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Leif Ove Andsnes - Rosendal Festival in Norwegen "Schubert hätte diese Landschaft geliebt"

Wildromantisch ist es an den Fjorden Norwegens. Umgeben von Meer und Bergen hat der Pianist Leif Ove Andsnes in Rosendal ein neues Kammermusikfestival gegründet. Im Zentrum des ersten Programms steht Franz Schubert - ein Komponist, der für Andsnes aus vielen Gründen in diese Gegend passt.

Gründer des "Rosendal Chamber Music Festival" in Norwegen | Bildquelle: © Özgür Albayrak

Bildquelle: © Özgür Albayrak

BR-KLASSIK: Seit vielen Jahren spielen Sie jeden Sommer hier in Rosendal Konzerte. War es ein lange gehegter Traum, dieses Rosendal Chamber Music Festival zu gründen?

Leif Ove Andsnes: Tatsächlich war es eher unrealistisch. Was es möglich gemacht hat, war der neue Saal. Denn seit vielen Jahren spiele ich im Gutshaus, im kleinen Schloss - aber die Räume sind sehr klein, vielleicht für 80 Leute. Deshalb habe ich zwei Konzerte an einem Abend gespielt, um Platz für mehr Leute zu schaffen. Außerdem kannte ich die wunderschöne Kirche hier im Ort. Aber ich dachte, das wären einfach nicht genug Orte, um ein Festival zu gründen. Dann hab ich davon gehört, dass man im Ort einen neuen Saal bauen wollte, dann haben wir gesprochen und überlegt, dass es toll wäre, ein Festival hier zu haben.

BR-KLASSIK: Und dann haben Sie die Musik von Franz Schubert hierher gebracht.

Leif Ove Andsnes: Ich habe überlegt, was man im Eröffnungsjahr machen kann. Ich wollte kein großes Festival. Es sind sieben Konzertprogramme, aber ich wollte auf ein Thema fokussieren. Das mag ich eh, tief einzutauchen in eine Sache. Und ich war immer fasziniert von Schuberts letztem Lebensjahr und von der Tragödie seines Todes, viel zu jung. Alle unsere Gedanken dazu... Wusste er, dass er sterben würde? Wie bewusst war er sich dessen? Es gibt so viele Mythen zu seiner Musik, denn diese Musik führt einen an einen anderen Ort.

Es gibt keine vergleichbare Musik.
Leif Ove Andsnes

BR-KLASSIK: Schuberts Musik passt wunderbar in diese wildromantische Landschaft der Fjorde - mit Bergen, Wasserfällen und dem kühlen Meer.

Leif Ove Andsnes: Ich habe gehört, dass Schubert nie das Meer gesehen hat. Das ist so komisch für mich, denn ich stamme von einer Insel an der Westküste Norwegens. Die Fjorde zu sehen, das wäre für ihn sehr ungewöhnlich gewesen. Aber ich bin mir sicher, dass er die Landschaft geliebt hätte. Ich meine, wer tut das nicht? Es ist so wunderschön hier: der Park, das Gutshaus, dann dieser verrückte Berg dahinter, zehn Mal zu groß. Und es passt zu der Musik: die große Schönheit und der wilde Charakter.

BR-KLASSIK: Das Motto lautet "1828", also Schuberts Todesjahr. Es geht um seine letzten Werke.

Franz Schubert, nach dem Aquarell, 1825, von Wilhelm August Rieder | Bildquelle: picture alliance / akg-images Franz Schubert (1797-1828) | Bildquelle: picture alliance / akg-images Leif Ove Andsnes: Man hat in Schuberts letzten Werken das Gefühl, dass er sich aus der Welt zurückgezogen hat. Und das lässt uns überlegen, dass es in Schuberts Musik um das Sterben geht. Darum, an einem anderen Ort zu sein und eine andere Existenzform anzustreben. Aber ich glaube, dass das ein ziemlich romantischer Mythos ist, was wir da über sein Leben denken. Ich meine, er war 31 Jahre alt! Und er hat im letzten Jahr so viel komponiert. Und zum Schluss wollte er Kontrapunkt-Unterricht nehmen. Er wollte besser werden im Fugen-Schreiben - das ist doch nichts, was man tut, wenn man bald stirbt. Vielleicht haben wir also ein völlig falsches Bild von seinem letzten Lebensjahr. Wir denken von den Werken, dass sie seine "späten Werke" sind, aber nochmal: Er war so jung!

BR-KLASSIK: Trotzdem hat sich Schuberts Werk zu seinem Lebensende hin verändert.

