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Kreativfächer an Grundschulen Klassikszene protestiert gegen Kürzungen

Simon Rattle, Anne-Sophie Mutter und 26 weitere Promis der Klassikszene wenden sich mit einem Offenen Brief an die Bayerische Staatsregierung. Sie protestieren gegen geplante Kürzungen des Unterrichts in Kreativfächern an Schulen.

Sir Simon Rattle | Bildquelle: dpa-Bildfunk

Bildquelle: dpa-Bildfunk

Am 7. März haben sich 28 bekannte Musikschaffende, Chefdirigenten und Musikhochschulprofessor*innen in Bayern in einem Offenen Brief an die Bayerische Staatsregierung gewendet. Hier der Text im Wortlaut:

Sehr geehrte Frau Ministerin Stolz, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Söder, sehr geehrte Bayerische Staatsregierung,

wir möchten hier unseren Protest gegen die geplante Kürzung des Unterrichts in Kreativfächern an den bayerischen Schulen ausdrücken.

Den Versuch, die geplante Zusammenlegung der Grundschulfächer Kunst, Musik und Werken zu relativieren, gar zu bestreiten, die Verantwortung für den durchzuführenden Unterricht an die Schulen zu übertragen und "epochalen Unterricht" zu erlauben, also beispielsweise ein halbes Jahr lang Kunst, danach Musik zu unterrichten, halten wir für den unseriösen Versuch, dem weithin einhelligen Protest gegen Ihr Vorhaben den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es bleibt in der Sache dabei, dass Sie dem in der Praxis schon längst realen Unvermögen, der kreativen Erziehung unserer Schülerinnen und Schüler in ausreichendem Maß nachzukommen, nun auch noch eine gesetzliche Grundlage geben wollen. Epochal ist dabei allenfalls Ihr offener Versuch, die Künste als verzichtbare Nebensache zu erklären.

Wir möchten Sie mit Nachdruck daran erinnern, dass Sie durch den Artikel 3 der Bayerischen Verfassung verpflichtet sind, dem Land Bayern als Kulturstaat gerecht zu werden. Dem vielfältigen Versagen in dieser Aufgabe, beispielsweise während der Pandemie, fügen Sie nun gemäß dem immer offensichtlicheren Desinteresse dieser Regierung an den kulturellen Inhalten in der schulischen und universitären Erziehung eine weitere schwere Verfehlung hinzu. Die Künste in unserem Land sind in ihrer staatlichen Finanzierung und damit Extension geradezu ein Alleinstellungsmerkmal unseres Landes, sie tragen Enormes zur Produktivität unseres Landes bei und sie sind nicht Subventionsempfänger, sondern Orte für Investitionen in eine Zukunft mit historischer Fundierung und kultureller Tradition, in ein Weitergeben jahrtausendelang gepflegter Inhalte an die jeweils folgenden Generationen.

Kreativität brauchen wir in unserer Welt wohl in größtem Ausmaß. Wie sollen wir den vielfältigen und bedrohlichen Entwicklungen nicht nur der letzten Zeit begegnen können, wenn wir nur auf den Erwerb von Kompetenzen setzen? Wir müssen unseren Kindern die Möglichkeit mitgeben, sie geradezu ermutigen, nicht nur regelkonform, sondern auch frei und assoziativ mit ihrer Phantasie umzugehen, Ideen zu entwickeln, und mit sinnlicher Freude Neues zu denken und auszuprobieren. Der freie Umgang mit Kreativität trägt zu emotionaler und empathischer Kompetenz bei, zum Spracherwerb, zur Kommunikationsfähigkeit. Auch deshalb spielt die Erziehung mit Künsten eine herausragende Rolle.

Sie haben wegen der Kulturhoheit der Bundesländer und aufgrund des oben schon erwähnten Artikel 3 der Bayerischen Verfassung einer besonders hohen Verantwortung gerecht zu werden. Wir fordern Sie dementsprechend auf, den gerade gegenteiligen Weg zu gehen: Überlassen Sie bitte nicht den mit Personalnot ohnehin überforderten Schulen, wie sie mit diesen Fächern umgehen. Lassen Sie nicht zu, dass diese Fächer eine erneut geringere Bedeutung bekommen, sondern korrigieren Sie im Gegenteil die Fehler, die schon längst und wiederholt gemacht wurden und welche damit das Desinteresse an den Künsten ganz offensichtlich wachsen ließen. Bitte stärken Sie vielmehr den Unterricht mit kulturellen Inhalten: Fördern Sie im Deutsch-Unterricht nicht nur die Kompetenzen, sondern auch den selbstverständlichen Erwerb breiter literarischer Kenntnisse, fördern Sie die kunsthistorische Urteilskraft, machen Sie die Vertrautheit mit musikalischen Inhalten wieder zu einer Selbstverständlichkeit, damit dieses Land auch von dieser Seite wieder neue Ideen bekommt. Damit das in den weiterführenden Schulen funktionieren kann, müssen aber die Jüngsten schon in dieser Richtung so gut wie möglich gefördert werden. Wir dürfen die Pflege der Künste nicht den Museen, Theatern, Orchestern und Gymnasien überlassen, und alle Kinder müssen teilhaben dürfen – das funktioniert am Besten in den Grundschulen, und das auch noch sprach- und herkunftsübergreifend und damit in besonderem Maße integrativ und identitätsstiftend. Was Sie vorhaben, sind Kürzungen am völlig falschen Ort!

