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Sir Simon Rattle kommt zum BRSO "Lasst uns die Freundschaft vertiefen"

Der Countdown läuft: Ab der Konzertsaison 2023/24 ist Sir Simon Rattle Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Als Gast beim Orchester-Podcast "SCHOENHOLTZ" erzählt er, wie er das Orchester prägen möchte und was für ihn typisch münchnerisch ist.

Dirigent Sir Simon Rattle | Bildquelle: © Oliver Helbig

Bildquelle: © Oliver Helbig

Anne Schoenholtz: Sir Simon, es ist ja nicht das erste Mal, dass Sie Chefdirigent eines Orchesters werden. Sind Sie eigentlich noch aufgeregt?

Sir Simon Rattle: Oh, das ist eine große Sache. Für mich ist es wirklich wie das Finden einer neuen Familie. Es hilft mir natürlich, dass ich das Orchester schon seit meiner Teenager-Zeit kenne. Aber: Dieser lange, gemeinsame Weg, der ist sehr wichtig. Dieses Gefühl, dass alle Vertrauen zueinander haben und sich verstehen.
Um ehrlich zu sein: Für mich fühlt es sich so an, dass ich hier, beim BRSO, genau am richtigen Ort bin. Das Orchester und ich — uns verbindet ein unglaublich starkes Gemeinschaftsgefühl.

SCHOENHOLTZ – DER ORCHESTER-PODCAST

Anne Schoenholtz ist Geigerin im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und hat ihren eigenen Podcast "Schoenholtz – der Orchester-Podcast". In der neuen Folge ist Sir Simon Rattle zu Gast. Hören Sie hier das gesamte Gespräch.

Rattle möchte mehr Alte Musik für das BRSO

Anne Schoenholtz: Sie haben gesagt, schon sehr früh haben Sie das BRSO im Konzert gehört. Wie war es damals für Sie zum ersten Mal? War es Liebe auf den ersten Blick?

Sir Simon Rattle ist zu Gast in der zweiten Staffel beim Orchester-Podcast "SCHOENHOLTZ". Aufnahmeort ist die Elbphilharmonie in Hamburg im Frühjahr 2023 | Bildquelle: BR/Severin Vogl Sir Simon Rattle zu Gast in "SCHOENHOLTZ". Das Gespräch fand in der Elbphilharmonie in Hamburg statt. | Bildquelle: BR/Severin Vogl Sir Simon Rattle: Es muss schon 52 oder 53 Jahre her sein... Als ich das BRSO zu ersten Mal live hörte, kannte ich das Orchester natürlich schon: Ich hatte viele Platten und hatte sie schon oft angehört. Aber beim ersten Live-Konzert war das für mich, als ganz junger Dirigent damals, komplett überwältigend. Zu sehen, was passiert, wenn die Verbindung zwischen einem Orchester und einem Dirigenten so stark ist. Wenn man Rafael Kubelik beim Dirigieren zusah, wirkte das ja überhaupt nicht elegant. Es sah oft merkwürdig aus, irgendwie unkoordiniert. Aber er war voller Musik, und man spürte einfach, wie eng seine Beziehung zum Orchester war.

Man kann viele neue Richtungen einschlagen, aber man darf nie gegen den Strom schwimmen.
Sir Simon Rattle

Anne Schoenholtz: Ich finde das sehr schön, weil man das Gefühl hat, Sie sind sich dessen bewusst, was das Orchester schon hat. Was möchten Sie denn von Ihren Vorgängern gerne behalten – und was sind die Aspekte, die Sie einbringen wollen, Ihre Handschrift sozusagen?

Sir Simon Rattle: Es gibt so unglaublich viel Musik, die ich liebe. Das wäre fast unfair, wenn ich mich jetzt festlegen müsste. Denn ich liebe es, von der Alten Musik zu ganz aktuellen Werken zu wandern — und auch alles, was dazwischenliegt. Vielleicht kann ich ein paar neue Klangfarben ins Orchester bringen. Auf jeden Fall möchte ich im Bereich der Alten Musik mit dem BRSO arbeiten. Ob mit Originalklang oder auf modernen Instrumenten —  ich glaube, das ist ein Feld, das ich dem Orchester näherbringen kann. Ich habe aber auch das Gefühl, dass das Orchester bereits viel über den Bereich der Alten Musik weiß und sich dafür auch sehr interessiert. Eines habe ich gelernt: Wenn man große Orchester, diese riesigen Schiffe, in eine neue Richtung lenken möchte —  das muss man langsam tun. Man kann viele neue Richtungen einschlagen, aber man darf nie gegen den Strom schwimmen.

Eine Chef-Anfrage zur richtigen Zeit

Anne Schoenholtz: Was ich auch noch spannend finde: Ich weiß ja, wie von Orchesterseite der Prozess läuft, wenn ein neuer Chef gesucht wird. Da gibt es viele Versammlungen, Diskussionen, Abstimmungen. Aber wie sieht's auf der Dirigenten-Seite aus?

