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Kritik - "Medea" in Stuttgart Zwischen verdreckter Küche und Plastikmüll

In Stuttgart feierte Peter Konwitschnys Neuinszenierung von Luigi Cherubinis selten aufgeführter Oper "Medea" Premiere. Der Regisseur schlägt den Bogen zu Gegenwartsproblemen und macht die mordenende Mutter zu einem Opfer der Gesellschaft.

Szenenbild Cherubini Oper "Medea", Stuttgart Dezember 2017 | Bildquelle: (c) Thomas Aurin / Oper Stuttgart

Bildquelle: (c) Thomas Aurin / Oper Stuttgart

Kritik

"Medea" in Stuttgart

Können sich Koryphäen wie Beethoven oder Brahms in musikalischen Fragen irren? Beide hielten "Medea" für eine Oper der Superlative, und sie hatten Recht damit - und zwar wegen der überragenden kompositorischen Qualität der Partitur Luigi Cherubinis. Dessen Innovationslust, verbunden mit respektheischend strengem Kalkül, unterstreicht der Dirigent Alejo Pérez etwa im großen Zwischenspiel, einem zerklüfteten Orchester-Gewitter: Was ist das nur für ein tönender Spiegel des inneren Kampfes, den die ausgegrenzte Außenseiterin Medea mit sich austrägt! Wenn Liebe in Hass umschlägt, kann eine Frau schon mal ihre eigenen Kinder töten. Die neue Flamme des Ex-Gatten ohnehin.

Bilder der Inszenierung

Das Opfer der Gesellschaft

Szenenbild Cherubini Oper "Medea", Stuttgart Dezember 2017 | Bildquelle: (c) Thomas Aurin / Oper Stuttgart Bildquelle: (c) Thomas Aurin / Oper Stuttgart Es war zu erwarten, dass Peter Konwitschny in Medea, der Täterin, ein Opfer der Gesellschaft sehen würde: gewissermaßen eine Blutsverwandte des armen Wozzeck. Mit Blick auf die  Publikumsreaktionen ist die Idee, den Part der Kinder aufzuwerten, ein Schachzug - denn inmitten des grausamen Patriarchats erscheint die mordende Mutter umso bemitleidenswerter. Der Regisseur lässt die mit geschärftem Sopranschwert ausgerüstete Cornelia Ptassek ein entehrtes, gedemütigtes Individuum darstellen. Mit letzter Kraft wandelt Medea sich zur wütenden Furie - bevor sie nach ihrer Verzweiflungstat niedergemetzelt wird. Die Ausländerfeindlichkeit des aufgebrachten Kollektivs eskaliert, und da auch Iason und Neris sterben, gibt es hier exakt doppelt so viel Tote wie ursprünglich vorgesehen.

Eigensinnig zugespitzte Werkdeutung

Konwitschny wäre nicht Konwitschny, würde er nicht vielfältig den Bogen zu existentiellen Gegenwartsproblemen schlagen. Ausstatter Johannes Leiacker baut dafür ein Floß mit einer verdreckten, weiß gefliesten Küche. In bedrohlicher Schieflage schwimmt sie durch ein Plastikmüllfeld der gemalten Ägäis. Die Aufführung - ohne Pause - löst ein Gefühl der Betroffenheit aus, auch weil sie bis in Nebenrollen hinein von extrem präzise einstudierten Solisten getragen wird: Helene Schneiderman, Sebastian Kohlhepp, Shigeo Ishino, Josefin Feiler. Der Stuttgarter Chor verdient ja immer ein Sonderlob. Richtig war auch die Entscheidung, die Musik Cherubinis nicht mit den handelsüblichen langweiligen Rezitativen Lachners anzureichern, sondern mit eigens angefertigten deutschen Dialogen! Singend, redend, schreiend rückt uns das Personal der Oper auf die Pelle, inspiriert vom französischen Original. Mit "Medea" ist Konwitschny wieder eine eigensinnig zugespitzte Werkdeutung gelungen: Innerhalb Stuttgarts knüpft er ohne Niveauverlust an seine im Jahr 2000 umjubelte Interpretation von Wagners "Götterdämmerung" an.

Termine und Infos

Luigi Cherubini:
"Medea"


Medea: Cornelia Ptassek
Iason: Sebastian Kohlhepp
Kreon: Shigeo Ishino
Kreusa: Josefin Feiler
Neris: Helene Schneiderman
und andere

Staatsopernchor Stuttgart
Staatsorchester Stuttgart

Regie: Peter Konwitschny
Musikalische Leitung: Alejo Pérez


Weitere Infos und Termine: Oper Stuttgart

Sendung: "Allegro" am 4. Dezember 2017 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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