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Kritik – Muti dirigiert Beethovens "Missa solemnis" Mit Macht und viel Pathos

Riccardo Muti hat gerade viel zu feiern: Im Juli wurde er 80 Jahre alt. 1971 hatte Herbert von Karajan Muti erstmals zu den Salzburger Festspielen eingeladen. Das war damals auch sein Debüt bei den Wiener Philharmonikern, mit denen ihn seither eine enge Freundschaft verbindet. Zu seinem 50-jährigen Bühnenjubiläum konnte Muti zwar "sein" Chicago Symphony Orchestra wegen der Pandemie nicht nach Salzburg mitbringen. Aber an seinen traditionellen Konzerten mit den Wienern hält Muti fest. Dreimal dirigiert er jetzt in Salzburg die "Missa solemnis", zum ersten Mal in seinem 80-jährigen Musikerleben!

Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker | Bildquelle: SF / Marco Borrelli

Bildquelle: SF / Marco Borrelli

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Seit Jahrzehnten habe er sich mit Beethovens Bekenntniswerk, der monumentalen "Missa solemnis" beschäftigt, verrät Riccardo Muti im Programmheft. Eine "zu große Ehrfurcht" habe ihn bislang von einer Aufführung abgehalten. Erst jetzt in der Pandemie-bedingten Zwangspause habe er sein Vorhaben angehen und mit seinem Lieblingsorchester, den Wiener Philharmonikern, verwirklichen können.

"Missa solemnis" inszeniert als großes Drama

"Solemnis" bedeutet "feierlich", und damit wäre auch Mutis grundlegender Interpretationsansatz beschrieben. Feierlich-majestätisch geht er das Kyrie an, weich und rund formt er die Phrasen aus, die Wiener liefern ihm dazu ihren philharmonischen Wohlklang. Im Gloria bricht dann sehr weltlicher Jubel aus, Mutis Interpretation nimmt opernhafte Züge an – nicht ganz falsch, hatte Beethoven seinem chorsymphonischen Werk doch selbst oratorische Züge attestiert. Muti inszeniert die "Missa solemnis" als großes Drama, mit machtvollem Zugriff und pathetischer Wucht. Der flehentliche Ton Beethovens mag ihm als Italiener dabei besonders am Herzen liegen.

Immer noch sehr agil am Pult, kann sich Muti auf ein ausgewogenes Solisten-Quartett verlassen, auf vier ihm vertraute Sängerpersönlichkeiten. Seine gesetzten Tempi machen es ihnen nicht gerade leicht, zumal Beethoven Gesangsstimmen bekanntlich instrumental gedacht und konzipiert hat. Mit ihrem glockenhellen Sopran überstrahlt die Italienerin Rosa Feola allerdings ihre drei russischen Kollegen, die weniger fokussierte Altistin Alisa Kolosova, den strahlenden Tenor Dmitry Korchak und den sonoren Bassisten Ildar Abdrazakov.

Mangel an Textverständlichkeit

Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker | Bildquelle: SF / Marco Borrelli Bildquelle: SF / Marco Borrelli Gerade im hochanspruchsvollen Credo wird die Problematik dieser Aufführung deutlich. Kam es Beethoven doch auf die äußerst prägnante Wortausdeutung des liturgischen Textes in all seinen Facetten an. Bei den Phonstärken, die Muti nicht nur hier ansteuert, leidet die Textverständlichkeit aber allzu oft. Dazu trägt auch die stimmgewaltige Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor bei. Und in den fugierten Passagen trüben überraschende Wackler das Gesamtbild – das ist man bei Muti denn doch nicht gewohnt. Wie wohltuend sind da die lyrisch verinnerlichten Momente, vor allem das überirdisch schwebende Benedictus! Das einzigartige Violinsolo spielt der Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, Rainer Honeck, souverän.

Musikalische Architektur Beethovens wird nicht transparent

In die inständige Friedensbitte des Agnus Dei lässt Beethoven dreimal die zeitlose Kriegsrealität mit Pauken und Trompeten martialisch dreinfahren. Natürlich kostet Muti diese theatralischen Momente wirkungsvoll aus. Aber insgesamt tritt seine Beethoven-Interpretation monolithisch auf der Stelle, die Dynamik verharrt – bis auf wenige Ausnahmen – im pauschalen Dauer-Forte. Schwerer aber wiegt, dass die strukturelle Vielfalt des Werks, die progressive Rhythmik, die schockierende Kontrastdramaturgie, kurz: die musikalische Architektur Beethovens bei Muti nicht transparent wird. Das blieb wohl erst der historisch informierten Aufführungspraxis vorbehalten. Klar, die haben Jansons, Mehta oder Barenboim auch nie beherzigt. Muss man ja auch nicht. Und breite Tempi allein sind noch keine Bewertungs-Kategorie – sie können durchaus erfüllt sein. Aber dennoch wirkt so eine traditionelle Beethoven-Interpretation heute seltsam anachronistisch. Ja, einer wie Teodor Currentzis tut den Salzburger Festspielen schon ganz gut.

Sendung: "Piazza" am 14. August 2021 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (4)

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Donnerstag, 19.August, 03:23 Uhr

Klaus Merbach

Muti/Beethoven

Ich gebe zu, nie ein allzu grosser Fan von Mutis Sicht auf Beethoven gewesen zu sein. Und die Weisheit des Alters hat ihn der deutschen Klassik nicht näher gebracht. Diese Missa Solemnis war war fast schon peinlich und das Solistenquartett keinesfalls erstklassig. Sollte Herr Muti sich auf seinem Ruhm ausruhen wollen? Mit solchen Ufführungen ist er dabei ihn zu zerstören. Schade

Sonntag, 15.August, 16:18 Uhr

Leif

Hut ab!

Nach der Kritik zu Currentzis' Konzert mit Mozart-Werken ist das nun schon der zweite Beitrag auf br-klassik, in dem Currentzis mit Muti verglichen wird und Letzterer dabei den kürzeren zieht. Zu dieser - teils späten -Erkenntnis kann ich Sie nur beglückwünschen und den Hut ziehen, denn Sie machen sich damit in manchen Kreisen beim BR bestimmt nicht gerade beliebt. Vielen Dank für diese Offenheit und diesen Mut, die Dinge beim Namen zu nennen! Mich wundert dieser Verriss nicht, habe ich doch in fast fünfzig Jahren keine mitreißende Aufführung mit Muti erlebt, auch nicht auf Aufnahmen; ein Funke sprang nie über.

Sonntag, 15.August, 15:06 Uhr

Sonja Be.

Missa solemnis

Ich war enttäuscht. Das Tempo wirkte lahm, und ich empfand etliche Stellen leider als undefinierbaren Klangbrei.

Sonntag, 15.August, 09:58 Uhr

Gufo

Missa solemnis

Mutis traditionelle Beethoven-Interpretation wirkt nicht seltsam anachronistisch, sondern zeitlos schön.Man mag von Currentzis jugendlichem Schwung begeistert sein,aber er hat noch einen weiten Weg vor sich, bevor er das erreicht, was Maestro Muti in seinen glanzvollen schöpferischen Jahrzehnten geschaffen hat.

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