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Kritik – "Die Meistersinger" in Linz Wagner im Kinderzimmer

"Kinder, schafft Neues!" Mit diesem Zitat aus einem Brief Richard Wagners feiert das Musiktheater Linz sein zehnjähriges Jubiläum. Gewählt wurde dafür Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg". Regisseur Paul-Georg Dittrich will hier auch wirklich Neues schaffen und erzählt Wagners Oper ganz aus weiblicher Perspektive.

"Die Meistersinger von Nürnberg" am Landestheater Linz, Inszenierung von Paul-Georg Dittrich (April 2023) | Bildquelle: Reinhard Winkler

Bildquelle: Reinhard Winkler

"Nicht Meister, nein! Will ohne Meister selig sein!" Mit diesen Worten, eigentlich dem Ritter Stolzing in den Mund gelegt, tritt Eva, die Tochter des Goldschmiedemeisters Veit Pogner, von der Bühne ab, lässt Hans Sachs im Finale allein und relativiert dessen großen pathetischen Schlussmonolog "Verachtet mir die deutschen Meister nicht" als resignative Geste. Eine Auseinandersetzung mit der insbesondere durch die Vereinnahmung der Nationalsozialisten problematischen Rezeptionsgeschichte ist die Linzer Festaufführung der "Meistersinger" nicht. Sie will Neues schaffen. Regisseur Paul-Georg Dittrich erzählt Wagners Oper dabei ganz aus der Perspektive von Eva, eine der zwei Frauenrollen in dieser sonst ganz von Männern bestimmten Wagner-Welt, allein darunter zwölf Handwerksmeister.

Kinderzimmer statt Katharinenkirche

In Linz spielt der erste Akt nun nicht in der mittelalterlichen Katharinenkirche Nürnbergs, sondern im Evas Kinderzimmer. Dort träumt das Kind Eva von einem Ritter. Ein riesiger Teddybär in einer Ecke bestimmt die Dimensionen des Bühnenbilds von Sebastian Hannak. Wie bei "Alice im Wunderland" zieht Eva einen riesigen Karton mit aufziehbaren Spielzeugfiguren aus der Wand: David und Magdalena. Und auch die Handwerksmeister, alle als Clowns geschminkt, alle gleich gekleidet in Frack und mit großen spitzen Zauberhüten sind Spielzeugfiguren (Kostüme: Anna Rudolph). Im zweiten Akt dann wird aus dem Kinder-Traum ein Alptraum der Teenagerin Eva: Die Meistersinger haben sie zu ihrem erotischen Spielball gemacht und verschachern sie. Nun wird die Szene durch einen Flipperautomaten in einer surrealen Sportbar bestimmt, gleichzeitig aber auch Ansichten der Stadt Nürnberg, Zoom-outs aus Evas Kinderzimmer auf Videoeinspielungen (Robi Voigt). Schließlich wieder ein Wechsel im Finale: Die Festwiese als großer Kriegsbetonbunker, in dem neben dem großen Richard-Wagner-Flipperautomaten auch nach und nach andere Flipper in Lagerkisten auf die Bühne gefahren werden.

Wagners Mammutwerk als Kammerspiel

"Die Meistersinger von Nürnberg" am Landestheater Linz, Inszenierung von Paul-Georg Dittrich (April 2023) | Bildquelle: Reinhard Winkler Bildquelle: Reinhard Winkler Trotz der oft nicht stringenten, surrealen Bilderfolge überzeugt die psychologisch genaue, oft komödiantische Personenführung durchaus. Sie kommt Wagners Musik sehr nahe, denn trotz des immensen Orchesters wirken Wagners "Meistersinger" wie ein Konversationsstück mit gelegentlichen lyrischen oder expressiveren Ausbrüchen, aber auch wie eine Marathon-Probe und Kunstdebatte zur Durchführung einer Festveranstaltung mit Intrigen unter den Kollegen. Dirigent Markus Poschner hatte schon 2014 im Theater Bremen auf beengtem Raum in einer Inszenierung von Benedikt von Peter gezeigt, wie Wagners gewaltiges Mammutwerk gleichzeitig auch als Kammerspiel überzeugt, auch damals mit Claudio Otelli als Hans Sachs: weich klar, niemals auftrumpfend, oft im inneren Selbstzweifel, bisweilen verschlagen und listenreich argumentierend, aber immer bestimmt.

"Die Meistersinger" in Linz: musikalisch voll überzeugend

Auch Martin Achrainer als Beckmesser lässt vom Timbre keinen Wunsch offen und imponiert gleichzeitig als slapstickgewandter trauriger Komiker; ein verhinderter Intellektueller, mit seinem Keyboard fast bemitleidenswert. Ritter Stolzing (Heiko Börner) meistert die Riesenpartie zwischen lyrischen und heldischen Ausbrüchen. Warm und überzeugend doziert auch die Aufziehpuppe David (Matjaž Stopinšek) und vor allem Erica Eloff weiß ihre Eva auch stimmlich voll unterschiedlicher Nuancen in Szene zu setzen.

Eindrucksvoll ist vor allem aber das Bruckner-Orchester, das nie die Konversation der Sänger überdeckt. Selbst in der Prügelfuge (oder vielleicht noch passender: Prügelorgie) am Ende des 2. Akt spielt es transparent, aber besonders im Vorspiel zum dritten Akt faszinierend klar. Ein Spannungsbogen, der trotz der Marathon-Länge nie nachließ. Viel Applaus, wenn es auch für das Regieteam, wie zu erwarten, freilich einige Buhs gab.

Weitere Infos und Termine: landestheater-linz.at

Sendung: "Allegro" am 11. April 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Dienstag, 11.April, 08:00 Uhr

Bernd Vielitz

Prügelorgie?

Handelt es sich um einen Schreibfehler, oder sollte die sog. Prügelfuge am Ende des 2.Aktes tatsächlich „Prügelorgie“ heißen?

Antwort von BR-KLASSIK: Lieber Herr Vielitz, unser Autor möchte mit der Metapher "Prügelorgie" den Gegensatz zwischen aufbrausender musikalischer Überwältigung und Transparenz in der Prügelfuge im Finale des 2. Akts verdeutlichen. Den Satz haben wir im Sinne besserer Verständlichkeit angepasst.

Montag, 10.April, 16:10 Uhr

Norman

Name Beckmesser

Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich war von der musikalisch und darstellerisch sehr überzeugenden Partie des Beckmessers durch Herr Achrainer sehr überzeugt. Herr Achrainer heisst mit Vornamen aber Martin und nicht Michael.

Mit freundlichen Grüssen
Norman, Zürich

Anm. d. Red.: Danke für den Hinweis, haben wir entsprechend korrigiert.

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