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Pianist und Komponist Ludovico Einaudi Der Magier der Emotionen

Der Italiener Ludovico Einaudi ist einer der meistgestreamten Klassikkünster aller Zeiten. Seine minimalistischen und einfühlsamen Klanggemälde rühren die Fans zu Tränen. Als ein Titel von ihm zum ersten Mal im Radio lief, brach das Hörertelefon zusammen. Aber wie schafft er es, uns mit seiner Musik so zu berühren?

Ludovico Einaudi | Bildquelle: © Ray Tarantino

Bildquelle: © Ray Tarantino

BR-KLASSIK: Ludovico Einaudi, als Ihre Musik zum ersten Mal bei der BBC im Radio lief, brach das Hörertelefon zusammen. Wie haben Sie zu diesem Sound gefunden, der so viele Menschen tief berührt?

Ludovico Einaudi: Musik war schon immer eine Art geschützter Raum, wo unsere Gefühle sich austoben können. Über Musik kommen wir direkt an die Gefühle ran auch an die, die tief in unserem Unterbewusstsein schlummern. Freude, Trauer, Glück all diese Emotionen kommen so oft an die Oberfläche. Auch mir ging es so. Durch Musikhören habe ich viel über meine eigenen Emotionen gelernt. Und dann habe ich begonnen, diese Erfahrungen in meiner eigenen Musik umzusetzen. 

Wer ist Ludovico Einaudi?

  • 13. November 1955 in Turin geboren
  • italienischer Komponist und Pianist
  • erste Erfolge als Filmkomponist
  • wichtiger Vertreter der Neo-Klassik
  • ist regelmäßig in Klassik-Charts und Pop-Hitlisten vertreten
  • wohnt überwiegend im Piemont

Ludovico Einaudi: zwischen Klassik, Pop und Volksmusik

BR-KLASSIK: Studiert haben Sie beim Avantgarde-Komponisten Luciano Berio, der mit seiner experimentellen Musik die zeitgenössische Musik des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Das war aber doch erstmal eine ganz andere Richtung als die Musik, die Sie berühmt gemacht hat? 

Luciano Berio, Theatre de la Ville, 1977 | Bildquelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Philippe Gras / Le Pictorium Einaudis Lehrer Luciano Berio in Paris 1977. | Bildquelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Philippe Gras / Le Pictorium Ludovico Einaudi: Ja, das war ein langer Weg. Natürlich kommt einem das wie zwei völlig verschiedene Welten vor. Aber Luciano Berios Musik ist auch sehr emotional. Er hat sich mit ganz unterschiedlichen Musikstilen beschäftigt. Er kam von der klassischen Musik, hat sich aber für Volksmusik genauso interessiert wie für Pop-Musik – und auch für andere Gebiete wie die Wissenschaft, Psychologie oder Literatur. Und genau wegen dieser Offenheit wollte ich unbedingt bei ihm studieren.

Von ihm habe ich vor allem gelernt, mich in völlig verschiedenen Sphären zurechtzufinden, und Ideen aus allen möglichen Lebensbereichen in die Musik zu übertragen. Man kann Musik überall finden: Wenn man einen Vogel am Himmel beobachtet, wenn man beim Lesen eines Romans in den Zeilen einen bestimmten Rhythmus entdeckt. Musik kann sogar in der Struktur einer wissenschaftlichen Theorie stecken.

Meine Stücke beginnen erst richtig zu leben, wenn ich sie vor Publikum spiele.
Ludovico Einaudi

BR-KLASSIK: Beobachtungen, Ideen und Emotionen in Musik zu übertragen, also zu komponieren, ist Ihnen aber nicht genug. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie auch als Musiker auf der Bühne auftreten möchten?

Ludovico Einaudi | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ludovico Einaudi bei einem Konzert in Loncon im März 2022. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ludovico Einaudi: Ein Leben nur als Komponist wäre mir zu abstrakt. Ich brauche den direkten Kontakt zum Klang, zum Instrument. Für mich ist das Komponieren ganz eng mit der Suche nach dem richtigen Sound verbunden. Es geht mir nicht nur um die reinen Noten, sondern um die richtige Qualität des Klangs. Der Klang muss am Ende genau so sein, wie ich ihn mir vorstelle. Es trifft sich also ganz gut, dass ich komponiere – und dann auf der Bühne dafür verantwortlich bin, den richtigen Sound für die Noten zu finden. Diese beiden Aktivitäten ergänzen sich. Meine Stücke beginnen erst richtig zu leben, wenn ich sie vor Publikum spiele. Erst dann ist der Prozess des Komponierens wirklich abgeschlossen.

