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Wie kriegt man Besucher ins Konzert? Das Zauberwort heißt Nähe

Kulturinstitutionen sollten mehr auf die Bedürfnisse potentieller Besucher eingehen. Das ist das Fazit einer Untersuchung des Kulturwissenschaftlers und Kultursoziologen Martin Tröndle. Er hat erforscht, wieso manche Menschen Konzerte und Opernhäuser meiden – und so zu sogenannten Nicht-Besuchern werden.

Ein Mann steht auf einer Bühne vor einem großen Publikum | Bildquelle: stock.adobe.com/Nikolay N. Antonov

Bildquelle: stock.adobe.com/Nikolay N. Antonov

Der typische Nicht-Besucher von Opern- und Konzerthäusern ist Wirtschaftswissenschaftler, hört Hip-Hop und Schlager und sitzt in seiner Freizeit gerne vor dem Computer: Video- und Computerspiele sowie gestreamte Filme, das ist seine Welt. Herausgefunden hat das Martin Tröndle. Er ist Inhaber des Würth-Lehrstuhls für Kulturproduktion an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen und hat den Nicht-Besucher wissenschaftlich untersucht. Elf Prozent der Befragten gaben an, in den letzten zwölf Monaten kein Konzert und keine Opernaufführung besucht zu haben – und auch nicht hingehen zu wollen, wenn sie eine Karte bekämen.

Versuchsweise ins Konzert

Deutsche Oper Berlin - Außenansicht | Bildquelle: picture alliance/imageBROKER/Ingo Schulz Bildquelle: picture alliance/imageBROKER/Ingo Schulz Forscher Tröndle hat neben einer groß angelegten statistischen Erhebung die Nicht-Besucher auch ganz praktisch beobachtet: Menschen, die angegeben hatten, nie kulturelle Veranstaltungen zu besuchen, wurden in Berlin in Vostellungen begleitet - in die Deutsche Oper, die Schaubühne und die Neuköllner Oper. Anschließend wurden die Menschen erneut befragt. Denn Tröndle wollte nicht nur Vorurteile abfragen, wie etwa "Kunst ist doof und langweilig", sondern auch die Auseinandersetzung und die Erfahrung, die die Probanden im Theater machten, in die Untersuchung einfließen lassen.

Das "Klassikexperiment" von BR-KLASSIK

Auch BR-KLASSIK hat 2019 Feldforschung mit Konzert-Neulingen gewagt, im Klassikexperiment "Mein erstes Mal". Wir haben fünf Menschen Tickets für ihr erstes klassisches Konzert gegeben und sie dabei begleitet.

Nähe zur Kultur

Das Ergebnis von Tröndles Studie: Sobald die früheren Nicht-Besucher eine Nähe zu der Kulturinstitution empfanden, konnten sie sich vorstellen, dort erneut hinzugehen. Für die Kulturmacher heißt das: Beim Programmieren eines Festivals, einer Konzertreihe oder eines Spielplans sollten sie nicht nur an das Thema und den Künstler denken, sondern auch an den Besucher. Als Leitfrage dient hierbei: Kann man durch das geplante Programm Nähe zum Besucher aufbauen? "Nähe ergibt sich auch über das soziale Gefüge", sagt Martin Tröndle im BR-KLASSIK-Interview, darüber, wie man den Menschen empfängt. Ein Schlüsselbegriff ist Storytelling. Um die Menschen zu erreichen, die nicht oder selten kommen, müssten die Kultureinrichtungen ihr Image ändern. Es geht darum, im Leben der Menschen verankert zu sein, sie "abzuholen". Tröndle weiß aber auch: "Dieser Schritt ist für die Kulturinstitutionen aber groß, weil eine ganz andere Herangehensweise gefragt ist."

Nähe ergibt sich über das soziale Gefüge
Martin Tröndle, Kulturwissenschaftler

Vorbild Popmusik

Publikum beim Konzert von Mine während des PULS Open Airs 2019 auf Schloss Kaltenberg. | Bildquelle: BR Bildquelle: BR Einen entscheidenden Unterschied beobachtet Tröndle zwischen dem Publikum von Klassischer Musik und dem von Popkonzerten: Nach einem Konzert oder Opernabend verlassen die Zuschauer schnellstmöglich den Saal, holen ihre Mäntel und verschwinden in der U-Bahn oder der Tiefgarage. Das ist bei Pop-Festivals ganz anders, erklärt Tröndle. Dort feierten die Besucher ihre Musiker und auch sich selbst in Gemeinschaft. Die Kunst vereint hier die Menschen.

App für gemeinsame Opernbesuche

Genau diese Gemeinschaftsbildung könnte auch klassischen Konzerten und Opern nicht schaden. Denn viele, die bislang keine Kulturveranstaltungen besuchen, würden mit Begleitung durchaus hingehen. Eine entsprechende App wäre hier hilfreich, schlägt Wissenschaftler Martin Tröndle vor. Dort könnte man sich verabreden und einen Partner für die Unternehmung oder gleich eine ganze Gruppe beispielsweise Operninteressierter finden.

Sendung: "Leporello" am 25. Juni 2019, 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Mehr Informationen:

Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich in einem Buch nachlesen, das Martin Tröndle herausgegeben hat. Es heißt "Nicht-Besucher/Audience Development für Kultureinrichtungen", ist im Springer-Verlag erscheinen und kostet 64,99 Euro.

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