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Julia Fischer
Prof. Christian Gerhaher
Prof. Anne-Sophie Mutter
Vladimir Jurowski, GMD der Bayerischen Staatsoper
Sir Simon Rattle, Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks
Lahav Shani, designierter Chefdirigent der Münchner Philharmoniker
Jakub Hrůša, Chefdirigent der Bamberger Symphoniker
Joseph Bastian, Chefdirigent der Münchner Symphoniker
Hansjörg Albrecht
Prof. Georg Arzberger
Yulianna Avdeeva
Prof. Juliane Banse
Prof. Markus Bellheim
Prof. Gerold Huber
Prof. Christiane Iven
Christiane Karg
Konstantin Krimmel
Prof. Mi-Kyung Lee
Prof. Nils Mönkemeyer
Daniel Müller-Schott
Michael Nagy
Tareq Nazmi
Prof. Lena Neudauer
Prof. Christoph Poppen
Prof. Alexandra Scott
Prof. Julian Steckel
Prof. Ingolf Turban
Prof. Wen-Sinn Yang

Sendung: "Allegro" am 8. März 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (7)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Samstag, 09.März, 17:35 Uhr

Prof. Dr. Bernd Müller-Jacquier

Klassikszene gegen Kürzungen

Klar und deutlich, diese Stellungnahme!
Leider folgt die Landesregierung dem Schema, das schon in den Schulen nicht funktioniert: Alleinige Orientierung an Prüfungen.
Um nach künftigen Pisa-Tests besser dazustehen, müssen Schüler*innen jetzt nach dem erklärten Willen (nicht: Fehl-Verhalten) der Regierung vor allem in den Pisa-Fächern büffeln.
"Pisaisierung" der Lehrpläne. Kurzsichtiger geht's nicht.

Samstag, 09.März, 15:26 Uhr

Beate Schwärzler

Offener Brief der Künstler gegen die Kürzungen.

Danke, sehr geehrte, werte Musiker.
Danke, daß Ihr Euch gemeinsam wehrt.

Doch wo bleiben die vereinigten Eltern ?
Wo bleibt da der Aufschrei ?
(The people united...)

Samstag, 09.März, 13:40 Uhr

Langhans Werner

Grundschule: Kürzungen d Kreativfächer

Ich kann mich diesem Protest nur anschließen.
Wir wohnen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Vorarlberg/Österreich.
In diesem kleinen Bundesland werden "Kreativfächer" weitaus mehr gefördert als bisher in Bayern.
Und jetzt soll es noch weniger werden.
Eine Schande!
Armes Bayern.

Samstag, 09.März, 11:48 Uhr

Ekaterine Amirkhanashvili

Möchte noch hoffen

Lieben dank für den Aufruf!!! Die Entwicklung von Großteil den Kindern liegt eh am untersten Niveau.

Freitag, 08.März, 19:10 Uhr

Gottfried Stritar

Kürzung der Musikstunden

Hier wird an der verkehrten Stelle gespart! Zahlreiche Studien belegen, dass die Musik die mathematische Kompetenz stärkt. Warum sind so viele Naturwissenschaftler begeisterte Amateurmusiker? Hier gibt es belegbare Wechselwirkungen. Ausserdem: Die Musik beginnt im Kindesalter und nicht erst in den Konzertsälen! Ob sich Frau Stolz gegen Herrn Söder durchsetzen kann? Ich hoffe es. Heute ist doch Frauentag!

Freitag, 08.März, 15:54 Uhr

Dignal

Zustimmung zu offenem Brief der Künstler aus der K

Nur zu, viele weiter offene Briefe von möglichst vielen Kulturschaffenden sind nötig!

Freitag, 08.März, 08:42 Uhr

Neuhauser

Richtig so

Ich kann mich diesem sehr deutlichen Appell nur anschließen. Leider habe ich wenig Hoffnung, dass er in den entscheidenden Köpfen der bayerischen Staatsregierung ankommt. Im Gegenteil befürchte ich dass er sogar noch für populistische Propaganda ausgenutzt wird. Unter dem Motto "wir machen Politik für das Volk (das ja mit Kunst und Kultur nichts am Hut hat) und nicht für ein paar Reiche die es sich leisten können in Konzerte und Oper zu gehen..."

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