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"Fidelio" aus Kiew in Coburg "Freiheit ist ansteckend"

Die Anreise war abenteuerlich, die männlichen Mitwirkenden müssen den Militärdienst fürchten: Beethovens Revolutions- und Freiheitsoper kam in der Ukraine wenige Tage vor Kriegsbeginn heraus und tourt jetzt durch Deutschland - mit Stalin im Gepäck.

Bühnenszene, Gastspiel der Oper Kiew mit "Fidelio" am Staatstheater Meiningen | Bildquelle: Christina Iberl

Bildquelle: Christina Iberl

Alles andere als einfach, derzeit ein Bühnenbild von Kiew nach Deutschland zu bringen. Erstens gibt es Krieg, zweitens scharf bewachte Grenzen, und drittens verlangen alle Fahrer Vorkasse. Ob sie dann tatsächlich ihr Ziel ansteuern oder nicht doch irgendwo anders landen, wer weiß es. In diesem Fall ging es gut aus. Die Ausstattung für Beethovens "Fidelio" kam im thüringischen Meiningen an. Der Trick dabei: Der Fahrer bekam seine Sofortüberweisung erst, als er sich unterwegs in Ungarn vor einem markanten Gebäude fotografierte. Der Kiewer Theatermacher und Sänger Andrei Maslakov (46), der viele Jahre in Augsburg studiert hat, gegenüber dem BR: "Da haben wir ein bisschen gekämpft, unter den Bomben. Das Bühnenbild fuhr erst mal von Kiew an die rumänische Grenze bei Czernowitz und von dort 1.500 Kilometer nach Meiningen."

"Das ist schon was Gutes"

Szenenbild, Fidelio, Staatstheater Meiningen | Bildquelle: Anastasia Malsakova/Yurii Veres Bildquelle: Anastasia Malsakova/Yurii Veres Übrigens passte die gesamte Kulisse in einen "mittleren" Transporter, jeder Zentimeter wurde genutzt. Die Idee, sperrige Teile auf dem Dach durch Wind und Wetter zu transportieren, wurde nach etwas Nachdenken wieder fallen gelassen. Ein einziges Mal wurde der "Fidelio" aus Kiew jetzt am Theater in Meiningen aufgeführt, in Coburg, dessen Landestheater spontan den Chor stellte, soll es voraussichtlich am 8. und 9. Juni weitere Vorstellungen geben, auch in Heidelberg und im westfälischen Siegen. Für die Künstler ist das eine Art Psychotherapie, so Andrei Maslakov, denn sonst hätten sie nichts als den Krieg: "Dadurch, dass wir hier die Möglichkeit haben, unsere Kunst zu präsentieren, gelingt es mir als Regisseur und Organisator für die ganze Geschichte, unsere Sänger für zwei Wochen abzulenken, acht Stunden am Tag, das ist schon was Gutes."

Klar, die Proben haben hinten und vorne nicht gereicht, zumal die Sänger in wenigen Tagen deutsche Sprechdialoge lernen mussten, was sie achtbar bewältigten. Im Nachhinein hatten die Beteiligten allerdings das Gefühl, dass es wohl besser gewesen wäre, die Texte auf Ukrainisch spielen zu lassen, mit deutschen Übertiteln, als eindrückliches Sinnbild des Freiheitskampfs.

Einige Tage die Illusion von Normalität, denn alle Mitwirkenden haben natürlich in der Ukraine Verwandte, Freunde, Menschen, an die sie permanent denken, um die sie fürchten. Jens Neundorff von Enzberg (56), Intendant in Meiningen und früher Chef des Regensburger Theaters ist überzeugt: Solche Gastspiele sind wichtig, um Zeichen zu setzen - über reine Symbolik hinaus: "Es geht natürlich um unsere demokratischen und kulturellen Werte. Diese Sichtbarmachung ist ja in dieser Oper beabsichtigt. Der Beethoven hat diese Revolutionsoper am Beginn des 19. Jahrhunderts geschrieben, die einzige, die er in seinem ganzen Leben zu Papier gebracht. Das zeugt von einem demokratischen Verständnis und einem hohen kulturellen Wert, und wenn das alles nicht mehr sichtbar gemacht werden kann, ist das natürlich in Gefahr."