Leif Ove Andsnes: Natürlich. Man kann es nicht leugnen, dass sich auch wirklich etwas Drastisches entwickelt hat in seinen letzten Lebensjahren, musikalisch. Alles wird viel extremer. Er schreibt zum Teil so wild und dramatisch - und lang! Die Stücke sind so lang! Und die Musik, das musikalische Material, das er erschafft, ist einfach nur außergewöhnlich. Es gibt keine vergleichbare Musik. Darum habe ich mich für Schubert entschieden. Und ich finde, es ist sehr erfüllend, so viel davon in einem Festival zu hören.

Kammermusikfestival für Einheimische?

BR-KLASSIK: Vor jedem Konzert sagen Sie ein paar Worte zum Programm - in Ihrer Muttersprache, auf Norwegisch. Und auch im Programmheft findet sich keine englische Übersetzung. Ist dieses Festival vor allem für Einheimische?

Der Pianist Leif Ove Andsnes | Bildquelle: Özgür Albayrak Bildquelle: Özgür Albayrak Leif Ove Andsnes: Das war eine bewusste Entscheidung. Denn ich denke, es ist für jedes Festival sehr wichtig, vor allem das regionale Publikum anzuziehen. Es ist wichtig, dass die Menschen hier im Ort das Gefühl bekommen, es ist ihr Festival. Dass sie enthusiastisch für das Festival sind. Dass es ein nationales Event ist - ich denke, das haben wir geschafft. Und dann kann man sehen, ob man es ausbauen kann zu etwas Internationalerem. Dieses Jahr sind hier kaum ausländische Besucher, aber es gibt jetzt schon viel Interesse für das kommende Jahr von Gruppen aus dem Ausland. Da müssen wir überlegen, ob wir die Programmhefte auch in Englisch machen. Aber ich wollte es erst einmal hier verankern. Und wir werden sehen, wohin es geht.

Ich möchte mit der jungen Generation spielen.
Leif Ove Andsnes

BR-KLASSIK: Neben großen internationalen Stars wie Sharon Kam, Sol Gabetta oder Vilde Frang haben Sie auch junge norwegische Künstler hierher eingeladen.

Leif Ove Andsnes: Besonders unter den Streichern gibt es in Norwegen ein extrem hohes Niveau - schon seit einiger Zeit, aber besonders im letzten Jahr ist es in die Höhe geschossen, was viel mit dem großartigen Institut in Oslo zusammenhängt, dem Musikinstitut, an dem viele dieser Talente begonnen haben. Vilde Frang als das krönende Beispiel. Seit sie neun oder zehn Jahre alt ist, hat sie quasi in diesem Haus gewohnt. Es ist ein kleines Institut, sie konnte in einem der Häuser leben - und heute ist sie ein Weltstar. Und nun folgen viele nach. Man hört einige dieser jungen Musiker, und sie stehen den internationalen, etablierten Stars in nichts nach. Und das macht so viel Spaß, Leute einzuladen und zusammenzubringen. Außerdem habe ich natürlich festgestellt, dass ich mittlerweile nicht mehr zur jungen Generation gehöre - ich meine, ich könnte der Vater von manchen Musikern sein. Und ich möchte sehen, was passiert in dieser jungen Generation, ich möchte mit ihr spielen - vor allem auf diesem Niveau!

BR-KLASSIK: Das Rosendal-Festival soll weiter bestehen und jedes Jahr im August stattfinden. Gibt es schon Pläne für das kommende Jahr?

Leif Ove Andsnes: Ich habe viele Pläne für das nächste Jahr, auch Künstler, aber ich musste dieses Festival erst mal rumbringen, denn es gab so viele Dinge zu verarbeiten. Was die Konzert-Locations betrifft, habe ich bislang nur in dem kleinen Raum im Gutshaus gespielt, noch nie in der Kirche, und natürlich nicht im großen Saal, der ja ganz neu ist. Also musste ich erstmal dort Konzerte hören und darüber nachdenken, was wir fürs nächste Jahr planen können: Was hat gut funktioniert? Was vielleicht nicht so? All das ist jetzt viel klarer nach dem ersten Festival. Ich denke die ganze Zeit darüber nach!

Das Interview führte Kathrin Hasselbeck für BR-KLASSIK.

Sendetipp auf BR-KLASSIK

Dienstag, 6. September 2016, 18.05 Uhr

Sharon Kam, Klarinette
Vilde Frang, Violine
Sol Gabetta, Violoncello
Leif Ove Andsnes, Klavier
Bertrand Chamayou, Klavier

Franz Schubert: Zwölf Deutsche Tänze, D 790
Maurice Ravel: "Valses nobles et sentimentales"
Alban Berg: Vier Stücke für Klarinette und Klavier, op. 5
Franz Schubert: Klviertrio Es-Dur, D 929

Aufnahme vom 12. August 2016

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