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Kritik - "Stormy Interlude" in Salzburg Großartige Hommage an Max Brand

Es gibt ja nicht viele Leute, die ein Buch zwei Mal lesen, und genauso wenige können sich wohl vorstellen, eine Traviata, eine Tosca oder eine Zauberflöte zwei Mal direkt hintereinander anzusehen, nur getrennt durch eine Pause. Erstens würde der Abend sehr lang, zweitens fällt Regisseuren schon für einen Durchgang oft zu wenig ein und drittens weiß beim zweiten Mal jeder, wie es ausgeht. Umso mutiger war es von Regisseurin Amélie Niermeyer, genau so eine Doppelung zu wagen.

Impressionen aus "Stormy Interlude" am Landestheater Salzburg | Bildquelle: ©Anna-Maria Löffelberger

Bildquelle: ©Anna-Maria Löffelberger

Am Salzburger Landestheater wurde vor und nach der Pause Max Brands Kurzoper "Stormy Interlude", also "Stürmisches Zwischenspiel" gegeben, jeweils etwa 45 Minuten lang. Und das Experiment gelang: Kein einziger Zuschauer protestierte, im Gegenteil, mancher, der noch in der Pause am Stück gezweifelt hatte, war am Ende, nach dem zweiten Durchgang, restlos überzeugt.

Eine so erfreuliche wie überraschende Reaktion, denn die Handlung der Oper ist nicht gerade spektakulär. Ein einsames, gelangweiltes Mädchen in einem abgelegenen Hotel quält sich durch seinen denkbar öden Alltag. Im Fernseher laufen alte Filme, die Mutter hängt an der Flasche, und das Schlimmste: In den Wohnungen rechts und links passiert genau dasselbe, also nichts, wie die Drehbühne immer wieder zeigt.

Erst ein Verbrecher auf der Flucht sorgt für Abwechslung. Mitten in einer gewitterumtosten Nacht steht er in der düster-grauen Gaststube und fuchtelt mit dem Revolver. Wie sich herausstellt, ist der Fremde ein raffinierter Charmeur, der es versteht, einfältige junge Frauen wie Mona zu umgarnen und für seine kriminellen Machenschaften zu missbrauchen. Ums Haar fällt Mona auf ihn herein, aber die Polizei greift rechtzeitig ein, nimmt den Übeltäter fest und übergibt die beinah Gestrauchelte in die Hände der ahnungslosen Mutter.

Über die Unerträglichkeit des Alltags

Ein unerträglich moralinsaures Stück also, bezeichnenderweise komponiert 1955 und bisher nie szenisch aufgeführt. Und doch schafften es Amélie Niermeyer und ihr Ausstattungsteam Maria-Alice Bahra und Jan Alexander Schroeder, daraus einen so spannenden wie bedrückenden Abend über die Unerträglichkeit des Alltags, über das bleierne Dasein zu machen.

Wir wollten diesen alptraumhaften Aspekt vergrößern und haben deshalb das Stück auch mehrmals spielen lassen.
Amélie Niermeyer

"Das Stück ist eigentlich eine ziemlich banale Geschichte. Max Brand sagt in seinem Vorwort, dass er eigentlich eine Geschichte erzählen wollte, dass pubertäre Mädchen ein bisschen aufpassen sollten, an wen sie geraten. Und dieser moralische Zeigefinger, den er so draufgesetzt hat, der hat uns eigentlich gar nicht interessiert. Wir wollten zeigen, dass dieses Mädchen, aus welchen Gründen auch immer, vielleicht, weil sie schon Missbrauch erfahren hat, solche Alpträume nachts erlebt, in der Hoffnung, dass sie flüchten kann aus dieser Öde und dieser disparaten Situation, in der sie ist. Wir wollten diesen alptraumhaften Aspekt vergrößern und haben deshalb das Stück auch mehrmals spielen lassen." - so die Regisseurin Amélie Niermeyer.

Keine Sekunde Langeweile

Und das erwies sich als so packender wie surrealer Einfall. Amélie Niermeyer lässt nach der Pause bei der Wiederholung von "Stormy Interlude" nicht einen Verbrecher auftreten, sondern zehn, was die Handlung optisch und musikalisch enorm verstärkt, dramatisiert, auf die Spitze treibt. Keine Sekunde ist das Geschehen langweilig. Mona, die erleben muss, wie ihre Träume zerplatzen, wie das bisschen Abenteuer in ihrem Leben folgenlos bleibt, versinkt in Verzweiflung und wird zugedeckt vom Hintergrundrauschen, als ob der Welt, in der sie lebt, das Antennenkabel fehlt.

Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla hatte Max Brands musikalisch fesselndes Werk nach 60 Jahren ausgegraben und für die Bühne aufbereitet. Hannah Bradbury als Mona und Frances Pappes als ihre Mutter Mrs. Lambert beeindruckten durch ihr intensives Spiel, das einem Horrorfilm genauso angemessen gewesen wäre wie einem Psychokrimi. Jason Cox gab einen dämonischen Verbrecher. Insgesamt eine großartige Hommage an Max Brand, dessen Opernkarriere 1933 durch die Nazis jäh beendet wurde.

Oper in Salzburg

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