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Neueinspielung – "Turandot" von Puccini Jonas Kaufmann enttäuscht

Es gibt Operndirigenten, die Puccinis "Turandot" nicht mögen: zu monumental, zu plakativ. Antonio Pappano gehörte jahrelang dazu. Inzwischen hat er sich umstimmen lassen und doch dafür entschieden, eine Neueinspielung zu machen. An seiner Seite das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia Roma. Und auch Jonas Kaufmann ist dabei. Gerade seine Performance ist allerdings recht bemüht.

Tenor Jonas Kaufmann | Bildquelle: Gregor Hohenberg / Sony Music

Bildquelle: Gregor Hohenberg / Sony Music

Aufnahmeprüfung

Puccinis "Turandot" mit Jonas Kaufman

"Turandot" – das ist ein Märchen aus Fernost. Eine chinesische Prinzessin lässt jeden Mann hinrichten, der um sie wirbt, aber drei schwierige Rätsel nicht lösen kann. Erst der Tartaren-Prinz Kalaf schafft es. Seine großmütige Haltung befreit Turandot sogar von ihrer Gefühlsstarre.

Kaufmann müht sich als Kalaf

Dass sich die seelische Grausamkeit Turandots durch familiäre Traumata erklärt, kann die amerikanische Sopranistin Sondra Radvanovsky in der Titelrolle nicht vermitteln. Ihr Gesang ist zu sehr auf athletische Stimmpower fixiert. Gleichwohl hat sie keinerlei Probleme mit den exorbitanten Anforderungen, die Puccini stellt, und bei denen es auf eitles Imponiergehabe einer Machthaberin ankommt.

Und Jonas Kaufmann? Die baritonale Färbung des Heldentenors ist für Kalaf problematisch. Puccini erwartet vom Sänger hier schneidende Schärfe und Strahlkraft. Als wollte Kaufmann den Wettstreit mit legendären Idealbesetzungen wie Franco Corelli oder Luciano Pavarotti bewusst annehmen, setzt er seine Spitzentöne gezielt in Szene. Sie wirken bemüht und gewollt, ohne zu glänzen. In der berühmten Arie "Nessun dorma" hat ein wohlwollender Tonmeister offenbar nachgeholfen – was doch sehr befremdlich ist.

Insgesamt hinterlässt die Aufnahme einen zwiespältigen Eindruck

Als eine der stärksten unter den vielen Sterbeszenen Puccinis gilt die der Sklavin Liù. Um den von ihr heimlich geliebten Kalaf zu schützen, tötet sie sich selbst. Die albanische Sopranistin Ermonela Jaho zeichnet das Bild einer sehr zerbrechlichen Frau und macht aus der letzten Arie, die Puccini komponiert hat, einen tief bewegenden, großen Opern-Moment.

Infos

Titel: Puccini Turandot
Label: Warner classics
Künstler: Sondra Radvanovsky (Turandot, Sopran), Jonas Kaufmann (Kalaf, Tenor), Ermonela Jaho (Liù, Sopran), Michele Pertusi (Timur, Bass), Mattia Oliveri (Ping, Bariton), Gregory Bonfatti (Pang, Tenor), Siyabonga Maqungo (Pong, Tenor), Michael Spyres, (Altoum, Tenor) u.a., Coro e Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia Roma, Antonio Pappano
Musik: Giacomo Puccini
ET: 10. März 2023

Als Finale des "Turandot"-Fragments wird gerne die Version des Puccini-Schülers Franco Alfano gespielt. Und zwar in der durch den Dirigenten Arturo Toscanini um ein Drittel gekürzten Variante. Die vollständige Fassung ist zwar schon Anfang der 1980er erklungen, aber erst jetzt erstmals eingespielt worden. Antonio Pappano hat sich damit zwar für eine oberflächlich wirkende Lösung entschieden, aber immerhin: Die Langfassung Alfanos ist besser als seine Kurzfassung. Denn nur so schmilzt der Widerstand der "eisumgürteten" Prinzessin quasi in Zeitlupe. Die Versöhnung kommt nicht so plötzlich wie sonst. Das Paar Radvanovsky-Kaufmann und auch Chor und Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia bringen gerade dieses heikle Happy End der Fabel unbeirrt enthusiastisch über die Rampe. Klangtechnisch wird ein riesiger Raum suggeriert. Insgesamt ist das eine Aufnahme, die einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt.

Sendung: "Allegro" am 16. März ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (9)

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Dienstag, 21.März, 11:32 Uhr

Rüdiger

Karajan-Aufnahme

Da hier die Karajan-Aufnahme von Turandot abwertend in einem Kommentar genannt wurde, möchte ich meine gegenteile Meinung kundtun, wonach diese Aufnahme orchestral die bei weitem faszinierendste ist. Wie man hier vom ersten Takt an in eine geheimnisvolle fremdartige Welt eintaucht, ist für mich wirklich einzigartig. Keine andere Aufnahme reicht hier heran. Pappano auch nicht.

Den einzigen Kritikpunkt, den ich irgendwie nachvollziehen kann, ist die Besetzung der Titelrolle mit Riciarelli. Wenn man hier so Stimmkanonen wie Nilsson gewohnt ist, wird man diese leichtere Stimme vielleicht nicht mögen. Mir aber gefällt auch Riciarelli! Denn sie transportiert eine Verletztheit hinter der kalten Fassade, welche für die Rolle durchaus interessant ist (zumindest für mich).

