BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik – Uraufführung mit der Staatsphilharmonie Nürnberg Auerbachs Fünfte zum 100-jährigen Jubiläum

100 Jahre Staatsphilharmonie Nürnberg: Dabei standen bei einem Festkonzert drei Musikerinnen besonders im Fokus: Dirigentin Joana Mallwitz, die als Generalmusikdirektorin in den letzten Jahren viel frischen Wind in die Nürnberger Musikszene gebracht hat; die Sopranistin Marlis Petersen, die ihre Karriere einst am Nürnberger Opernhaus begonnen hatte und nun mit Werken von Richard Strauss zurückkehrte; und vor allem die in den USA lebende, russische Komponistin Lera Auerbach, die für diesen Anlass ein großangelegtes Stück komponiert hatte: ihre fünfte Sinfonie mit dem Titel "Paradise Lost".

Lera Auerbach | Bildquelle: F. Reinhold

Bildquelle: F. Reinhold

Staatsphilharmonie Nürnberg - Kritik

Auerbachs Fünfte zum 100-jährigen Jubiläum

Der stärkste Moment in Lera Auerbachs fünfter Sinfonie ist bezeichnenderweise ein Zitat: Nach düsterem Beginn und bedrohlichem Dunkel, nach Trauermarsch und Tragik beschwören Harfe, Glockenspiel und Vibraphon eine unwirklich-zauberhafte Gegenwelt. Erst nach ein paar Takten realisiert man: Das, was die Streicher dazu so herzzerreißend singen, ist eine Melodie des Barockkomponisten Henry Purcell: "Music for a while"

Der komplette Konzertabend als Video

VERLORENE PARADIESE

Joana Mallwitz bei den Proben zu "Così fan tutte" bei den Salzburger Festspielen.  | Bildquelle: © Lutz Edelhoff Joana Mallwitz, Generalmusikdirektorin der Staatsphilharmonie Nürnberg, dirigierte das Jubiläumskonzert. | Bildquelle: © Lutz Edelhoff Ein einziger Gänsehau-Moment in über einer halben Stunde: das ist freilich etwas wenig. Inspiriert durch das Epos "Paradise Lost" des Purcell-Zeitgenossen John Milton, trauert Lera Auerbach in zwei Lamento-Sätzen, die den biblischen Figuren Adam und Eva zugeordnet sind, verlorenen Paradiesen hinterher – und sie tut das recht schablonenhaft: hingetupfte Streicherpizzicati, sphärische Vibraphon-Klänge und sanftes Moll stehen für Nostalgie und Melancholie; Dissonanzen, schicksalhaft pochende Pauken und dröhnendes Blech für die dunklen Bedrohungen, die das Publikum natürlich auch auf die aktuellen Krisen beziehen darf. Hat man das simple Prinzip einmal durchschaut, macht sich statt Betroffenheit allerdings bald Langeweile breit. "Pesante" steht immer wieder in der Partitur, "schwerfällig" – und so wirkt die Sinfonie über weite Strecken auch: zäh, breiig, vorhersehbar.

RAFFINIERTE SOUNDEFFEKTE

Musik aus dem Geist der Romantik, Pathos inclusive: Lera Auerbach garantiert eine risikoarme und irritationsfreie Uraufführung im Jubiläumskonzert. Von 70 Jahren Avantgarde bleiben bei ihr nur ein paar Sound-Effekte übrig. Die allerdings setzt sie raffiniert in Szene: beispielsweise eine Wassertrommel mit spukhaften Klängen oder die Ondes Martenot, ein Instrument aus der Frühzeit der elektronischen Musik. Wie sie dessen feenhaft-körperlose Stimme in einen Dialog bringt etwa mit der Solo-Violine, gehört zu den Stärken der Partitur. Genauso wie die reizvolle Idee, einmal die hinteren Orchesterpulte mit Soli zu bedenken – und damit den Opfern patriarchaler Unterdrückung symbolische eine Stimme zu verleihen.

FEIERLAUNE DANK RICHARD STRAUSS

Marlis Petersen | Bildquelle: © Yiorgos Mavropoulos Sopranistin Marlis Petersen hat ihre Karriere einst am Nürnberger Opernhaus begonnen. | Bildquelle: © Yiorgos Mavropoulos Für Feierlaune nach der durchwachsenen Uraufführung sorgte dann aber erst Richard Strauss. Seine Musik ist zwar schon so alt wie die Staatsphilharmonie Nürnberg – aber noch immer staunenswert. Unerreicht, wie Strauss etwa in seiner Rosenkavalier-Suite das Orchester in rauschhaften Farbmischungen schillern lässt - erst recht, wenn Joana Mallwitz wie am vergangenen Samstag die glänzend aufgelegte, fast hundertköpfige Staatsphilharmonie Nürnberg mit suggestiven Gesten zu Höchstleistungen anspornt: präzise, duftig und immer wieder auch knallig. Und als dann noch Marlis Petersen in die Rolle der Salome schlüpft, im flammendroten Kleid aufs Podium wankt, mit wahnsinnigem Blick auf die Knie sinkt – da verwandelt sich die in die Jahre gekommene Meistersingerhalle wie durch Zauberhand in eine Theaterbühne, allein durch die Intensität von Petersens schlanker, geradliniger, klarer Stimme. Da ist dann jeder Moment ein Gänsehaut-Moment. Ein fulminanter Abschluss einer eindrücklichen Geburtstagsfeier.

Sendung: "Allegro" am 17. Oktober 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

    AV-Player