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Kritik - "Nixon in China" an der Staatsoper Stuttgart Landung auf dem Blutmond

Mao als Sektenprediger und Nixon als verwirrter Astronaut: Regisseur Marco Štorman gelingt eine umjubelte Deutung über Helden in der Umlaufbahn. Statt platter Satire gibt es Psycho-Krieg und düsteres Historienspektakel über Politik als Kunst der Auslöschung. BR-KLASSIK-Kritiker Peter Jungblut war bei der Premiere dabei.

Szene aus "Nixon in China" an der Staatsoper Stuttgart | Bildquelle: Matthias Baus/Staatsoper Stuttgart

Bildquelle: Matthias Baus/Staatsoper Stuttgart

Es beginnt mit einer harten Mondlandung, aber es kommt dabei niemand zu schaden, außer einer Mao-Bibel. Ungebremst und ohne Fallschirm fällt sie aus dem Bühnenhimmel, schlägt klatschend auf und bringt die Außerirdischen prompt zum Lachen. Wenn nicht alles täuscht, ist das hier doch eher die Rückseite des Mondes, also die Gegend, wo die Chinesen im Januar einen Satelliten aufsetzten, denn ganz augenscheinlich waren die Amerikaner noch nie da. Sonst würden der amerikanische Präsident Richard Nixon, seine Frau Pat und Außenminister Henry Kissinger, die auf Besuch vorbeikommen, nicht so verloren, ja total geplättet wirken.

Die Inszenierung in Bildern

Treffend und sehr aktuell

Herrlich treffend und ausgesprochen aktuell, was sich Regisseur Marco Štorman und sein Team da am Stuttgarter Staatstheater haben einfallen lassen. "Nixon in China" heißt die Oper, aber es geht ja gar nicht um einen langweiligen und ergebnislosen Staatsbesuch im Februar 1972, sondern um den Kampf der Kulturen und Systeme, um das Aufeinandertreffen von zwei Politikern, die mindestens so weit voneinander entfernt sind wie die Erde vom Mond, sich allerdings auch umkreisen, anziehen und abstoßen. Mao, das ist hier ein fernöstlicher Sektenprediger, der gern barfuß unterwegs ist, Unmengen von Büchern liest und jede Menge dummes Zeug erzählt, was er als Philosophie ausgibt. Klar, dass ein typisch amerikanisches Ehepaar wie Herr und Frau Nixon damit wenig bis gar nichts anfangen kann: Er interessiert sich für die Wirtschaft und Krisenherde, sie für Abenteuer und schöne Kleider.

Nixon vor der Chinesischen Mauer

Was sie garantiert nicht sehen wollen, sind Schweinemast-Anlagen und revolutionäre Ballett-Aufführungen, bei denen Tänzerinnen ausgepeitscht werden. Es ist eine so fulminante wie aberwitzige Revue auf einem revolutionären Blutmond, die Marco Štorman zeigt, ein bizarres Kräftemessen zwischen zwei Kerlen, die beide über dreieinhalb Stunden aneinander vorbei reden und sich dabei großartig fühlen. Bei einer Inszenierung in Los Angeles haben sie die Oper mit Dokumentaraufnahmen des Nixon-Besuchs aufgepeppt und alle waren begeistert, wie gut das funktionierte. Mit anderen Worten: Politik ist mindestens so irre wie Oper, und das will was heißen. Auch in Stuttgart ist Nixon kurz zu sehen, wie er vor der chinesischen Mauer davon spricht, dass sie durch seine Anwesenheit wohl erste Risse bekommen habe - im übertragenen Sinn natürlich. Was für eine Ironie der Weltgeschichte, dass der jetzige US-Präsident eher Mauern stabilisieren will.

Dampfendes Orakel von Delphi

Heroisch wollte die Textdichterin Alice Goodman "Nixon in China" ausdrücklich verstanden wissen, nicht satirisch, und in der Tat sind Maos Verbrechen und Nixons Schandtaten ja alles andere als lachhaft, ganz abgesehen davon, dass die Konkurrenz zwischen den USA und China ja bis heute maßgeblich die Weltgeschichte bestimmt. Insofern ist es enorm schwer, diesen Stoff in den Griff zu bekommen, ohne dokumentarisch und unfreiwillig komisch zu werden: Marco Štorman schafft das vorzüglich, hält das Geschehen durchgehend in der Schwebe zwischen Psycho-Krieg und Historien-Epos und liefert vor allem große, beeindruckende, unverbrauchte Bilder. Grandios, wie er das kämpferisch-fanatische Ballett "Das Rote Frauenbataillon" auf einen öden Felsen verlegt und damit das Pathos schockgefriert. Gern greifen die Helden zu Zeitschriften, auf denen ihre Titelfotos abgedruckt sind, und am Ende verlieren sich die beiden Ehepaare Mao und Nixon vor einer Art dampfendem Orakel von Delphi in kitschtriefenden Lebenserinnerungen und dreiste Lebenslügen.

Politik als Kunst der Auslöschung

Tote kommen da freilich nicht vor, die fallen von alleine um. Das Publikum war begeistert von dieser optisch wie musikalisch fesselnden Interpretation. Dirigent André de Ridder hätte die vorwärtsdrängenden, fast maschinenhaften Rhythmen der Minimal Music vielleicht eine Spur aggressiver, unausweichlicher angehen können, dafür gelangen ihm die streicherbetonten Lamento-Passagen gegen Ende unübertrefflich intensiv und beklemmend. Schauspielerisch durchweg hervorragend die Solisten, darunter Jarett Ott als abgeklärter Ministerpräsident Chou En-Lai im sexy Overall, der amerikanische Bariton Michael Mayes als Nixon, Katherine Manley als seine Frau Pat, Matthias Klink als Mao und die amerikanisch-israelische Sopranistin Gan-ya Ben-gur Akselrod als dessen diabolische Muse, die noch mit ihren Haarnadeln Angst und Schrecken verbreitet. Politik als Kunst der Auslöschung von Menschen und Selbstzweifeln. Wahnsinn, diese Oper, triumphal diese Deutung.

Sendung: "Allegro" am 8. April 2019 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

"Nixon in China" an der Staatsoper Stuttgart

Oper in drei Akten von John Adams
Libretto von Alice Goodman
Regie: Marco Štorman

Premiere: Sonntag, 7. April 2019
Mehr Infos, auch zu den weiteren Aufführungsterminen, auf der Homepage der Staatsoper Stuttgart

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