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Nikolaus Brass zum 70. Geburtstag Musik ist Atem

Schon während seines Medizinstudiums nahm Nikolaus Brass privat Kompositionsunterricht. Doch der ausgebildete Arzt bezeichnet sich im Wesentlichen als Autodidakt. Bis heute werden seine Werke bei den wichtigsten Festivals für Neue Musik erst- oder uraufgeführt. Am 25. Oktober feierte Nikolaus Brass seinen 70. Geburtstag.

Der Komponist Nikolaus Brass | Bildquelle: Astrid Ackermann

Bildquelle: Astrid Ackermann

Das Interview mit Nikolaus Brass zum Anhören

BR-KLASSIK: Musik ist Kommunikation von Körper zu Körper. Diese Aussage habe ich von Ihnen gefunden. Stimmen Sie dem zu?

Nikolaus Brass: Ja, das kann ich gut unterschreiben. Immer wieder und immer neu. Musik ist ja auch eine ungeheure intime Kommunikation, beispielsweise des Spielers mit seinem Instrument oder des Spielers mit seinen Mitspielern. Es gibt kein Musikerleben ohne ein körperliches Erleben auf Seiten der Zuhörer. Es ist nicht nur Geist zu Geist, sondern vor allem auch Körper zu Körper. Und das ist eigentlich das, was mich interessiert. Ich bin nicht technikaffin, ich habe nie irgendwie elektronische Musik geschrieben. Mich interessiert der Finger auf der Seite, das Schnaufen des Interpreten bei einer schwierigen Stelle – und überhaupt das Atmen. Musik ist Atem und kommt vom Atem. Und dem versuche ich, bei meiner Art zu komponieren nachzugehen.

BR-KLASSIK: Jetzt haben Sie beschrieben, wie Ihre Musik kommuniziert. Können Sie auch sagen, was Ihre Musik sagt?

Nikolaus Brass: Ich glaube, dass Musik etwas sagen kann, aber nicht sagen muss. Sie kann etwas über das Auf-der-Welt-sein sagen, über dieses innere Gefühl, lebendig zu sein. Das ist auch eine Aussage über die Befindlichkeit eines Menschen.

Wichtige Stationen im Leben von Nikolaus Brass

  • 1949 in Lindau am Bodensee geboren
  • ab 1968 Medizinstudium in München, Glasgow und Berlin, gleichzeitig privat Kompositionsunterricht
  • Medizin-Staatsexamen an der Freien Universität Berlin
  • Mehrere Jahre als Arzt klinisch tätig
  • Kompositorische Studien betrieb er bei Peter Kiesewetter in München und Helmut Lachenmann in Hannover
  • Autor von Zeitschriften- und Rundfunkbeiträgen u. a. über Henri Dutilleux und Allan Pettersson
  • Bis 2009 war er Redakteur in einem medizinisch-wissenschaftlichen Fach-Verlag
  • 1981 erste Veröffentlichung einer Komposition ("Traumrede")
  • Seither zahlreiche Werkaufträge und Aufführungen seiner Werke u. a. bei den Donaueschinger Musiktagen, Ultraschall Festival Berlin, éclat Stuttgart, bei der musica viva des Bayerischen Rundfunks, bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik, Klangspuren Schwaz und den Hamburger Klangwerktagen
  • Im Rahmen der "musica viva" 2007 Uraufführung durch das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks von "L'inferno - Landschaft für Orchester" und 2016 "Der goldene Steig"
  • 2016 Auftragswerk im Fach Streichquartett für den ARD-Musikwettbewerb mit dem Titel "etchings"
  • 2018 Uraufführung von "Die Vorübergehenden" an der Bayerischen Staatsoper

BR-KLASSIK: Sie haben Medizin studiert, bevor Sie sich dann ganz der Musik zugewandt haben. Auch als Medizin-Journalist haben Sie gearbeitet. Ich habe das Gefühl, dass es bei Ihnen darum geht, übers Menschsein nachzudenken. Mit Blick auf Ihren Geburtstag: Wird denn der Blick auf die Menschen im Alter ein anderer?

Der Komponist Nikolaus Brass | Bildquelle: Astrid Ackermann Bildquelle: Astrid Ackermann Nikolaus Brass: Ich hoffe: ja! Weil man ja Erfahrungen gesammelt hat. Und ich hoffe, dass die Lebensbahn eine Bahn von Entfaltungen ist und nicht von Abkapselung. Als ich anfing, waren natürlich Vorbilder wichtig, an denen ich mich zunächst orientiert hatte. Das sind die Namen, die in meinem Zusammenhang oft genannt werden, denen ich wirklich wirklich viel verdanke: Helmut Lachenmann, Morton Feldman und Luigi Nono. Die waren schon auch Ikonen für mich – Punkte in der Landschaft, an denen ich versucht habe, mich zu orientieren. Mit dem Älterwerden verlieren diese Punkte nicht die Wertschätzung, aber die Bedeutung. Und ich versuche jetzt freier, irgendwie auch gütiger zu sein.

Ich hoffe, dass das Älterwerden mit Reiferwerden zusammenhängt.
Nikolaus Brass

BR-KLASSIK: Also eher eine Lust am Ausprobieren?

Nikolaus Brass: Früher habe ich bestimmt rigide Seiten gehabt, auch beim Komponieren. Das ist jetzt nicht mehr nötig. Jetzt bin ich freundlicher zu mir und der Welt. Und zur Musik vielleicht auch. Also, ich lasse mehr zu und lasse mehr geschehen. Ich muss jetzt nicht unbedingt nochmal etwas ganz Supertolles machen.

BR-KLASSIK: Und wo hört man das in der Musik?

Nikolaus Brass: Beispielsweise, dass ich mich jetzt vermehrt der Naturtönigkeit zuwende, dieser inneren Harmonie, die der Ton durch sein Oberton-Spektrum hat. Da gibt es einen ungeheuren Reichtum. Das ist etwas, was mich jetzt interessiert und was vielleicht neu oder anders ist in meiner Arbeit im Vergleich zu früher.

BR-KLASSIK: Was würden Sie einem jungen Menschen raten, der heute zu Ihnen kommt und sagt: Ich möchte komponieren?

Nikolaus Brass: Geduld, nochmal Geduld und Selbstbefragung. Wenn jemand zu mir käme, würde ich ihn schon fragen: Warum willst du komponieren? Wenn man sich die Musik und Kulturgeschichte anschaut, dann denke ich immer: Am faszinierendsten sind die Biografien und die Werke, die aus einem ganz tief gelegenen Warum und einem verborgenen menschlichen Darum geschrieben worden sind. Und deswegen werde ich immer fragen: Was ist dein Antrieb? Warum willst du was machen?

Jetzt bin ich irgendwo freundlicher zu mir und der Welt. Und zur Musik vielleicht auch.
Nikolaus Brass

Sendung: "Leporello" am 23. Oktober 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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