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Kritik – "Die Kluge" am Gärtnerplatztheater München Verdächtiger Schwulst auf der Showtreppe

Carl Orffs Oper nach einem Märchen von Gebrüder Grimm bietet genug Zündstoff, um das Schaffen des Komponisten kritisch unter die Lupe zu nehmen: Immerhin wurde das Werk sowohl von den Nazis bei der Uraufführung 1943, als auch von den DDR-Machthabern Jahre später frenetisch gefeiert. Die Inszenierung von Lukas Wachernig am Münchner Gärtnerplatztheater macht jedoch einen großen Bogen um die umstrittene Werksgeschichte.

"Die Kluge" am Gärtnerplatztheater München | Bildquelle: © Christian POGO Zach/Gärtnerplatztheater

Bildquelle: © Christian POGO Zach/Gärtnerplatztheater

Premierenkritik

"Die Kluge" von Orff am Gärtnerplatztheater in München

Entweder hat Carl Orff in diesem Fall alles richtig gemacht oder vieles falsch, je nach Sichtweise. Jedenfalls wurde mit seiner 1943 kurz nach der Niederlage von Stalingrad uraufgeführten Oper "Die Kluge" die "Gau-Kulturwoche" der Nazis in Cottbus eröffnet. Das war im März 1944. Ein paar Jahre später erhielt er für dasselbe Werk den Nationalpreis Dritter Klasse der DDR für Kunst und Literatur: Beifall also von ganz rechts und ganz links. Orff galt lange Zeit als "unpolitisch", stellte sich nach dem Krieg sogar als Opfer der Verhältnisse dar, obwohl die Nazis ihn auf die "Gottbegnadetenliste" setzten, also offiziell zu einem ihrer besonderen Lieblinge erklärten.

Widerstandskämpfer im Gleichschritt

"Die Kluge" am Gärtnerplatztheater München | Bildquelle: © Christian POGO Zach/Gärtnerplatztheater Bildquelle: © Christian POGO Zach/Gärtnerplatztheater Orffs Musik hatte schon mal mehr Konjunktur, gilt heute vielen als reichlich öde, bemüht folkloristisch und kleinkariert, ja sogar vom Meister des "rhythmischen Gleichschritts" war im "Spiegel" 1982 mal boshafter Weise die Rede. Eine Inszenierung des 85-minütigen Werks "Die Kluge" hätte also viel Grund gehabt, Orff kritisch unter die Lupe zu nehmen. Doch der sehr junge steirische Regisseur Lukas Wachernig und die musikalischen Arrangeure Wilfried Hiller und Paul Leonard Schäffer hatten dazu ganz offensichtlich wenig Lust. Ganz im Gegenteil: Im Programmheft des Münchner Gärtnerplatztheaters wird Orff fast schon als Widerstandskämpfer hingestellt, weil er mit Angelika Probst verheiratet war, der Schwester eines Mitglieds der Weißen Rose, weil er Musik der "Comedian Harmonists" und Jazz zitiert habe.

Tanz auf der königlichen Showtreppe

Das ließ wenig Distanz vermuten, und so wurde "Die Kluge" denn auch eine gut gesungene und bedächtig dirigierte Fabel, die keinem weh tat. Leider. Denn auch das zugrunde liegende Märchen der Brüder Grimm "Die kluge Bauerntochter" spielte mit seinen psychoanalytischen Abgründen keine Rolle. Ein Bauer findet einen Mörser, aber nicht den dazu passenden Stößel und wird dafür vom König bestraft, die intelligente Tochter wickelt sich nackt in ein Fischernetz, um vorgelassen zu werden - da braucht es eigentlich nicht viel Fantasie, um die unterschwellige, sexuelle Thematik freizulegen. Das hätte zu einem süffigen freudianischen Bacchanal getaugt, passend zur Wiesn-Zeit sozusagen. Stattdessen turnten die Mitwirkenden auf der Probenbühne im Kellergeschoss des Münchner Gärtnerplatztheaters vergnügt und ausgelassen auf einer stählernen Showtreppe herum, an deren Spitze der königliche Thron postiert war. Immerhin kleidete Ausstatterin Stephanie Thurmair alle Solisten außer der "Klugen" in düsteres Schwarz und verbreitete so etwas Grusel-Atmosphäre.

Zwischen Marschtritt und Schunkelei

"Die Kluge" am Gärtnerplatztheater München | Bildquelle: © Christian POGO Zach/Gärtnerplatztheater Bildquelle: © Christian POGO Zach/Gärtnerplatztheater Lukas Wachernig zeigte das früher viel geschätzte Opern-Gleichnis als ziemlich altbackenen Geschlechterkrieg. Die titelgebende "Kluge" tauscht am Ende mit dem König die Rolle, sie besteigt den Thron und er kommt in die Kiste. Denn so Orffs Botschaft, Klugheit und Liebe vertragen sich nicht miteinander. Die Ambitionen des Regieteams waren also denkbar bescheiden, das Orchester auf eine reduzierte Fassung für 15 Instrumentalisten beschränkt. Musikalisch machte das trotzdem was her, Orffs Hang zum pathetischen Schwulst wurde hörbar, auch seine Liebe zu mehrheitsfähigen Tanzrhythmen. Dirigent Andreas Kowalewitz ging sehr gemächlich und gänzlich unaufgeregt zu Werke, da hätte etwas mehr Ironie gut getan, gerade auch bei den Passagen, bei denen unklar blieb, ob Orff in den Marschtritt oder ins Schunkeln verfallen ist.

Lockerer Umgang mit belastetem Werk

Der kroatische Bariton Matija Meic als König und die österreichische Sopranistin Sophie Mitterhuber als Kluge waren ebenso spielfreudig und wortverständlich wie die meisten anderen der neun Solisten. Den hier wichtigen, beiläufigen Parlando-Ton bewältigten sie hervorragend. Nichts wirkte angestrengt oder aufgesetzt. In gewisser Weise ganz im Sinne des "Meisters": Orff soll sich mal gewünscht haben, dass die Musiker mit seinen Partituren so "locker" umgehen wie mit Jazz-Improvisationen. Eine lockere und lässige Angelegenheit also, eindeutig zu locker und lässig für dieses historisch schwer belastete Werk und seinen einstmals verdächtig beliebten Komponisten.

Sendung: "Allegro" am 04. Oktober 2019 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Freitag, 04.Oktober, 13:15 Uhr

Katharina Kopf

seltsamer Shakespeare-Vergleich

Es ist bemerkenswert, dass die schriftliche, eingekürzte Version von Peter Jungbluts Kritik den höchst zweifelhaften Satz der eingesprochenen Version, Zitat: "Klugheit und Liebe vertragen sich nicht, das wusste schon Shakespeare", vermissen lässt. Für jene höchst simplifizierende Aussage wäre ein belegendes Beispiel angemessen gewesen, statt jenes banalen, allgemeinen Verweises.

Man denke an Rosalind aus "As you like it" als Exempel einer Frauenfigur Shakespeares, die aufgrund ihrer Intelligenz, ihrer Sprachgewandtheit und nicht zuletzt ob ihrer wohl überlegten Handlungen illustriert, dass Liebe und Klugheit sehr wohl miteinander zu vereinen sind. Vielleicht ist Herrn Jungblut dieses Werk nicht vertraut. In jenem Fall könnte man allerdings auch auf solch' eine verallgemeinernde Banalität verzichten.

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