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Ballett-Kritik – "Sacre" und "Petruschka" am Nürnberger Staatstheater Strawinsky mit Ring

Spätestens seit der Jahrhundertchoreografie von Pina Bausch ist Strawinskys "Sacre" ein Klassiker auf internationalen Ballettbühnen. Nun war das Stück Teil einer Uraufführung am Nürnberger Staatstheater. Der Titel des zweigeteilten Ballett-Abends: "Strawinsky". Und erstmals trafen die beiden Superstars des Staatstheaters aufeinander: Generelmusikdirektorin Joana Mallwitz, zuletzt ausgezeichnet als Dirigentin des Jahres, und der vom Publikum gefeierte Nürnberger Ballettchef Goyo Montero.

So ein Pas de Deux hat die Ballettwelt bisher wohl noch nicht gesehen. Es ist die Schlüsselszene in Goyo Monteros Inszenierung von "Le Sacre du Printemps". Über der ansonsten kahlen Bühne der Nürnberger Oper hat sich ein monströser, riesiger, schwarzer Lichtring mit 40 beweglichen Scheinwerfern daran herabgesenkt. Einer davon ist auf Tänzerin Sofie Vervaecke gerichtet - das Frühlingsopfer in dreckig roter Kleidung. Und es werden mehr. Die Strahler folgen ihrem Tanz, Licht verstärkt ihre Bewegungen, Vervaecke wird zunehmend selbstbewusster, fängt das Licht ein. Aus dem Orchestergraben erschallt energetischer Donner, als sich Tänzerin und Ring endgültig vereinen.

Stargate und Star Wars lassen grüßen

Goyo Montero hat viel Herzblut in sein Sacre gesteckt – und die berühmte Vorlage neu gedeutet. Sein Frühlingsopfer findet in einem ortlosen Raum statt. Der Stamm will durch das Menschenopfer nicht den Frühlingsgott versöhnen, sondern durch den Ring, eine Art Sternenportal, entkommen – Stargate und Star Wars lassen grüßen. Die Nürnberger Ballett-Company bestimmt ihr Opfer, umschwirrt dieses wie eine Art Gewebe. Ein zuckendes, organisches Meer aus Händen, Beinen, Körpern. Das zuletzt weitgehend erneuerte Ballettensemble ist in Höchstform. Der Clou von Monteros "Sacre": Es gibt nicht ein Opfer, es gibt zwei. Das erste ist ein Mann, ängstlich, verzweifelt. Er wird verschmäht. Der Ring verschwindet. Tänzerin Sofie Vervaecke zeigt Herz, nimmt sich des am Boden liegenden Opfers an und wird dank ihrer Empathie das zweite Opfer.

Keine klassische Schule

Montero wagt in seinem zwölften Jahr als Ballettchef Neues – und gewinnt. Auch dank seiner Mitstreiter. Erstmals überhaupt räumt der ansonsten so ensembleverliebte Spanier einer Solotänzerin Raum ein, viel Raum, und Sofie Vervaecke nutzt diesen bravourös. Sie tanzt, springt, fällt mit einer jugendlichen Leichtigkeit. Kaum ein Bein ist durchgestreckt, keine klassische Schule. Aber genau damit zieht sie in ihren Bann. Und Montero vertraut das erste Mal voll auf eine ebenbürtige Partnerin: Die Staatsphilharmonie in Maximalbesetzung mit Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz. Sie lässt ihre Musiker mit dem Wink ihres Dirigentinnenstabs zügellos beben, wenn es nötig ist. In der nächsten Sekunde fängt sie all die Wut aber wieder ein – verwandelt sie in zarte Verletzlichkeit. Mit dieser Varianz begeistert das Orchester auch im ersten Teil des Abends. Strawinskys "Petruschka".

Faszinierendes und kurioses Körper-Puzzle-Ballett

Der britische Choreograph Douglas Lee kreierte für den Nürnberger Ballettabend eine dunkle, surrealistische Version von Strawinskys an sich verspieltem Puppenspieler-Original. Ein kurioses, faszinierend schnell getaktetes Körper-Puzzle-Ballett. Hinter schwarzen, oben hellbeleuchteten Kästen zerlegen sich die bleichgeschminkten Puppen in lila Anzügen und setzen sich mit neuen Armen und Beinen wieder zusammen. Lee selbst verzichtet auf die übliche Puppenspieler-Rummel-Ästhetik. Diese liefert das Orchester. Kleine verspielte Musikperlen mit Harfe und Klavier münden in wuchtige Bläser- und Schlagwerk-Exzesse. Auf Pony-Reiten folgt sozusagen Hau den Lukas. Das gelingt der Staatsphilharmonie nach anfänglichen, kleinen Unsicherheiten derart gut, dass die Musik allein auch durch manche Schwachstellen auf der Bühne führt.

Zurück im zweiten Teil: Bei Sacre hat das zweite Opfer mittlerweile endgültig die Regie übernommen. Sie peitscht und baut ihren Stamm auf. Das Ensemble ist kein schwammiges Gewebe mehr, sondern eher ein pulsierendes Energie-Geschwader. Der Stamm entkommt durch den Ring. Nur Tänzerin Sofie Vervaecke bleibt. Sie ist kein Opfer, opfert sich aber selbstbestimmt für die anderen. Am Ende gibt es viel Applaus für Douglas Lee und Ballettensemble – und tosenden Applaus für das Orchester, Montero, Mallwitz und vor allem Sofie Vervaecke – absolut verdient!

"Strawinsky" am Nürnberger Staatstheater

Choreografien von Douglas Lee (Petruschka) und Goyo Montero (Sacre)
Premiere: Samstag, 21. Dezember 2019

Alle Termine und weiteren Infos finden Sie auf der Homepage der Nürnberger Staatstheaters.

Sendung: "Allegro" am 23. November 2019 um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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