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Umweltbewusst musizieren Klimaschutz im Orchesteralltag

Von München nach Tokio, von New York nach Zürich und wieder zurück. Mit welchem Verkehrsmittel? Selbstverständlich mit dem Flugzeug! Die Klimabilanz vieler Orchester ist miserabel – berufsbedingt. Denn viele Ensembles nutzen die Gelegenheit, außerhalb von Europa zu spielen. Was also tun, um klimafreundlich Musik zu machen? BR-KLASSIK hat nachgefragt.

Musiker der NaturTon-Stiftung | Bildquelle: Rosenberg

Bildquelle: Rosenberg

Ein einziges Konzert in Tokio. Nur dafür einmal um die Erde zu fliegen, das steht für den Hornisten Markus Bruggaier aus Berlin in keinem Verhältnis. Als Musiker der Staatskapelle Berlin weiß er, dass Orchester viel reisen – ein kultureller Austausch rund um den Globus. "Es ist wichtig, dass dieser stattfindet", sagt Bruggaier, "für die Musiker wie auch für das Publikum." Er findet aber auch, dass das nicht blind geschehen darf. "Das rechte Maß für das Fliegen ist in den letzten Jahren verloren gegangen." Kann man auch als Orchestermusiker mit einer umweltbewussten Einstellung seinen Beruf ausüben?

Orchester des Wandels

2012 gründete Markus Bruggaier die Stiftung NaturTon und mit ihr das Orchester des Wandels. Das setzt sich aus den 130 Musikerinnen und Musikern der Staatskapelle Berlin zusammen. Nicht alle von ihnen sind bei den Klimakonzerten des Orchesters des Wandels auf der Bühne. Diejenigen, die bei den Proben und Aufführungen mitspielen, werden dabei jedoch von der Berliner Staatsoper unterstützt. Ihr Engagement ist also Arbeitszeit, nicht nur eine private Einstellung zum Klimaschutz.

Orchester des Wandels

Das Orchester des Wandels ist eine Klimaschutz-Initiative der Musiker der Staatskapelle Berlin. Die Schirmherrschaft hat Daniel Barenboim inne. Zentraler Bestandteil ist die gemeinnützige NaturTon-Stiftung, die 2012 mit privaten Mitteln der Orchestermusiker gegründet wurde. Die Initiative ist offen für weitere Orchester und Künstler.

Patricia Kopatchinskaja beim Klimakonzert 2012 | Bildquelle: Peter Böhnel Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja beim Klimakonzert 2012 | Bildquelle: Peter Böhnel Das Orchester des Wandels unterstützt mit jedem Konzert ein Projekt für den Klimaschutz. "Wir wählen Projekte, die für uns sehr authentisch sind, weil sie auch mit uns zu tun haben", erklärt Markus Bruggaier. "Zum Beispiel das Projekt 'Eben!Holz' in Madagaskar für die gefährdeten, vom Aussterben bedrohten Ebenhölzer, die für Griffbretter benutzt werden." Diese Klimakonzerte sind erfolgreich. Ende Mai 2019 gab das Ensemble bereits das achte Konzert. Diesmal gemeinsam mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja. Ihr liegt der Klimaschutz am Herzen: "Wir sind ganz klar am Ende unserer Zeit. Das sagen uns die besten Wissenschaftler. Wir Musiker sind ein Teil unserer Zeit, und als Künstler hat man einen Sinn für so etwas." Für Patricia Kopatchinskaja ist es also selbstverständlich, das Orchester des Wandels zu unterstützen.

Beim Klimakonzert Ende Mai in Berlin spielten Patricia Kopatchinskaja und das Orchester des Wandels Galina Ustwolskajas zornige Komposition "Dies Irae". Musik wie eine entrüstete Antwort auf die derzeitige Lage. Der Abend machte auf ein Projekt der Stiftung NaturTon aufmerksam: Der Erlös kam einem Renaturierungsprojekt in Moldawien zugute, das Patricia Kopatchinskaja mit Hilfe des Orchesters des Wandels gegründet hat.

Wir sind ganz klar am Ende unserer Zeit.
Patricia Kopatchinskaja

Flächendeckende Maßnahmen

Die Musiker vom Orchester des Wandels spielen nicht nur für ihr gutes Gewissen, sie sind flächendeckend aktiv. Das bedeutet für die Orchesterarbeit vor allem, alle Verwaltungsangelegenheiten ökologisch zu gestalten, vom klimaneutralen Versenden von Werbeunterlagen auf Recycling-Papier bis zur Umstellung des Staatsopernbetriebs auf Ökostrom. Im Mittelpunkt aller Maßnahmen: das klimaneutrale Reisen mit Hilfe von Kompensationsabgaben an Initiativen wie atmosfair und Moor Futures.  

Wir reisen viel. Das gehört zu unserem Kulturauftrag.
Christian Beuke, Münchner Philharmoniker

Solche Initiativen unterstützen auch die Münchner Philharmoniker. Die Abgaben an die Non-Profit-Organisation atmosfair laufen dabei aus dem philharmonischen Etat, wodurch an anderer Stelle eingespart werden muss. Aufgrund der vielen Reisen entrichtet das Orchester somit regelmäßig fünfstellige Beträge. "Wir reisen viel, das gehört zu unserem Selbstverständnis und unserem Kulturauftrag", so Christian Beuke von den Münchner Philharmonikern. "Aber natürlich wissen wir, dass wir damit das Klima belasten. Deswegen ist es gut, dass es so etwas wie atmosfair gibt." Innerdeutsch verreisen die Münchner Philharmoniker ausschließlich mit der Bahn.

Flugverbot für Orchestermusiker

Das Konserthus Helsingborg in Schweden ist in Sachen Klimaschutz am radikalsten. So geht das Helsingborgs Symfoniorkester aus der Heimat von Greta Thunberg so weit, dass ab der Saison 2020/21 Engagements abgesagt werden, die nicht mit Zug, Bus oder Schiff erreicht werden können. Der Chef des Konserthus Helsingborg, Fredrik Österling, weist auch das Argument zurück, dass die Musikbranche auf Reisen angewiesen sei, um im globalen Markt mitzuspielen. Vielmehr sieht er in dem Flugverbot eine Chance, die Musiker vor Ort zu fördern und die heimische Region zu stärken. Die Künstler, die aus den umliegenden Ländern für ein Engagement nach Helsingborg anreisen, müssen sich ebenfalls auf lange Zugreisen einstellen. Das Helsingborgs Symfoniorkester kooperiert darüber hinaus seit kurzer Zeit auch mit Agenturen, die sich für einen klimafreundlichen Orchesteralltag einsetzen.

Ein Anfang ist gemacht

Es gibt sie, die Möglichkeit, klimafreundlicher zu musizieren. Doch alle guten Vorsätze sind sinnlos, wenn nicht Grundlegendes verändert wird. So will die Stiftung NaturTon mit ihrem Engagement die Akteure des Musikbetriebs anregen, das eigene Verhalten zu überdenken und Motivation und Inspiration für weitere Mitstreiter zu sein. Island und Hongkong haben diesen Impuls bereits aufgenommen. Dort gibt es Planungen für eigene klimafreundliche Orchester. Das Thema Umwelt- und Klimaschutz ist in der klassischen Musikwelt angekommen, hat aber noch viel Luft nach oben.

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