechselt die Klangfarben und Sprechhaltungen ebenso virtuos wie den Tonfall zwischen Sarkasmus, Witz, Verzweiflung und Melancholie.

Szene aus "Pierrot Lunaire" an der Komischen Oper Berlin | Bildquelle: Monika Rittershaus Bildquelle: Monika Rittershaus Schade, dass man sich an der Komischen Oper für eine Mikrofonverstärkung entschieden hat. Das nimmt der Vorstellung etwas von jener körperlichen Präsenz, die "Nicht ich" mit der genau dosierten Atemlosigkeit hatte. Das wäre bei der prägnanten und nie zu lauten Interpretation durch die zwei Musikerinnen und drei Musiker des Orchesters der Komischen Oper Berlin unter dem Dirigenten Christoph Breidler wahrscheinlich gar nicht nötig gewesen. Selbstverständlich funktioniert der heterogene Abend auch so, schließlich zeugten die lange Stille nach der Aufführung und der begeisterte Applaus von Dagmar Manzels großem Können, mit dem sie die drei Stücke zusammenhält.

Sendung: "Leporello" am 1. Oktober 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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