Zum Auftakt seiner letzten Saison hat sich der scheidende Direktor Dominique Meyer Benjamin Brittens Oper „A Midsummer Night’s Dream“ ausgesucht - nach Shakespeares berühmtester Komödie. Nachdem die Oper 1962 das erste Mal in Wien erklungen ist, wurde das Werk nun, nach über einem halben Jahrhundert, von Irina Brook auf die Bühne der Staatsoper gebracht, Tochter des legendären Regisseurs Peter Brook.
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Die Kritik zum Anhören
Sie haben ja schon einen etwas eigenartigen Geschmack, die Briten. Die Schuluniformen zum Beispiel: Überdimensionale mintgrüne Schlipse, Schottenröcke mit steifen Falten und riesigem Karo in grellen Farben. Irgendwie passend für eine Nation, die Nierenauflauf und Pfefferminzsauce für den Gipfel kulinarischen Glücks hält. In England versteht man sich eben darauf, Dinge, die anderswo seit Ewigkeiten aus der Mode gekommen ist, lustvoll zu übertreiben und als Exzentrik zu zelebrieren.
Bildquelle: © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn Der neue“ Midsummer Night’s Dream“ an der Wiener Staatsoper ist eine Feier dieser sehr spezifischen Britishness. Kein Cool Britannia, nicht das stylishe trendige London, sondern eher die etwas angestaubte, aber liebenswert exzentrische Britshness der Provinz gibt die Richtung vor in der Inszenierung von Irina Brook. Das ungeniert kitschige Bühnenbild zeigt die von Schlingpflanzen malerisch überwucherten Ruinen eines Rokoko-Schlösschens. Der Elfen-Kinderchor trägt süße Kapuzen-Pullis, Oberon einen silbernen Glitzeranzug, Titania orangenes Haar und Puck eine mintgrüne Perücke.
Dieser Puck ist eine Augenweide: Die Saltos, Flugübungen und halsbrecherischen Sprünge des Schauspielers und Akrobaten Théo Touvet würden in jedem Zirkus Sensation machen. Die beiden Liebespaare, deren Begehren dank Pucks Sommernachts-Zauberei so folgenschwer durcheinandergerät, stecken in grünen, sehr britischen Schuluniformen und verhandeln ihre hormonellen Verirrungen mit großer Spielfreude. Etwas zäher, aber immer wieder hübsch sind die komödiantischen Bemühungen der Handwerker, die als trottelige Laienspielschar die Tragödie von Pyramus und Thisbe als Theater auf dem Theater zum Besten geben. Spaß macht vor allem der britische Bass Peter Rose als Bottom – stimmlich ebenso souverän wie das gesamte Ensemble.
Bildquelle: © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn Nicht weniger als 14 Gesangssolisten fordert die Oper, und fast alle haben ähnlich viel oder wenig zu singen. Der Wiener Staatsoper gelingt das Kunststück, wirklich jede Rolle gesanglich stark zu besetzen. Große Klasse ist vor allem der Countertenor Lawrence Zazzo als Feenkönig Oberon. Handwerklich ist das alles ziemlich gut gemacht, dabei komplett harmlos und im guten wie im schlechten Sinn kulinarisch. So wie man es eben von der in punkto Regie stockkonservativen Wiener Staatsoper oder einer sehr guten Musicalbühne erwartet.
Großartig ist die Orchesterleistung unter der sicheren Leitung von Simone Young. Benjamin Brittens Partitur hat sich erstaunlich jung gehalten. Dieser britischste aller Komponisten liebte kräftige und eigenwillige Farben – und das ist ein großer Spaß beim Hören. Da gibt es exzentrische Kontrabass-Soli mit schräg durcheinander springenden Cembalo-Akkorden, sphärische Harfen- und Glockenspielklänge und groteske Trompeten-Purzelbäume. Die Wiener Philharmoniker haben hörbare Freude dran.
Bildquelle: © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn Textlich hielt sich Britten ziemlich brav an Shakespeares Originaltext, doch seine Musik taucht den Klassiker in ein unverwechselbares Licht. Schade, dass man diese Oper nicht öfter hört. Denn auch wenn uns der eigenwillige Geschmack der Briten manchmal überrascht – ohne ihren wunderbaren Sinn für Exzentrik ist Europa einfach nicht komplett. Und auch wenn diese Inszenierung sicher kein bleibendes Meisterwerk ist, Brittens Oper ist eines. Und so wünscht man nach diesem Abend umso mehr: Stay with us.
Musikalische Leitung: Simone Young
Inszenierung: Irina Brook
Mit u.a. Lawrence Zazzo, Erin Morley, Théo Touvet, Peter Kellner
Mehr Informationen auf der Homepage der Wiener Staatsoper.
Sendung: "Allegro" am 4. Oktober 2019 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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