"Krieg hat mich gelehrt, keine Pläne zu machen"

Bühnenszene, Gastspiel der Oper Kiew mit "Fidelio" am Staatstheater Meiningen | Bildquelle: Christina Iberl Bildquelle: Christina Iberl Der Krieg verändert alles: Das Leben, die Arbeit, die Wahrnehmung von Zeit - was wichtig war, wird bedeutungslos, und umgekehrt, gerade auch für Zivilisten. Andrei Maslakov ist im Hauptberuf Bariton am Nationaltheater von Kiew, singt dort in Gounods "Faust", Donizettis "Liebestrank" und Puccinis "La Bohème" und leitet sein eigenes, kleineres Opernhaus nebenbei: "Ja, die Theater sind geschlossen, auf ungewisse Zeit. Die Nationaloper, wo ich Solo-Mitglied bin, hofft, dass sie am 21. Mai einen 'Barbier von Sevilla' aufführen kann. Schauen wir mal, wie dann die Situation ist. Die Lage ist ernst, das wissen wir ja, von heute auf morgen kann alles ganz anders sein. Der Krieg hat mich gelehrt, keine Pläne mehr zu machen. Der Krieg hat mich auch gelehrt, dass ich mich auf das konzentriere, was ich hier und heute erledigen kann, die nächsten Stunden werden dann zeigen, was danach geht."

Männer zwischen 18 und 60 dürfen die Ukraine ja eigentlich nicht verlassen, es musste eine Sondererlaubnis des ukrainischen Botschafters in Deutschland her, und selbst die reichte zunächst nicht. Was geschieht, wenn die Künstler zurück in die Heimat fahren, ist völlig unvorhersehbar, was Maslakov sichtlich mitnimmt: "Wissen wir noch nicht. Natürlich besteht immer die Möglichkeit, dass wir zum Militär müssen, wenn wir zurück sind, je nach Situation und wie viele Leute gebraucht werden."

Sonderlich zuversichtlich ist der Opernmacher derzeit nicht, woher sollte der Optimismus auch kommen: "Mein Realismus basiert auf dem, was ich gerade in diesem Moment sehe, wo wir jetzt gerade diesen Zustand haben, und da sehe ich kurzfristig keinen Ausgang. Natürlich wollen wir Frieden, der Krieg muss stoppen, sofort."

Zu Stalins Geburtstag gibt´s Erschießungen

Bühnenszene, Gastspiel der Oper Kiew mit "Fidelio" am Staatstheater Meiningen | Bildquelle: Christina Iberl Bildquelle: Christina Iberl Die Vorstellung zeigte übrigens, wie weit westliche und östliche Regiekonzepte auseinander liegen, hier oft experimentelle Sichtweisen, dort sehr realistisches Musiktheater mit einer klaren Botschaft. So spielte dieser "Fidelio" in einem KGB-Gefängnis, in dem gerade Stalins Geburtstag "gefeiert" wird, wie anders als mit Erschießungen. "Freiheit ist ansteckend", heißt es auf einem Transparent an der Bühnenrampe.

Vor dem Krieg gab es viel zu wenig Austausch zwischen Ost und West, was die Theatersprachen betrifft, legt dieser Abend nahe. Außer reisenden Balletttruppen mit "Schwanensee" und "Nussknacker" kamen ja kaum Künstler aus Osteuropa in deutsche Städte. Als die Deutsche Oper Berlin vor vielen Jahren mal Gastspiele - wohlgemerkt keine Koproduktionen - des Bolschoi-Theaters auf den Spielplan setzte, war das ein viel besprochenes Großereignis.

Jens Neundorff von Enzberg zum BR: "Ich finde, dass ist ein - leider notgedrungen - guter Weg, auch mal wieder einen kulturellen Austausch zu pflegen. Dieser Realismus wirft in Deutschland sicherlich Fragen auf. Aber unsere, um viele Ecken gedachten Interpretationen, lassen sich auch hinterfragen. Vielleicht findet man dadurch ja wieder einen positiven Realismus, um sich mit diesen Werken auseinanderzusetzen."

Sendung: "Allegro" am 5. Mai 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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