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Kritik – Donizetti bei den Salzburger Festspielen Lucia an der Salzach

Die Opernfans von London, Madrid und Zürich kennen sie schon – die Lucia von Lisette Oropesa. Gestern gastierte die 39-jährige Amerikanerin mit Donizettis Oper "Lucia di Lammermoor" bei den Salzburger Festspielen. Und man glaubt es kaum: Dieses Gipfelwerk des Belcanto-Zeitalters, komponiert im Todesjahr Bellinis, wurde am Mönchsberg tatsächlich jetzt zum allerersten Mal gespielt! Nach 187 Jahren. Wenigstens in einer konzertanten Aufführung.

Daniele Rustioni dirigiert Lucia di Lammermoor bei den Salzburger Festspielen | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

Bildquelle: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

Lucia lebt und liebt – und leidet. Sie träumt von einer Zukunft mit Edgardo. Doch dessen Erzfeind Enrico, der existenzgefährdete Bruder Lucias, fädelt eine ganz andere Hochzeit ein: zwischen dem reichen Arturo und Lucia. In geistiger Umnachtung wird die verzweifelte Frau im Brautgemach zur Mörderin. Eine femme fragile mutiert zur femme fatale.

Lisette Oropesa: apart und expressiv

Die psychologische Fallstudie Donizettis fordert von der Lucia-Interpretin stimmlichen Farbenreichtum. Was sie eher nicht sein sollte, ist eine ausdrucksneutrale Koloraturmaschine, die selbstgenügsam Kaskaden von Tongirlanden liefert. In Salzburg kommt Lisette Oropesa den Idealvorstellungen des Komponisten irritierend nahe. Ihren aparten Sopran-Charme weiß die Amerikanerin expressiv zu entfalten. Auch, aber nicht nur in hoher und höchster Lage, wo das Publikum Sängerinnen immer so gerne abheben hört. Selbst dort, wo im Gesangstext destruktive Gefühle überborden, setzt Lisette Oropesa ihr Instrument nie forciert unter Druck.

Benjamin Bernheim: elegant und eloquent

Auch von Tenor Benjamin Bernheim gibt es nur Gutes zu berichten. Als Edgardo profitiert er von erlesener Timbre-Qualität, perfekter Tongebung, ausgefeilter Textdeklamation, exquisiter Phrasierungskunst, makelloser Verblendung der Register. Und mit welcher vokalen Eleganz geht dieser Mann an den Start, mit welcher Eloquenz! Landsmann Ludovic Tézier hat als Enrico verinnerlicht, dass er gerade bei Legato-Phrasen die Bedeutung der Verse transportieren muss. In exponierter Lage erzeugt und hält der Bariton Hochspannung.

Daniele Rustioni mit Glasharmonika

Es zeigt sich: Der Italiener Daniele Rustioni hat ein Solistenquartett zusammengestellt, das besser kaum sein könnte. Selbst die Nebenfigur des Raimondo ist mit dem Bassisten Roberto Tagliavini vorzüglich besetzt. Das leider etwas ruppig beginnende Mozarteumorchester Salzburg ringt sich im Lauf des Abends zu geschmeidiger Italianità durch. Momente emotionalen Tiefgangs werden mit der gebotenen Seriosität zelebriert, etwa in der Wahnsinnsszene. Als instrumentale Dialogpartnerin für Lucia gibt Rustioni hier der völlig körperlos anmutenden Glasharmonika den Vorzug gegenüber der Flöte. Die angereisten Melomanen jubelten zu Recht heftig über diese Belcanto-Lehrstunde.

Sendung: "Allegro" am 26. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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