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Lang Lang und seine Lieblingsmusik "Für Elise" ist ein Meisterwerk!

Die Sonata facile KV 545 von Mozart, "Für Elise" von Beethoven oder das "Regentropfen-Prélude" von Chopin – alles Meisterwerke, die nicht zu unterschätzen sind, sagt Lang Lang. Wie er an die Stücke herangeht, hat er direkt am Flügel im BR-KLASSIK-Studio demonstriert.

Lang Lang im BR-KLASSIK-Studio | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk

Bildquelle: Bayerischer Rundfunk

Meine Musik

Lang Lang und seine Lieblingsstücke

BR-KLASSIK: Sie waren fünf Jahre alt, als sie zum ersten Mal mit Mozarts "Facile"-Sonate und Bachs Menuett auftraten. Wer war damals am wichtigsten für Sie als Kritiker, aber auch als Unterstützer?

Lang Lang: Mein Vater natürlich. Er war zwar sehr kritisch, hat mich aber unglaublich unterstützt. Damals hatte ich auch eine großartige Lehrerin, Professor Zhu. Sie hat mich jede Woche ein Stück von Bach auswendig lernen lassen. Jede Woche! Für mich ist Bach sowieso das beste Training. Wenn man sich schon in der Kindheit mit Bach anfreundet, entwickelt man ein unschlagbar gutes Gedächtnis. Denn wenn man Bach auswendig lernen kann, dann ist alles andere ein Kinderspiel.

Czerny als musikalische Achterbahn

BR-KLASSIK: Machen Sie das mit Ihren Schülern auch so?

Lang Lang: Ich versuche es. Ich möchte, dass sie verstehen, wie wichtig Bach ist. Und dann gibt es noch einen anderen wichtigen "Freund": Czerny. Ich habe sogar eine seiner Etüden aufgenommen. Als Kind mochte ich die überhaupt nicht. Ich fand sie damals total mechanisch. Inzwischen spiele ich so etwas ganz gern. Es ist wie eine musikalische Achterbahn. Früher fand ich es furchtbar. Meine Nachbarn übrigens auch. Aber es funktioniert – irgendwie. Man muss diese Stücke üben.

BR-KLASSIK: Zu welcher Tageszeit sollte man Czerny-Etüden am besten üben?

Lang Lang: Morgens. Dann hat man es hinter sich. (lacht)

Ich dachte einfach nur: Wow!
Lang Lang über das Moskau-Konzert von Vladimir Horowitz

BR-KLASSIK: Eines Ihrer Lieblingsstücke ist die "Träumerei" von Schumann, gespielt von Vladimir Horowitz bei seinem Moskau-Konzert.

Vladimir Horowitz in Moskau | Bildquelle: © picture alliance/AP Images Vladimir Horowitz bei seinem Moskau-Konzert 1986 | Bildquelle: © picture alliance/AP Images Lang Lang: Diese Aufnahme hat mich unglaublich inspiriert. Es war 1986, ich war damals vier Jahre alt und hatte schon angefangen, Klavier zu spielen. Eines Tages hat mir meine Lehrerin den Video-Mitschnitt vorgespielt, sie hatte so einen alten sowjetischen Fernseher. Für mich war es magisch, wie Horowitz das gespielt hat, und wie er das Pedal eingesetzt hat. Und ich dachte einfach nur: Wow! Technisch gesehen ist das Stück ja nicht schwer. Die große Schwierigkeit besteht darin, es auf wirklich hohem künstlerischen Niveau zu präsentieren. Plötzlich habe ich begriffen, dass ich nicht nur irgendwelche Übungsstücke spiele, sondern wahre Meisterwerke – auch wenn sie vielleicht nicht besonders schwer sein mögen. In meinen Augen gibt es eine Menge Musik, die total unterschätzt wird. "Für Elise" zum Beispiel: Dieses Stück ist keine Klingelton-Melodie, es hat wirklich Substanz! Das ist ein Meisterwerk! Genauso wie das Adagio von Mozarts "Ah, vous diraj-je, maman-Variationen" – es gehört zu den schönsten Stücken überhaupt.

BR-KLASSIK: Das sind ja auch Stücke, die man das ganze Leben lang mitnehmen kann. Man fängt an als Kind und als 80-jähriger legt man etwas ganz anderes hinein.

Lang Lang: Das stimmt schon, aber ich habe diese Stücke natürlich irgendwann abgelegt und bin zu anderen übergegangen. Ich habe mich den Beethoven-Sonaten wie der "Pathétique" gewidmet oder den Klavierkonzerten von Mozart. Schon als Kind habe ich alle Mozart-Klaviersonaten einstudiert. Aber ich würde nicht sagen, dass ich sie gut gespielt hätte. Irgendwann werde ich sie einmal aufnehmen und auch viele Klavierwerke von Beethoven. Ich erinnere mich gern an diese Stücke, weil sie am Beginn meiner musikalischen Reise standen. In fünf Jahren möchte ich wieder zu ihnen zurückkommen und sie neu einstudieren.

Film-Walzer und chinesischer Cowboy-Song

BR-KLASSIK: Auf Ihrer neuen CD "Piano Book" finden sich Stücke wie Debussys "Claire de lune" oder das "Regentropfen-Prélude" von Chopin. Wie haben Sie die Titel der CD zusammengestellt?

