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Jahresrückblick 2021 – Teil 4 Die ersten Konzerte mit Sir Simon Rattle und dem BRSO

Am 11. Januar wurde eine Spitzenposition im weltweiten Musikleben neu besetzt: Sir Simon Rattle wurde Chefdirigent von Symphonieorchester und Chor des Bayerischen Rundfunks. Eine große Überraschung war das nicht. Rattle war mit seinem Vorgänger Mariss Jansons eng befreundet, hat ihn als Künstler sehr verehrt. Auch wenn es noch bis Herbst 2023 dauert, bis Simon Rattle offiziell Chefdirigent wird, ist schon jetzt zwischen ihm und dem Orchester eine Verbindung spürbar, die nicht alltäglich ist. BR-KLASSIK-Kritiker Maximilian Maier mit einem persönlichen Blick auf diese besondere Beziehung.

Dirigent Sir Simon Rattle. | Bildquelle: BR/Astrid Ackermann

Bildquelle: BR/Astrid Ackermann

Es war ein Gänsehaut-Moment. Augenblicke, für die man ins Konzert geht. Für die überhaupt Musik gemacht wird. Lange, sehr lange ist Stille nach der 9. Symphonie von Gustav Mahler. Simon Rattle steht regungslos in der Isarphilharmonie, mit geschlossenen Augen und hängenden Armen. Selbst als er die Spannung aufgibt, dankend mit dem schlohweißen Haupt in Richtung der Musikerinnen und Musiker nickt, stellt sich nicht gleich Applaus ein. Nicht weil es den gut 400 Menschen im Publikum – mehr dürfen aufgrund der Corona-Restriktionen nicht in den Saal – nicht gefallen hätte. Sondern weil sie noch zu gebannt sind. Sich hineingegeben haben in diese ersterbende Musik und in die Stille hineinspüren, sie genießen. Spätestens an diesem Abend Ende November wird manifest, was sich schon Anfang Januar abgezeichnet hat.

Ich fühle mich nun als Teil der Familie. Jetzt sitzen wir im selben Boot. Aber es ist erst der Beginn einer weiten Reise.
Sir Simon Rattle

Wie eine Familie: Rattle, das BRSO und der BR-Chor

Die Mahler-Aufführungspraxis des Orchesters begleitet Simon Rattle (rechts) schon seit Jugendtagen. In Liverpool erlebte der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker als junger Zuhörer beinahe alle Mahler-Interpretationen des BR-Symphonieorchesters live unter der Leitung von Rafael Kubelik. Diese Art des Musizierens sei prägend und unvergesslich für ihn gewesen, so Rattle. Für die erste Mahler-Zusammenarbeit zwischen Dirigent und Orchester steht das  monumentale Werk "Das Lied von der Erde" auf dem Programm. In den beiden Gesangspartien sind die tschechische Mezzosopranistin Magdalena Kožená (links) und der australische Tenor Stuart Skelton zu erleben. Hier ein Bild von der Probe.  | Bildquelle: BR/Peter Meisel Auch eine große Liebe: Rattle dirigiert Mahler. Hier bei einer Aufführung des "Lied von der Erde" mit Rattles Gattin Magdalena Kožená | Bildquelle: BR/Peter Meisel Zwischen dem BRSO und Rattle passt es. Das Bild der Familie klingt ein bisschen verdächtig – fast zu idyllisch, diese überbetonte Harmonie. Doch Rattle wird nicht müde, genau dieses Familiengefühl, diesen Zusammenhalt immer wieder zu erwähnen. Vielleicht auch, weil er gerade diesen bei den Berliner Philharmonikern, die bekanntlich besonders gnadenlos sein können, vermisst hat. Und sowohl in Proben als auch bei den Aufführungen wird spürbar, dass nicht nur Rattle es ernst meint, sondern dass auch das Orchester dieses Gefühl aufgreift und mitlebt. Auch künstlerisch ist man auf einer Wellenlänge: Rattle verehrte seinen verstorbenen Vorgänger am Chef-Pult des Orchesters, den Dirigent Mariss Jansons zutiefst, wie er wiederholt im BR-KLASSIK-Interview erzählt hat. Nun hat Rattle in einem knappen Jahr in verschiedenen Programmen einen Eindruck seines breiten Repertoires gegeben: Barock, Klassik, Romantik, Moderne, Zeitgenössisches – sogar eine Uraufführung. Die ganze Palette, natürlich auch im Zusammenspiel mit dem Chor, den Rattle als elementaren Bestandteil des künstlerischen Potentials und großes Geschenk bezeichnet.

Klar, ich bin hier, um frische Ideen zu bringen. Aber ich bin auch hier, um zuzuhören.
Sir Simon Rattle

Immer noch ungewiss: Münchens neuer Konzertsaal

08.10.2021, Bayern, München: Das Gebäude ist zu Beginn der Eröffnung der Isarphilharmonie erleuchtet. Der Bau dient dem renommierten Orchester als Interimsspielstätte während der mehrjährigen Sanierung des Kulturzentrums Gasteig. Foto: Peter Kneffel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Peter Kneffel Münchens neuer Konzertsaal: Die Isarphilharmonie im Werksviertel | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Peter Kneffel Musikalisch passt es also. Aber es gibt auch darüber hinaus große Herausforderungen: Das neue Konzerthaus steht zwar. Doch hier gilt es, endlich konkrete inhaltliche Ideen für diesen Ort der Begegnung mit Kunst und Kultur zu entwickeln, mit regelmäßigen, vielfältigen Aktionen die Neugier und die Lust der Bevölkerung auf dieses Areal im Werksviertel zu wecken, damit sie es als das ihre begreift. Auch die Entwicklung der medialen Nutzung muss weiter begleitet werden. Rattle hat einst in Berlin mit der Digital Concert Hall Maßstäbe gesetzt. Doch die Anforderungen und auch technischen Möglichkeiten wandeln sich beständig. Gerade die Pandemie als Beschleuniger von gesellschaftlichen Entwicklungen zeigt außerdem, wie wenig selbstverständlich der Besuch von Konzerten mittlerweile für viele Menschen ist, von der umfassenden Integration von Kultur ins alltägliche Leben und Handeln ganz zu schweigen. Rattle weiß um all das. Und darum, dass es wirklich noch eine weite Reise sein wird, für ihn, seinen Chor und sein Orchester. Begonnen hat sie verheißungsvoll.

Sendung: "Allegro" am 22. Dezember 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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