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Pianist Martin Stadtfeld Viel Bach in Chopin

Martin Stadtfeld wurde vor allem durch seine unkonventionellen Bach-Interpretationen bekannt. Ende letzten Jahres erschien sein neues Album mit Frédéric Chopins Etüden. Mit diesem Programm geht er in den nächsten Monaten auf Tour. Im Interview spricht der Pianist über Bach, Chopin und Improvisation.

 Pianist Martin Stadtfeld | Bildquelle: © Marco Borggreve

Bildquelle: © Marco Borggreve

Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Sie haben sich vor allem durch Ihre Interpretationen der Musik Johann Sebastian Bachs einen Namen gemacht, und auch mit deutscher Romantik. Jetzt folgt ein Album mit den Etüden von Frédéric Chopin. Wieviel Bach steckt in Chopin?

Martin Stadtfeld: Gerade in den Etüden - viel mehr noch als in den Préludes, wo der Bezug oft hergestellt wird - ist ganz viel Bach enthalten. Chopin hat für fast jeder dieser Etüden eine Inspirationsquelle bei Bach gefunden, vor allem im Wohltemperierten Klavier. Denken wir an das berühmte C-Dur-Präludium mit den gebrochenen Akkorden: Das Gleiche macht Chopin, etwas aufgefächerter und romantisch erweitert, in der Eingangs-Etüde aus op. 10, die ebenfalls in C-Dur steht. Und es gibt noch viele andere Beispiele. Mir fällt zum Beispiel die endlose Melodie in es-Moll aus dem ersten Band des Wohltemperierten Klaviers ein. Das macht Chopin ganz ähnlich in der wunderbaren Etüde Nr. 6 aus op. 10; da hat er sich ganz klar inspirieren lassen. Auf der analytischen Ebene gibt es da viele Verbindungen - aber natürlich auch, was Polyphonie angeht, und den Anspruch, auf kleinem Raum eine musikalische Idee stringent auszuformulieren. Da ist also schon viel Bach in Chopin. Aber es ist eben Chopin, und daher auch genial neu.

Ein Tor in C-Dur

BR-KLASSIK: Auf Ihrer CD gibt es nicht nur Musik von Chopin, sondern auch Ihre eigenen Improvisationen, die zwischen die Etüden eingestreut sind. Warum haben Sie das gemacht?

 Pianist Martin Stadtfeld | Bildquelle: © Yvonne Zemke Martin Stadtfeld | Bildquelle: © Yvonne Zemke Martin Stadtfeld: Der zweite Aspekt der Chopin-Etüden, den ich herausstellen wollte, ist der, dass es sich um einen großen Gesamtzyklus handelt: 24 Etüden - auch da sind wir natürlich wieder bei Bach. Natürlich schreibt Chopin nicht für jede Tonart eine Etüde, aber doch 24 an der Zahl. Sie beginnen in C-Dur und sie enden in C-Dur - mit dem gleichen Akkord im Übrigen: Man geht durch ein Tor hinein, aus dem man auch wieder hinausgeht, und erlebt dabei eine komplette Fantasiewelt. Daher trenne ich die Musik nicht mehr in zwei Zyklen - op. 10 und op. 25 -, sondern für mich ist das ein Gesamtes. Durch meine Improvisationen habe ich versucht, die Stücke zu verbinden und damit auch einen Bogen über das gesamte Werk zu schlagen.

Verbindungen und Übergänge schaffen

BR-KLASSIK: Wie sind die Improvisationen entstanden? Ist die Musik, während Sie geübt haben, quasi aus Ihnen herausgeflossen oder war das eher eine geistige Übung - in dem Sinne, dass sie sich überlegt haben: Wie kann ich das verbinden?

Martin Stadtfeld: Beides. Es gab natürlich den Ansatz, dass ich etwas verbinden wollte, aber letztlich sind die Improvisationen aus der Auseinandersetzung mit Chopin - wie Sie es formuliert haben - "herausgeflossen". Und auch aus der Freude heraus, diese Musik zu spielen, die auch so viel Choralhaftes in sich trägt. Oft gibt es ja bei Chopin eine funkelnde und glitzernde Oberfläche mit Kaskaden von Läufen. Darunter befindet sich aber eine weitere, tiefe Ebene - mit sehr ruhigen Akkordverschiebungen, die den Choral in sich trägt. Daher kam die Idee, was es in Chopins Stücken an musikalischen Neuerungen gibt, durch neue Choräle zu antizipieren, zu verbinden und Übergänge zu schaffen.

Die Zeit still stehen lassen

BR-KLASSIK: Improvisation ist ja etwas, das im Moment entsteht. Dadurch, dass Ihre Improvisationen auf CD gebannt sind, werden sie zu Kompositionen. Werden Sie diese Improvisationen im Konzert genauso spielen oder lassen Sie sich von Ihren Ideen wieder aufs Neue überraschen und schaffen andere Übergänge?

Martin Stadtfeld: Nun, diese Stücke sollen schon etwas zum Ausdruck bringen, das intuitiv entstanden ist und nicht so sehr komponiert wurde. Aber ich spiele sie dann im Prinzip so, wie sie auf der CD sind. Aber natürlich ist gerade bei diesen Improvisationen der größte Freiraum vorhanden. Die Improvisationen entstehen dann jeweils in der Art und Weise, wie ich sie spiele, gemeinsam mit dem Raum. Da kann ich mir schon sehr viel Freiheit nehmen, und dafür sind die Stücke auch da. Man kann sehr stringent spielen oder auch die Zeit zwischen zwei Etüden still stehen lassen. Das entscheidet dann der Augenblick, die Intuition. Und das wollte ich mit dem Titel Improvisation auch ausdrücken.

Die Fragen stelle Uta Sailer für BR-KLASSIK.

Termine: Martin Stadtfeld spielt Chopin - live

13. Januar 2017, 20.00 Uhr
Fellheim, Ehemalige Synagoge

18. Januar 2017, 19.30 Uhr
Würzburg Hochschule für Musik

31. März 2017, 19.30 Uhr
Polling, Bibliothekssaal

02. April 2017, 11.00 Uhr
München, Prinzregententheater

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