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Pianistin Dina Ugorskaja gestorben Die Zeitlosigkeit hörbar gemacht

Als sie im vergangenen November für ein Gespräch zu uns ins BR-KLASSIK-Studio kam, da wirkte die zarte Dina Ugorskaja noch zerbrechlicher als sonst, so schmal wie der Stamm einer jungen Birke und trotzdem schien sie so stark, so fest verwurzelt, so willensstark. Und gewillt zu leben – zu überleben. Wie ihre Plattenfirma heute mitteilte, ist Dina Ugorskaja am 17. September an ihrer Krebserkrankung gestorben.

Dina Ugorskaja | Bildquelle: © Felix Broede

Bildquelle: © Felix Broede

Mit Beethoven-Sonaten trat sie in München zuletzt im Dezember 2018 auf. Und sie hatte all ihre Kraft, ihre Weisheit, ihre Weitsicht und die für sie schon seit einigen Jahren ständig spürbare Nähe zum Tod hineingelegt in ihr Spiel. Es schien, als wolle sie mit jeder Note ihre Lust am Klang und am Leben zeigen. Ein berührtes, ein ob dieser Ehrlichkeit schockiertes Publikum ließ sie an jenem Abend zurück.

Akkordgewalt und Unendlichkeit

Irgendwie spürten wahrscheinlich alle, dass es Dina Ugorskajas letzter Auftritt in diesem Saal gewesen sein sollte. Aber aussprechen konnte und wollte es niemand, weil die Akkordgewalt der Beethovensonaten doch ganz andere Geschichten zu erzählen schien. Wie Dina Ugorskaja jede Note so ernst nimmt, jede Phrasierung so durchdenkt und durchwirkt, so nachvollziehbar gestaltet, davon zeugen jetzt nur noch ihre Aufnahmen. Sie lässt sich Zeit, sie kostet die Unendlichkeit zwischen jeder Note aus, ohne zäh und klebrig wie Harz daher zu kommen.

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Dina Ugorskaja - Beethoven, opus 111, part 1 | Bildquelle: Ilja Kukuj (via YouTube)

Dina Ugorskaja - Beethoven, opus 111, part 1

Geboren wurde Dina Ugorskaja im August 1973 in der Sowjetunion, in Leningrad. Der Vater: Anatol Ugorski, Pianist. Die Mutter: Maja Elik, Musikwissenschaftlerin, Sängerin, Malerin. Ohne Musik, ohne Kunst, ohne Diskussion, ohne Humor geht gar nichts in ihrem Elternhaus. Mit dem Vater albert Dina am Klavier herum, von dem Moment an, als sie gerade sitzen kann.

Die ersten Konzerte

Die ersten Konzerte als Jugendliche machen ihr Lust auf immer mehr, auch aufs Komponieren. Dann kommt das Jahr 1990, wegen antisemitischer Anfeindungen verlässt die Familie Ugorski Leningrad und geht nach Berlin. Den Neuanfang von Vater Anatol – vom Flüchtlingsdasein im Heim auf die Konzertpodien – treibt die Schriftstellerin Irene Dische voran. Und Dina Ugorskaja startet parallel ihre eigene Laufbahn als Pianistin, studiert in Detmold, lehrt in Detmold, kommt nach München.

Sie geht den komplizierten Weg

Sie ist eine begehrte Kammermusikpartnerin und gibt Soloabende, sie nimmt Platten auf – Bach und Beethoven sind ihre Favoriten. Immer und immer wieder analysiert sie die späten Sonaten und das Wohltemperierte Klavier. Sie geht den komplizierten Weg: erst verstehen, durchdringen, ehe sie sich dem Gefühlsspektrum eines Werkes widmet. Eile ist nicht ihre Haupteigenschaft. Sie macht besonnen, überlegt, reflektiert Karriere. Es geht ihr immer um das haargenaue Betrachten der Musik, als wäre jede Note eine dreidimensionale Skulptur, die, je nach Lichtverhältnis, immer wieder ganz anders schimmert.

Ich glaube, wir würden der Musik Unrecht tun, wenn wir alles so ganz schnell machen, wie es heutzutage leider oft der Fall ist.
Dina Ugorskaja

Der Ruhm, die erstaunten, begeisterten Kritiken kommen vergleichsweise spät, als ob auch der Zuhörer Zeit bräuchte, zu verstehen, was Dina Ugorskaja hörbar machen kann: nämlich eine Zeitlosigkeit. Und das macht sie einzigartig – weil sie es schafft, einem nicht durch ihre Virtuosität zu imponieren, durch offenkundigen Schmelz oder ihre unglaubliche Varianz im Anschlag von butterweich bis brachial wie ein Panzer, sondern weil sie über all ihr Können diesen zeitlosen Zauber legte und damit die Seele wirklich berührte.  

Sendung: "Leporello" am 18. September 2019 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Freitag, 20.September, 05:02 Uhr

Christine Weyl

Ein wunderbarer Artikel

Es berührt mich, mit welchen Worten hier die musikalische Darbietung von Diana Ugorskaya beschrieben wird.
Und es ist nicht leicht das zeitlose und somit den Hauch von Ewigkeit in Sprache zu bringen.
Es ist Ihnen sehr gut gelungen.
Danke
Mfg Christine Weyl

Donnerstag, 19.September, 10:01 Uhr

Wolfram König

Tod der Dina Ugorskaja

Habe Dina in Seeshaupt mit Ihrem Händel-Interpretationen gehört.
Ein wirklich hör- und denkentswerter Abend.
Werde Sie immer in Erinerung behalten.
W.König

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