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Kritik – Uraufführung von "Elizabetta" in Regensburg Zwischen Todesangst und Fitness-Wahn

Die Diva braucht Leichen: Aus Angst vor dem körperlichen Verfall lässt sich Elizabetta auf dunkle Machenschaften ein. Ein Gleichnis auf den Kolonialismus und seine Blutgier. Gabriel Prokofiev vertonte das so unterhaltsam wie ätzend sarkastisch.

Szene aus Elizabetta | Bildquelle: Jochen Quast/Theater Regensburg

Bildquelle: Jochen Quast/Theater Regensburg

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Auf die Idee können wohl nur Engländer kommen: Eine ganze Oper überwiegend in der Sauna, im Fetisch-Keller und im Fernsehstudio spielen zu lassen. Hört sich schräg an und ist es auch: Typisch britischer Humor. Rabenschwarz, bitterböse und voller Wortwitz, was David Pountney, der frühere Intendant der Bregenzer Festspiele, da zu Papier gebracht hat. "Sex ist ein Juckreiz, den ich nur noch selten kratze", heißt es da. Oder auch: "Ich möchte doch nicht mit Putin ein Blutbad teilen". Da ist vom "Mao unter den Hundemördern" die Rede, von Dracula und einer ungarischen Blutgräfin, die im 17. Jahrhundert tatsächlich 650 junge Frauen ermordet haben soll.

Kolonialistische Blutgier

Es geht um Jugendwahn, um die irren Auswüchse der Schönheitsindustrie, aber im übertragenen Sinne auch um die Ausbeutung der Dritten Welt, deren Lebenssäfte die Erste Welt anzapft, um sich stetig zu verjüngen, also kolonialistische Blutgier. Da kämpft die junge Anna selbstlos im Kongo gegen Ebola, wo kräftig Desinfektionsmittel in die Luft gepustet werden, während ihre Mutter, die berühmte kalifornische Filmschauspielerin Elizabetta scheinbar selbstlos zwei Flüchtlingsfrauen bei sich aufnimmt, es aber in Wahrheit nur auf deren Blut abgesehen hat. "Ihr müsst nicht arbeiten", sagt sie noch scheinheilig zu den Kongolesinnen, "aber wenn ihr Euch im Haushalt betätigen wollt ..."

Buschtrommeln mit ätzender Ironie

Szenenbild aus der Oper "Elizabetta" am Theater Regensburg | Bildquelle: ©Jochen Quast Bildquelle: ©Jochen Quast Dazu lässt Komponist Gabriel Prokofiev, ein Enkel des berühmten russischen Namensvetters, mit ätzender Ironie Buschtrommeln erklingen. Er vertonte dieses wilde und aberwitzige Gleichnis um Todesangst und Fitness-Wahn überhaupt ausgesprochen sarkastisch. Da wird mal orientalisch wie zum Bauchtanz aufgespielt, mal stampfende House-Musik zitiert, mal ein Hip-Hopper auf die Bühne geschickt. Überwiegend wogt das Orchester freilich in epischer Breite recht filmmusikalisch dahin, was zu den schnellen Szenenwechseln auf der Bühne bestens passt, der Musik aber auch wenig Eigenleben, wenig prägnante Momente lässt. Dafür klingt das alles ausgesprochen unterhaltsam, abwechslungsreich, gegen Ende sogar im besten Sinne "schauerlich", wenn sich nämlich die ungarische Blutgräfin Elisabeth Báthory effektvoll aus ihrem Grab erhebt. Ja, Gabriel Prokofiev liebt nach eigener Aussage die Romantik mit ihren Spukgeschichten, und er hat eine populäre und zeitgemäße Sprache dafür gefunden.

Eher Béla Bartók als Sergei Prokofjew

Von der Musik seines Großvaters findet sich darin wenig, eher sind Anklänge an den ungarischen Komponisten Béla Bartók zu hören, mitunter gerät Prokofiev auch ins Musical-Fahrwasser, was er mit seinen erst 44 Jahren auch getrost darf. Klar, die Freunde Neuer Musik werden sich in dieser "Elizabetta" weder musikalisch, noch inhaltlich wohlfühlen, Avantgarde ist das nicht, aber funktionierendes Musiktheater, und das ist leider bei jüngeren Komponisten sehr selten zu erleben. Regisseur Marcus Lobbes war sein eigener Ausstatter und hatte eine klinisch weiße Wellness-Hölle entworfen: Gepolsterte, makellose Wände, eine bühnenbreite Showtreppe, wo sich Yoga-Jünger und Botox-Botschafter versammeln. Im Hintergrund sorgen Projektionen für schnelle Ortswechsel, ein Glitzervorhang verbreitet Show-Glamour. Kostümbildnerin Christl Wein hatte sich so bizarre wie entlarvende Outfits einfallen lassen, vor allem natürlich für die titelgebende Elizabetta, die erst in einem transparenten Fummel mit Kunstleder-Applikationen unterwegs ist, dann mit einem gruselig geäderten Abendkleid, schließlich in schwarzen Spinnweben und am Ende in einem Traum aus blutrotem Samt.

Herrlicher Trip durch den Optimierungs-Wahn

Szenenbild aus der Oper "Elizabetta" am Theater Regensburg | Bildquelle: ©Jochen Quast Bildquelle: ©Jochen Quast Vera Semieniuk macht das ganz großartig, ist eine fabelhafte Diva auf Hyaluronsäure-Entzug: Ihr ist jederzeit zuzutrauen, sich mit Hundeblut-Bädern verjüngen zu wollen. Adam Krużel als teuflischer Arzt ist ähnlich glaubwürdig und von schillernder Doppeldeutigkeit. Yudania Gomez singt mit ergreifender Präsenz eine kongolesische Mutter, die in diesem abgefahrenen Los Angeles die Orientierung verliert. Dirigent Chin-Chao Lin, der neue Regensburger Generalmusikdirektor, bringt die rechte Lust an der Persiflage mit, die diesem Stück gut tut. Ein herrlicher Trip durch die total verrückte Body-, Styling- und Medien-Welt mit all ihren Optimierungsverlogenheiten. Herzlicher Applaus, allerdings auch vernehmliche Protestrufe gegen das Regieteam.

Sendung: Allegro am 28.01.2019 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

"Elizabetta" am Theater Regensburg

Uraufführung am 26. Januar 2019
Oper von Gabriel Prokofiev (*1975)

Libretto von David Pountney nach einer Idee von Gabriel Prokofiev
Auftragswerk für das Theater Regensburg

Informationen zur Besetzung, Terminen und Tickets finden Sie auf der Homepage des Theaters Regensburg.

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