BR-KLASSIK

Inhalt

Premiere - Verdis "I due Foscari" an der Scala Pittoresk statt tragisch

"Giovanna d'Arco ist zurück in der Stadt" stand auf den Plakaten zur Eröffnung der diesjährigen Saison der Mailänder Scala. Verdis Oper hatte es nach ihrer Uraufführung 150 Jahre nicht auf den Spielplan geschafft. Und auch "I due Foscari", die zweite Verdi-Produktion dieser Spielzeit, war lange vergessen. Nach 120 Jahren ist sie jetzt zurückgekehrt – in einer eher starren Inszenierung, die kaum Beifall erntete. Aber mit einem sourveränen Plácido Domingo punktete.

Szenenbild aus "I due Foscari" von Verdi an der Mailänder Scala mit Plácido Domingo | Bildquelle: Teatro alla Scala

Bildquelle: Teatro alla Scala

Premiere - Verdis "I due Foscari" an der Scala

Pittoresk statt tragisch

In seiner Mailänder Dramaturgie baut Scala-Intendant Alexander Pereira dabei auf Produktionen auf, die er zuvor schon als ehemaliger Leiter der Salzburger Festspiele in Auftrag geben hat. "Giovanna d'Arco" war z.B. mit den gleichem Staraufgebot (Anna Netrebko und Francesco Meli) bereits in Salzburg konzertant aufgeführt worden. Und "I due Foscari" scheint nun eine Fortsetzung des Salzburger "Il Trovatore" zu sein. In beiden Produktionen singen Francesco Meli und Plácido Domingo. Und vor allem das Regiekonzept von Alvis Hermanis scheint nun bei "I due Foscari" fortgesetzt.

Familiengeschichte als "tableaux vivants"

War es bei "Il Trovatore" eine "Nacht im Museum", bei der zumindest die Museumswärter und Besucher psychologisch vorgeführt wurden, ist die Familiengeschichte der Foscari aus dem Venedig des 15. Jahrhunderts zu einem Bilderreigen "lebender Bilder" (tableaux vivants) geworden, der zahlreiche Venedig-Gemälde spiegelt: vor allem Historienbilder des Malers Francesco Hayez aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Hayez zitiert wiederum Gemälde aus dem 15. Jahrhundert. Die Personen, selbst aufgeregte Volksmengen sind fast bewegungslos, bestenfalls in pathetischen Gesten erstarrt. Bewegung übernimmt nur eine zehnköpfige Ballettgruppe junger Männer, die als Gondoliere mit Stäben oder als maskierte Venezianer synchron zu der so oft erregten Musik hektisch agieren und dabei wenig überzeugen.

Mag sein, dass "Lebende Bilder" (Tableaux Vivantes) im 19. Jahrhundert eine beliebte Kunstform waren. Und manche italienische Operninszenierung scheint unfreiwillig oft nicht viel weiter hinauszukommen. Aber Hermanis‘ programmatische Verweigerung gegenüber interpretierender Musiktheaterregie scheint in eine Sackgasse geraten zu sein.

An "I due Foscari" lässt sich durchaus viel Aufregendes entdecken. Dass Venedig in dieser Oper (die Vorlage stammt von Lord Byron) von Folter, Kerker, Intrigen und Boshaftigkeit gegenüber gerade denen, die die Heimat besonders lieben, bestimmt ist, wollten die Venezianer 1845 nicht sehen. Die für Venedig vorgesehene Uraufführung musste Verdi deshalb zurückziehen. "Venedig kann sehr kalt sein." Aber bei Hermanis wirkt die Oper nur pittoresk. Und auch dass interessanterweise in ihr statt einer Handlung nur die tragische Situation einer gedemütigten Adelsfamilie gezeigt wird, unterstreicht er nicht. Dem italienischen Premierenpublikum schien die Regie eher gleichgültig, es gab zwar diesmal nicht - wie zuletzt in Paris - laute Buhs, aber auch kaum Beifall.

Domingo in der Bariton-Rolle ein Erlebnis

Überraschend die Musik! Michele Mariotti - beim Rossini-Festival in Pesaro ein beeindruckender Belcanto-Opern-Dirigent - holt aus dem Orchester vor allem die schrillen, fast volkstümlich derben Elemente, die bisweilen auf "Macbeth" zu verweisen scheinen, heraus. Fast ein Gegenstück zum Belcanto. Zumindest zu Beginn wirkt Francesco Meli dann doch allzu forciert, zu dramatisch. Noch forcierter aber agiert die Debutantin Anna Pirozzi. Doch während Melis Stimme an Wärme und Zuschauergunst gewinnt, muss Anna Pirozzi dann Zischen und einige Buhrufe einstecken.

Ein Erlebnis aber weiterhin - oder gerade jetzt! - Plácido Domingo in der Baritonrolle des alten Fosca. Er hat ihn zuletzt einige Male in Wien, Los Angeles und London gesungen, wobei er mit 75 Jahren - würde man es historisch streng nehmen - um neun Jahre zu jung für den sterbenden, abgesetzten Dogen ist. Mag sein, dass Domingo nicht den Schönheitsvorstellungen eines weiten, fülligen Heldenbaritons entspricht. Doch auf spannende Weise scheint in ihm immer wieder noch der Klang des ehemaligen schmetternden Tenorhelden dramatisch nachzuhallen. Ein überzeugendes Gegengewicht also zum Hype um die ganz jungen, unverbrauchten Stimmen.

    AV-Player