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Premierenkritik - "Der Barbier von Sevilla" in Berlin Barbier digital

Eine Arie mit E-Gitarre, ein Diener, der in der Partitur herumblättert, eine Bühne, auf der verstaubter Trödel und bunte Smartphone-Botschaften aufeinanderprallen: Der neue Barbier des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikov ist so prall an Ideen und so temporeich, dass er mitunter überfordet. Peter Jungblut über die Premiere von Rossinis "Barbier von Sevilla" am 9. Oktober an der Komischen Oper Berlin.

Szenenbild aus "Der Barbier von Sevilla" an der Komischen Oper Berlin | Bildquelle: © Monika Rittershaus

Bildquelle: © Monika Rittershaus

Zur Zeit gibt es ja wirklich nicht viel zu lachen in den deutsch-russischen Beziehungen. Womöglich wurden deutsche Witze in Moskau noch nie so richtig verstanden, und umgekehrt. An gegenseitigen Vorurteilen ist ja kein Mangel, und die Medien tragen zweifellos das Ihre dazu bei. Umso wichtiger sind Künstler wie der russische Regisseur Kirill Serebrennikov. Er hat am Moskauer Bolschoi- und Puschkintheater genauso inszeniert wie in Stuttgart und Berlin, und überall mit großem Erfolg. Sein sympathisches Motto: Wer sich überfordert fühlt, kommt automatisch auf neue Ideen.

Der russische Kultregisseur Kirill Serebrennikow | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bis jetzt war Serebrennikov allerdings Spezialist für düster-dramatische Stoffe, seine blutrünstige Stuttgarter "Salome" wurde zur "Inszenierung des Jahres" ausgerufen. Da war es einigermaßen verwunderlich, dass ausgerechnet der zur Zeit so gefeierte Serebrennikov am Sonntag an der Komischen Oper Berlin Rossinis "Barbier von Sevilla" inszenierte. Über das Angebot habe er gar nicht lange nachgedacht, räumte er ein, und einfach bei "null" angefangen. Und dieser Anfang war ausgesprochen vergnüglich. Serebrennikov ist ein Fan von Antiquitätenhändlern und verlegte seinen "Barbier" zwischen Kunst und Krempel. Leider geht auch eine wertvolle Porzellan-Vase zu Bruch, sehr zum Verdruss des betulichen Hausherrn Bartolo und seiner liebenswert-altmodischen Gehilfin Berta. Beide können mit einer Lupe mehr anfangen als mit Facebook. Die junge Ziehtochter Rosina dagegen hängt den ganzen Tag am Smartphone und chattet stundenlang mit ihrem angebeteten Lindoro, der sich am Ende als Graf Almaviva erweist. Im Netz kann sich ja jeder nennen wie er will. Dieser Graf allerdings scheint ein echter zu sein, denn er überschüttet seine Rosina zum Happy End mit Luxusdesigner-Waren. Diamonds are a girl's best friend ...

Augenzwinkernder Elan

Das Ganze zeigte Kirill Serebrennikov als wirklich komische Fabel über Sein und Schein. Der Graf ist nicht nur Schlagersänger Lindoro, sondern auch frommer muslimischer Flüchtling und ein sehr femininer Gesangslehrer Don Alonso. Alles zusammen spielte der türkische Tenor Tansel Akzeybek mit augenzwinkerndem Elan. Was könnte in den Zeiten der geschönten Internetprofile aktueller sein als eine Komödie über einen gewieften Trickser mit vielen Gesichtern? Die flotte Rosina findet das natürlich alles großartig, ihr ergrauter Ziehvater weniger. Dafür, dass er von sozialen Netzwerken keinen Ahnung hat, schlägt sich dieser Bartolo allerdings tapfer gegen alle Intrigen.

Zwischen witzig und melancholisch

Videokünstler Ilya Shagalov garnierte die Handlung mit dem Chatverlauf der Beteiligten: Ihre Texte, ihre Herzen, ihre Smileys, ihre Videos wurden dermaßen temporeich ins Bühnenbild projiziert, dass es mitunter anstrengend wurde, zu folgen. Als sein eigener Ausstatter hatte Regisseur Kirill Serebrennikov eine Bühne rund um den Orchestergraben gebaut, sie ragte über die ersten Sitzreihen hinaus. Das rückte die Akteure ganz nah an die Zuschauer. Zwei Treppenhäuser rahmten den Trödel ein, der zum Verkauf stand: Teppiche, Möbel, Gemälde, Hausrat. Angeblich ist das all das heute ja kaum noch verkäuflich, sagen Kunstmarkt-Experten. Es wachsen keine Interessenten nach. Das allein beweist: Die hier gezeigte Welt ist eine untergehende. Liebenswert, aber ohne Zukunft. Insofern lag bei allen Lachern auch etwas Sentimentales über diesem "Barbier von Sevilla", zumal Julia Giebel als übergewichtige Haushälterin Berta alle Sympathien auf ihrer Seite hatte.

Frische Ideen aus Moskau

Insgesamt war es ein sehr hektischer dreistündiger Abend, aber was Hektik ist, darüber gehen die Meinungen von Alten und Jungen ja sehr auseinander. Der italienische Dirigent Antonello Manacorda machte jeden Spaß mit, so wurde eine Arie mit E-Gitarre begleitet, und als die Ouvertüre dem Graf Almaviva zu langatmig wurde, durfte sein Diener mal in der Partitur blättern und die verbleibenden Seiten zählen. Dominik Kröninger als eifriger Figaro, Nicole Chevalier als kesse Rosina und Philipp Meierhöfer als anrührender Trödelhändler Bartolo rundeten das unterhaltsame Ensemble ab. Aus Moskau kommen dank Kirill Serebrennikov frische Ideen für die Oper. Ob diese Ideen auch gut sind, muss jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden.

Weitere Termine

Die nächsten Vorstellungen von Rossinis "Der Barbier von Sevilla" an der Komischen Oper Berlin sind am 13., 16., 19. und 28. Oktober.

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