Pappano bietet erstmals das vollständige Alfano-Finale innerhalb einer Gesamtaufnahme, was verdienstvoll ist. Aber letztlich ist er nicht konkurrenzfähig. Aber wenn die vielen Kaufmann-Fans sich hier erfreuen - warum nicht?

Sonntag, 19.März, 13:05 Uhr

Michael Junge

Die Aufnahme ist prachtvoll im Klang, der bei diesem Riesenapparat tontechnisch schwer einzufangen ist. Hervorragend das Ministertrio und die beiden heimlichen Hauptrollen Ermonela Jaho und Michele Pertusi, die es in jeder Aufführung und Aufnahme den Protagonisten schwer machen, das emotionale Niveau zu halten.
Zum Schluss: wir wissen nicht, was Puccini komponiert hätte, wäre er nicht gestorben. Sicher nicht, was Alfano in respektvollem Umgang mit den spärlich hinterlassenen Skizzen getan hat. Man kann dessen Arbeit nicht hoch genug einschätzen, wenn man zusätzlich bedenkt, wie Ricordi und Toscanini mit ihm umgegangen sind. Und ja, es klingt eher nach Alfano als nach Puccini, aber das liegt in der Natur der Sache. Und endlich gibt es eine Gesamtaufnahme mit dieser Fassung, leider nicht der Urfassung, da in jener einige editorische Änderungen nicht berücksichtigt wurden. Man sollte sich mehr mit den Erstfassungen Puccinis auseinandersetzen und aufnehmen. 2024 ist Puccini-Jahr!

Sonntag, 19.März, 12:51 Uhr

Michael Junge

Turandot

Da stimme ich Herrn Sebastian Iben zu.
Zuerst: Alfano war kein Schüler Puccinis, wie das immer wieder falsch geschrieben wird, sondern ein eigenständiger, höchst erfolgreicher Zeitgenosse, der sich mit Werken wie "Risurrezione", "Cyrano de Bergerac" und "Sakúntala" auf höchstem kompositorischen Niveau befindet. Leider heute, zumindest in Deutschland, vergessen. Wie im Übrigen die deutsche Kritik es bis heute nicht schafft, die italienische Oper des fin de siecle entsprechend ihrer Qualitäten zu würdigen und stattdessen immer wieder abzukanzeln.
Zur Aufnahme: Frau Radvanovsky besitzt alle Voraussetzungen zur Gestaltung dieser Mörderrolle, sowohl in den acuti wie im pianissimo. Und Herr Kaufmann strahlt in dieser Aufnahme einmal mehr, weil er gerade hier gar nicht abdunkeln kann. Er unternimmt auch nicht den Versuch, sich mit seinen Vorgängern zu vergleichen. Das liegt in der Natur seiner Stimme. Das (oppure) C vor seinem eigenen Rätsel allerdings hätte er sich sparen können.

Sonntag, 19.März, 07:19 Uhr

Bernd Haslauer

Turandot

Bravo! Eine treffende und treffsichere Kritik. Gut, dass sich mal jemand traut auszusprechen, was für ein überforderter Tenor Kaufman ist. Diese Aufnahme ist ein rein kommerzielles Kunstprodukt, das sich qualitativ neben Karajans lächerlichen Aufnahme mit Ricciarelli einreiht.

Freitag, 17.März, 18:43 Uhr

otto wiener

Bedanken Sie sich bei Pavarotti. Seitdem wird doch jeder Sänger abgekanzelt, der es nicht so singt. Und gegenwärtig gibt es einige Sänger, die es wesentlich länger und lauter unästhetisch durch die Gegend plärren. Für das abschließende a reicht dann Atem und Stimme nicht mehr.

Freitag, 17.März, 11:14 Uhr

Klaus Thiel

TURANDOT-Rezension

Was ganz selten vorkommt: eine Rezension, der ich Wort für Wort zustimmen kann ! Und zum "Tonmeister": Puccini wollte eindeutig keine endlose Fermate auf dem letzten hohen h ! Immerhin feuerte Toscanini den Original-Tenor, weil der auch nicht darauf verzichten wollte...
Eine Bagatelle nur: der komplette Alfano-Schluss wurde bereits 1989 von John Mauceri für Decca eingespielt.

Donnerstag, 16.März, 22:41 Uhr

otto wiener

"In der berühmten Arie "Nessun dorma" hat ein wohlwollender Tonmeister offenbar nachgeholfen" - derart unbewiesene Behauptungen heben natürlich das Niveau einer Kritik ... Im Übrigen konnten sich viele Menschen auch live vom Gegenteil überzeugen.

Donnerstag, 16.März, 20:55 Uhr

Franke, Ute

Tony Pappano sucht sich für seine Aufnahmen immer die weltbesten Sänger aus, aber es ist ja gerade " in " über Herr Kaufmann herzuziehen. Wohl Mitglied im Fröhlichen -Kaufmann -Hasser - Klub?

Donnerstag, 16.März, 19:57 Uhr

Sebastian Iben

Diese Kritik ist schon an dem Punkt gescheitert, an dem der Autor aus Kalaf einen persischen Prinzen gemacht hat (der Perser war schließlich tatsächlich der Letzte, der vor dem erfolgreichen Tartaren-Prinzen seinen Kopf verlor)… wer kann bei derartig fehlendem Grundwissen zu dieser Oper den Rest der Kritik noch ernst nehmen?!

Haben wir korrigiert. Danke für den Hinweis!

Herzlich
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