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Selbstversuch Opernkritik in 140 Zeichen

Mit Tablet und Handy ins Konzert? Das liegt jetzt im Trend! Einige große amerikanische Orchester bieten während der Vorstellung die Partitur zum Mitlesen auf dem iPad an, Podcasts mit den Musikern oder sogenannte "Tweet Seats". In München hat die Theaterakademie August Everding nun erstmals auch ein solches Experiment gewagt. Interessierte Blogger und Twitterer durften live während der Premiere zu "Carmen Assassinée" twittern. U21-Reporterin Anna Novák hat es ausprobiert und unter #carmenundich fleißig mitgetwittert.

Mit dem Tablet im Konzert | Bildquelle: colourbox.com

Bildquelle: colourbox.com

Mein Platz ist heute in Twitter-Loge II. Ganz hinten, aber mit kuscheligen Polsterstühlen und einwandfreier Sicht auf die Bühne. Schnell ein Foto gemacht und ab damit auf Twitter:

Die Twitter-Loge füllt sich, gleich geht's los! Die Aussicht stimmt! #carmenundich

Der Anfang ist geschafft. Vor diesem ersten Tweet hab ich mich ja am meisten gefürchtet. Da ist der Druck so groß, gleich etwas Lustiges oder Originelles abzusetzen. Bevor die Vorstellung beginnt, erklärt mir Johannes Lachermeier, Presseverantwortlicher der Theaterakademie August Everding noch schnell die Regeln für mein heutiges Twitter-Experiment: "Der Ton muss aus sein, das versteht sich von selber. Und wir haben die Twitterer gebeten, ihre Bildschirme dunkler zu stellen. Sie sollen schließlich so wenig auffallen wie möglich."

Neben mir gibt es noch ein paar andere Twitter-Freaks, die heute Abend ihre Opernkritik auf 140 Zeichen reduzieren müssen. Was mich wundert: Ich bin die Jüngste. Neben mir: @And_Muc, 54 Jahre alt und eigentlich Zollbeamter – und Anja @ResiFreunde, Ende 30 und Fuhrparkmitarbeiterin. Beide haben - anders als ich - schon die Hauptprobe von "Carmen Assassinée" gesehen. Mist, Wissensvorsprung.  Mir bleibt also nix anderes übrig, als genau zu beobachten und alles aufzuschreiben, was mir auffällt. Das ist zu allererstmal die Bühne, die aussieht wie eine große Papiertüte.

Das Rascheln der Bühne aus Papier ist irgendwie ein schöner Kontrast zum digitalen Gezwitscher hier. #carmenundich

Pling, Pling. 4 Leuten gefällt mein Tweet. Sehr schön. Ich scrolle durch meine Twitter-Timeline, mal gucken, was die anderen so twittern. Viel Inhaltliches, Zitate aus dem Stück, Fotos vom Bühnenbild... alle paar Minuten ploppen neue Tweets unter dem Hashtag #carmenundich auf. Ich schaue wieder nach vorne zur Bühne. Moment… wieso haben die Mädels da vorne plötzlich alle denselben pinken Rock an?

Und so viele Carmens! Das ist ja wie beim #Bachelor..... #carmenundich

Klassik mit Trash-TV-Bezug. Ha, das muss mir erstmal einer nachmachen! Trotzdem kann ich mich nicht so richtig über meinen Einfall freuen, denn: Irgendwie komm ich nicht mit. Gleichzeitig auf dem Handy lesen, die Inszenierung verstehen wollen und den Sängern zuhören überfordert mich hoffnungslos. Ich teile mein Dilemma auf Twitter:

Übertitel lesen oder Timeline checken, das ist hier die Frage.... #carmenundich

Die Antwort kommt prompt. Twitterin @Boval76 schreibt: Beides. Und die Theaterakademie zwitschert, ich dürfe ja auch die Texte der Videoprojektionen nicht vergessen. Na danke auch, die sind mir bisher noch gar nicht aufgefallen! Ich merke schon: Inhaltlich kann ich hier heute überhaupt nicht punkten. Ich versuche ins gute alte Programmheft zu linsen, aber mein Handybildschirm ist so dunkel, dass er sich nicht als Taschenlampe eignet. Ah, endlich! Musik, die ich gut kenne – eine Steilvorlage.

Bizets Musik erinnert mich irgendwie immer wieder an mein Triangel-Trauma ausm Schulorchester... #nichtschleppen #carmenundich

So langsam komm ich in Fahrt. Auf der Bühne schlagen sie Purzelbäume und kritzeln an die Wände - ich twittere über meine Bewunderung für die akrobatischen Sänger, über Kastagnetten, den Müll auf der Bühne und über Konfetti. Das macht Spaß! Nicht viel denken, einfach reagieren:

Wenn Don José seine Carmen wirklich lieben würde, würde er ihr sogar auf Twitter folgen. #carmenundich

Ich habe meinen Tiefpunkt erreicht. Hab ich diesen Witz gerade tatsächlich gemacht? In der Oper? Während unten das Münchner Rundfunkorchester spielt und sich die jungen Sänger total reinwerfen in die Inszenierung, um ihre beste Seite zu zeigen? Mein Handyakku blinkt und ich geb auf. Ein letzter Tweet:

Ich bin raus. Der Showdown gehört nur meinen Ohren und Augen. #carmenundich #off

Mehr von U21-Reporterin Anna Novak auf Twitter.

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