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Die Konzertreihe "Stille – Fragmente" bei den Salzburger Festspielen Absichtsvoll absichtslos

Salzburg steht für den "Jedermann", für große Aufführungen; und in diesen Zeiten mehr denn je: für Opulenz. Doch das Programm der Festspiele hält auch kleine Schmankerl bereit – wie die Konzertreihe "Fragmente – Stille", die in der Kollegienkirche stattfindet. Titelgeber ist hier das gleichnamige Streichquartett von Luigi Nono, dessen Musik in dieser Reihe eine wichtige Rolle spielt.

Kollegiatskirche Salzburg | Bildquelle: picture-alliance / Imagno

Bildquelle: picture-alliance / Imagno

Zwanzig Jahre alt und schon ein arrivierter Klassiker? Das geht – in der zeitgenössischen Musik. Erst recht, wenn man von jemandem wie Simon Rattle zum musikgeschichtlichen "New Beginning" erklärt wird wie "in vain" von Georg Friedrich Haas. Ein passender Auftakt der Konzertreihe "Fragmente – Stille", bei der Haas neben Beethoven, Sciarrino, Nono und Rovigo steht. Namen aus vier Jahrhunderten, die kein kuratorisches Konzept zusammenhält, die sich vielmehr zufällig in ein und derselben Konzertreihe bündeln – bedingt durch die Tatsache, dass sie von Ensembles, Musikern und Musikerinnen präsentiert werden, deren Aufführungen coronabedingt verändert oder abgesagt werden mussten.

Die Zeit – auf einen Moment zusammengeschnurrt

Ein Litograph von M. C. Escher | Bildquelle: picture-alliance / United Archives/ TopFoto Ein Litograph von M. C. Escher. Eschers Kunst liefert gewisse Ähnlichkeiten zur Musik von Goerg Friedrich Haas' "in vain". | Bildquelle: picture-alliance / United Archives/ TopFoto Emilio Pomàrico schwitzt bei "in vain" jedenfalls hingebungsvoll auf die Partitur, während das Klangforum Wien unablässig Tonfolgen herabrieseln lässt. Eine hinreichend ähnliche Hingabe erzwingt das Stück auch beim Publikum. Nach dem Vorbild der Treppen-Bilder von M.C. Escher, die mit perspektivisch Unmöglichem spielen und bei denen die Stufen immer wieder in sich selbst zurückführen, hat Haas "in vain" in nie enden wollenden Klangspiralen angelegt, die das Gestern-Heute-Morgen auf einen einzigen Moment zusammenschnurren lassen. Ein Hier-und-Jetzt-Stück. Eine Nachtmusik. Und wenn die Dunkelheit einsetzt (Haas hat eine Lichtstimme in das Stück hineinkomponiert), dann ist man sowieso komplett verloren. Kein Treppengeländer mehr. Die Musik hört auf zu rieseln, und die absteigenden Klangkaskaden zerfließen zu einem flächigen Brei, der sich bewegungsarm nur noch in kleinsten mikrotonalen Verschiebungen vorantastet. Das Blech intoniert ätherische Naturtöne, die Streicher singen menschengleich. Jeder Versuch, in diese Dunkelheit hineingeschubst, noch Motive oder Figuren auszumachen: vergeblich. Wie der Titel schon sagt.

Inkonsequente Lichtgestaltung

Leider wurde Haas‘ Licht-Konzept bei den Salzburger Festspielen nicht konsequent umgesetzt: grellgrüne Notausgangsbeleuchtung – da blieb nur die Möglichkeit, sich eigenmächtig aufs bloße Hören zurückzuwerfen und den vor sich hingewitternden Klängen mit geschlossenen Augen zu folgen. Eine Musik, die zum Loslassen auffordert, die nichts will, nichts verlangt, als dass man da ist, wahrnimmt, sich hingibt (was für sich genommen wieder eine ganze Menge ist) – am ehestens zu vergleichen mit dem Zustand kurz vorm Einschlafen: nicht mehr ganz wach und noch nicht schlafend. Ein Zwischen-den-Welten-Dämmern.

Der Raum summt mit

Cantando Admont · Cordula Bürgi (Choreinstudierung/Leitung) | Bildquelle: © SF/Marco Borrelli Cantando Admont | Bildquelle: © SF/Marco Borrelli Im zweiten Konzert der vierteiligen Konzertreihe: Psalmvertonungen von Beat Furrer, Luigi Nono und Francesco Rovigo. Zweimal 20. Jahrhundert, einmal 16. Rovigo, der in Mantua wirkte, half seinerzeit seinem Herzog Guglielmo eine neue liturgische Musik in die Kirchenräume hinein zu singen. Mit an Palestrina erinnernden, sich abwechselnden, einstimmigen und polyphonen Passagen. Das macht sich gut, kirchenräumlich nachhallend. Es geht aber noch ausgefeilter: Vierhundert Jahre später komponiert Luigi Nono den Raum direkt in seine Musik mit hinein. Wenn die acht Sängerinnen und Sänger in seiner Psalmvertonung "Sarà dolce tacere" nur noch summen, dann summt der Raum gleichsam mit. Was Stimme, was Nachhall ist, lässt sich nicht mehr ausmachen. Bei den Salzburger Festspielen technisch einwandfrei und intonatorisch sauber präsentiert vom Ensemble Cantando Admont unter Cordula Bürgi. Auch wenn man es mögen muss, dass die Stimmen relativ unverbunden nebeneinanderstehen, fast wie Solisten. Beide Konzertprogramme sind also eigentlich eine Art Künstlernothilfeprogramm in Corona-Zeiten, was man glücklicherweise nicht hört.

Mehr Informationen zum Programm und Tickets auf der Website der Salzburger Festspiele.

Sendung: "Leporello" am 07. August 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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