Lang Lang im BR-KLASSIK-Studio | Bildquelle: © Bayerischer Rundfunk In Spiellaune: Lang Lang im BR-KLASSIK-Studio | Bildquelle: © Bayerischer Rundfunk Lang Lang: Auf dieser CD haben wir nicht nur die größten klassischen Hits aufgenommen, sondern auch einige Filmmusiktitel wie den Walzer der Amélie. Ich liebe diese Stücke einfach. "Claire de lune" – so ein wunderschönes Stück. Mir gefällt diese impressionistische Stimmung, die dann in Realität übergeht. Es ist fast visuelle Kunst. Und dann natürlich Chopins "Regentropfen-Prélude". Wie könnte man so eine Musik nicht lieben? Sie öffnet einem das Herz. Außerdem wollte ich einige meiner liebsten chinesischen Stücke darauf haben. Da gibt es eine Art Cowboy-Song, den ich als Kind immer gespielt habe. Ich habe versucht, westliche und chinesische Stücke in ähnlichen Stimmungen zu finden.

BR-KLASSIK: Auch die "Goldberg-Variationen" gehören zu den Stücken, die Sie begleiten und beschäftigen. Ein ziemlich geheimnisvolles Stück, angeblich komponiert gegen die Schlaflosigkeit eines Grafen.

Lang Lang: Ich habe so viele total unterschiedliche Versionen über die Entstehung der Komposition gelesen. Meistens geht es dabei um jemanden, der keinen Schlaf fand. Entweder Bach selbst oder ein Graf. Ob diese Komposition wirklich beim Einschlafen helfen kann, das weiß ich nicht. Wenn ich diese Musik anhöre, schlafe ich jedenfalls garantiert nicht ein. Im Gegenteil, sie macht mich total neugierig. Ich war noch ein Teenager, als ich mit den "Goldberg-Variationen" angefangen habe. Damals hatte ich mir schon die beiden Aufnahmen mit Glenn Gould angehört. Die spätere gefällt mir besser, weil sie viel trauriger und intensiver ist.

Ich suche jeden Tag einen neuen Ansatz.
Lang Lang

Es gibt für das Stück natürlich eine Million unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten. Ich suche jeden Tag einen neuen Ansatz. Und deshalb habe ich auch die Aufnahmen von vielen großen Pianisten studiert. Was dabei herauskommt, das zeige ich nächstes Jahr auf meiner Welttournee, auf der ich dann nur die "Goldberg-Variationen" spiele. Darauf freue ich mich schon riesig. Das Gute an diesem Werk ist, dass alles, was man danach einstudiert, viel einfacher ist. Es ist so komplex, dass man seinen ganzen Erfahrungsschatz braucht, um die komplizierte Struktur zu verinnerlichen. Wenn man die "Goldberg-Variationen" einstudiert, wird man in jeder Hinsicht ein intellektuellerer Mensch.

Zeit für Symphonien

BR-KLASSIK: Es gibt Stücke, die einen begleiten, wenn man sich verändert. Bei Murray Perahia war es Bach, als er eine Verletzung an der Hand hatte. Wie war das bei Ihnen, nach Ihrer Verletzung an der Hand? War es da auch Bach?

Lang Lang: Das ist bei jedem ganz individuell. Für mich war die Pause eine gute Gelegenheit, mich mit etwas anderem zu beschäftigen. Zum Beispiel habe ich mehr pädagogisch gearbeitet und mich auf die Arbeit meiner Stiftung konzentriert. Ich möchte eine neue Methode ausprobieren, um der nächsten Generation die klassische Musik näher zu bringen. In diesen acht Monaten Pause war ich mit meiner pädagogischen Aktivität ziemlich gut ausgefüllt. Außerdem habe ich endlich mal Zeit gehabt, Symphonien zu hören. Jetzt komme ich erfrischt und mit einem freien Kopf wieder zurück. Ich fühle wieder mehr Neugier auf das, was ich tue. Es war wirklich eine positive Auszeit.

BR-KLASSIK: Was geben Sie denn jungen Musikern mit? Wie wichtig ist die Ausgewogenheit zwischen Freude und Disziplin?

Lang Lang: Es ist eine schwierige Kombination. Es ist völlig egal, wie talentiert man auch sein mag: Man muss immer viel üben! Und das ist eben echt harte Arbeit. Wenn man sich aber zu sehr auf diesen Arbeitsaspekt konzentriert, kann man sich musikalisch nicht weiterentwickeln. Das ist ein bisschen eine Zwickmühle. Und aus der kommt man heraus, indem man auf verschiedene Arten übt. Es gibt die Deutsche, die Russische, die Französische Schule – also eine Menge interessanter Vorgehensweisen. Und all diese Erfahrungen möchte ich mit der nächsten Generation teilen. In meiner Stiftung unterstützen wir die jüngsten Musiker auf ihrem Werdegang. Wir vermitteln ihnen unsere Gedanken und Ideen, um ihnen den Weg zu ebnen. Sie müssen natürlich trotzdem noch hart arbeiten, sollen aber fokussierter werden. Sie sollen lernen, wie sie einen schöneren Klang oder eine bessere Phrasierung erreichen können. Sie sollen nicht nur Noten spielen, sondern die Musik durch und durch verstehen lernen.

Sendung: "Meine Musik" am 23. März 2019 ab 11.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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