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Schlesisch Disco Wo Telemann den Folk entdeckte

1705 reiste Telemann durch Schlesien und war begeistert von der "barbarischen Schönheit" der Musik, die er dort entdeckte. Die Musiciens de Saint-Julien zeigen auf ihrem Album "Beauté barbare", wie er sich davon inspirieren ließ. Und versuchen zu rekonstruieren, wie es in den schlesischen Kneipen geklungen haben muss. Ein unendlicher Spaß!

CD-Cover "Beauté barbare" | Bildquelle: Alpha Classics

Bildquelle: Alpha Classics

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Les Musiciens de Saint-Julien spielen Telemann

"Als der Hof sich ein halbes Jahr lang nach Plesse begab", schreibt Georg Philipp Telemann in seiner Autobiografie (1740), "lernete ich so wohl daselbst, als in Krakau, die polnische Musik, in ihrer wahren barbarischen Schönheit kennen."

Telemann entdeckt die schlesische Volksmusik ...

So erinnert sich der Barockkomponist an seine Tage in Schlesien. Wir schreiben das Jahr 1705, und Telemann, der sich als Hofkapellmeister im schlesischen Sorau verdingt, reist hinein ins Land. Nach Pleß, dem heutigen Pszczyna, unten im Süden, dort wo Sudeten und Tatra-Gebirge aufeinandertreffen. Tiefe, grüne polnische Provinz, mit Aussicht auf schneebedeckte Gipfel. Damals wie heute. Und musikalisch gesehen – eine andere Welt, exotisch. Telemann ist begeistert davon, was ihm da in den Kneipen begegnet: Bier, Beats und Bockpfeiffen.

"[Die Tanzmusik] bestund, in gemeinen Wirtshäusern, aus einer um den Leib geschnalleten Geige, die eine Terzie höher gestimmet war, als sonst gewöhnlich; aus einem polnischen Bocke; aus einer Quintposaune, und aus einem Regal", schreibt Telemann in seinen Memoiren und setzt dazu: "Man sollte kaum glauben, was dergleichen Bockpfeiffer oder Geiger für wunderbare Einfälle haben. Ein Aufmerckender könnte von ihnen, in acht Tagen, Gedancken für ein gantzes Leben erschnappen."

... und mutiert zum Musikethnologen

Francois Lazarevitch | Bildquelle: Alpha Classics François Lazarevitch | Bildquelle: Alpha Classics Und das tut Telemann auch. Mit dem Mischen hat er es eh, ist ein Meister der kulturellen Aneignung, switcht elegant zwischen italienischem und französischem Stil. Jetzt kommt noch das schlesische Bisschen dazu. "Ich habe, nach der Zeit, verschiedene grosse Concerte und Trii in dieser Art geschrieben, die ich in einen italiänischen Rock, mit abgewechselten Adagi und Allegri, eingekleidet", so resümiert er seinen Aufenthalt.

Diese schlesisch inspirierten Werke haben die Musiciens de Saint-Julien auf ihrem neuen Album "Beauté barbare" versammelt. Ein tolles Originalklangensemble, und eines, das eher nach den Tönen sucht, als sie festzuhalten. Das Originale bleibt hier spekulativ, steht für Aufbruch, nicht für Verpflichtung. Wie könnte das geklungen haben, was Telemann in den schlesischen Kneipen so gepackt hat, das ist die Frage, die sich die Truppe um den Flötisten François Lazarevitch stellt. Auf dem Programm steht also nicht nur Musik des Barockmeisters, sondern auch schlesische Volksmusik, Musik, wie sie die Roma an der Schwelle zum 18. Jahrhundert gemacht haben. Oder haben könnten. Das meiste davon wurde mündlich überliefert, ist also schwer zu rekonstruieren. Glücklicherweise hat Telemann selbst einige Melodien notiert. Ein Musikethnologe – zwei Jahrhunderte früher als Bartók.

Ein unendlicher Spaß!

Es gehe ihm gar nicht um eine exakte Rekonstruktion dessen, was Telemann da vor 300 Jahren gehört habe, sagt Lazarevitch. Wichtiger sei ihm, "den Geist und die Energie dieser Musikstücke neu zu erschaffen." Und das mit folkloristischen Instrumenten – Cymbal, Dudelsack, Lazarevitch spielt unter anderem auf einer Frula, einer serbischen Holzflöte.

Und das funktioniert wahnsinnig gut. Dieser holzige Sound, der Puls, die Energie. Manches erinnert entfernt an den Soundtrack zu Wes Andersons "Grand Budapest Hotel". Anderes klingt so, als hätten "The Velvet Underground" mitgemischt, vor allem die Stücke, die auf Borduntönen, auf Drones basieren. Alles in allem: ein unendlicher Spaß!  

Infos zum Album

Titel: Beauté barbare
Label: Alpha Classics
Künstler: Les Musiciens de Saint-Julien, François Lazarevitch
Musik: Georg Philipp Telemann, Unbekannt/ Traditionell
Erscheint am 17. März 2023 digital und am 11. April als CD

Sendung: "Allegro" am 23. März ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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