Einaudis neues Album "Underwater" entstand während Corona

BR-KLASSIK: Sie haben sich zwei Jahrzehnte Zeit gelassen, um ein neues Soloalbum einzuspielen. Wie bei vielen Künstlern hatte die Pandemie einen großen Einfluss auf die Musik. Unter welchen Bedingungen ist das neue Album "Underwater" entstanden? 

Ludovico Einaudi: Die Komposition zu dieser Platte habe ich Anfang 2020 begonnen. Ich kam gerade von einer längeren Konzerttournee zurück. Und plötzlich waren wir alle mit Corona konfrontiert. Wie alle war auch ich isoliert und habe die Zeit zum Teil in den Bergen und zum Teil auf dem Land verbracht. Für mich war es ehrlich gesagt sehr erholsam. Damals brauchte ich tatsächlich eine Auszeit. Die letzten 20 Jahre waren doch recht aufregend.

Während des Lockdowns konnte ich Musik endlich nur zu meinem eigenen Vergnügen machen.
Lucovico Einaudi

Ich fühlte mich zu dieser Zeit völlig frei von jeglicher Verpflichtung. Damit meine ich durchaus eine selbst auferlegte Verpflichtung. Denn ich stand schon unter einem gewissen Druck: Für mich baute sich eine bestimmte Erwartungshaltung auf, dass jede neue Komposition immer noch besser werden müsste als die Stücke davor. Wahrscheinlich habe ich zu viel darüber nachgedacht und etwas von meiner Spontaneität beim Komponieren verloren. Während des Lockdowns konnte ich Musik endlich nur zu meinem eigenen Vergnügen machen. So hatte ich mich zum letzten Mal als Teenager gefühlt als ich noch nicht wusste, ob ich professioneller Musiker werden würde. Ich konnte in völliger Freiheit vor mich hin komponieren, ohne an ein bestimmtes Projekt denken zu müssen. 

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Ludovico Einaudi - Underwater (Performance Video) | Bildquelle: LudovicoEinaudiVEVO (via YouTube)

Ludovico Einaudi - Underwater (Performance Video)

Organische, natürliche, reine Musik

BR-KLASSIK: Wann haben Sie gespürt, dass da etwas Besonderes im Entstehen ist? 

Ludovico Einaudi: Nach einem Monat habe ich mir das Ergebnis der Arbeit angeschaut und festgestellt, dass da etwas ganz Neues entstanden war. Es fühlte sich organisch und natürlich an. Denn ich hatte mich ja keinerlei Vorgaben unterwerfen müssen. Der Kompositionsprozess konnte ganz uneingeschränkt fließen. Die Musik kam mir irgendwie sehr rein vor, ganz anders als die Musik, die ich zuletzt geschrieben hatte. Diese neuen Kompositionen sind viel spontaner und direkter und eignen sich ideal für ein Soloalbum. Es ist fast wie ein Gedichtband, weil die einzelnen Stücke sehr melodisch sind. Dazu wollte ich einen besonders intimen weichen Sound finden. Es sollte sich nicht nach dem typischen klassischen Klavier anhören, sondern ganz sanft – wie eine Katze, die über die Saiten läuft. 

BR-KLASSIK: Das ist ein sehr schönes Bild. Auch sonst arbeitet Ihr neues Album "Underwater" mit Bildern, mit Vorstellungskraft. Es geht – wie der Titel schon sagt – unter Wasser. Eine Welt, die uns Menschen eigentlich ziemlich fremd ist.

Ludovico Einaudi: Die damalige Isolation in der Pandemie kam mir vor, als würden wir in eine andere Welt versetzt. Auch unter Wasser fühlt man sich wie in einer anderen Dimension. Unter Wasser spürt man seinen eigenen Herzschlag viel stärker, weil man sich in einem anderen Zustand befindet. Diese Metapher beschreibt mein Gefühl von damals.

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