Spannendes Thema. Mit dem BRSO arbeite ich ja schon viele Jahre zusammen. Die leitenden Orchestermitglieder, also die Menschen im Vorstand und in den Ausschüssen, hatten mir im Laufe der Jahre sehr deutlich vermittelt, dass sie sich mir stark verbunden fühlen und sich vorstellen könnten, eines Tages enger mit mir zusammenzuarbeiten. Ich hätte nie gedacht, dass es tatsächlich dazu kommen würde. Ich dachte, dass Mariss Jansons noch viele Jahre vor sich hätte und ich bei seinem Abschied zu alt sein würde, um das Orchester zu leiten. Doch als es dann so weit war, war es für mich dann doch genau der richtige Zeitpunkt, und ich hatte wirklich das Gefühl: Ja, es ist eine wunderbare Perspektive, mit dem BRSO zu arbeiten und unsere langjährige Freundschaft zu vertiefen.

Wir haben viele Träume und Wünsche, aber wir haben keinen Platz, sie zu verwirklichen.
Sir Simon Rattle

Anne Schoenholtz: Als Sie den Vertag unterschrieben haben, war es klar, dass das Münchner Konzerthaus gebaut wird. Wie ist Ihre Erfahrung aus Berlin, mit einem Spitzenorchester in einem Spitzensaal arbeiten zu dürfen?

Sir Simon Rattle: Hier in München ist die Lage sehr speziell, denn fast jedes Orchester auf der Welt besitzt irgendwie sein eigenes Haus. Aber das BRSO nicht. Das bedeutet, dass man ständig auf Tournee ist. Selbst wenn man im heimischen Herkulessaal oder in der Isarphilharmonie spielt, ist man strenggenommen auf Tour. Man kommt in letzter Minute an, man lädt die Instrumente ein, so läuft das immer.

Der Orchester-Podcast | Bildquelle: BR/Astrid Ackermann Host des Orchester-Podcasts Anne Schoenholtz | Bildquelle: BR/Astrid Ackermann In einem Saal wie der Berliner Philharmonie habe ich natürlich gesehen, was man dort neben den Konzerten alles machen kann: Wie sichtbar man dort ist, wie viele Dinge man unternehmen kann und wie sehr man Teil der Gesellschaft werden kann. Ein Gastorchester kann das nicht. Und seien wir ehrlich: In München sind wir ein Gastorchester. Wir haben viele Träume und Wünsche, aber wir haben keinen Platz, an dem wir sie verwirklichen können. Ich hoffe, dass wir der Frage nach dem neuen Konzerthaus für München irgendwann eine gewisse Dringlichkeit geben können. Diese Dringlichkeit scheint derzeit zu fehlen. Bei dieser diplomatischen Formulierung möchte ich es erst einmal belassen.

Die Münchner Konzerthaus-Debatte

Lesen Sie hier, worum es geht und wie Hörer:innen von BR-KLASSIK diese Debatte einschätzen.

Anne Schoenholtz: Jetzt haben Sie schon ein paar intensive Beziehungen zu Orchestern gehabt. Gibt es etwas, was Sie jedes Mal mitnehmen, eigentlich wie aus einer zwischenmenschlichen Beziehung. Wo Sie sagen, ich habe etwas gelernt, beim nächsten Mal möchte ich dies oder das besser machen...

Sir Simon Rattle: Es ist natürlich ein Lernprozess. Aber man muss auch ganz sensibel auf die Menschen reagieren, die man gerade vor sich hat. An jedem Ort gibt es etwas anderes zu beachten. In Amerika brauchen oder wollen die Musiker viel mehr Führung durch Gesten. Sie wünschen sich das, was wir Dirigenten einen "Klick" nennen, also einen rhythmischen Impuls. In Europa läuft das viel stärker über das Hören. Ich habe große Dirigenten erlebt, die an Orchestern gescheitert sind, weil sie versucht haben, sie in ein bestimmtes Korsett zu zwängen. Und selbst wenn einem das immer mehr entgleitet, muss man immer schauen – was funktioniert hier, und sein Handeln eben anpassen. Das ist wie in zwischenmenschlichen Beziehungen. Nicht alles klappt mit jedem. Man muss herausfinden, was die Bedürfnisse des anderen sind.

Simon Rattle: "Education ist sehr wichtig"

Anne Schoenholtz: Was haben Sie in Sachen Education vor mit dem BRSO?

Sir Simon Rattle: Oh ja, das ist ein großes Thema. Aber es ist wirklich sehr wichtig. Wir müssen dabei wie eine Art Missionare auftreten. Das klingt vielleicht seltsam, aber mir geht es eigentlich nicht darum, ein größeres Publikum dadurch zu gewinnen. Natürlich möchte ich das auch. Aber ich denke, wenn man in die Musikvermittlung einsteigt und es dabei nur darum geht, Stühle mit Hintern zu besetzen, wie man auf Englisch sagt, dann hat man etwas falsch verstanden. Es ist wie Landwirtschaft betreiben im Mittelalter. Man geht aufs Feld, verstreut Samen, und wenn sie Wurzeln schlagen, fangen sie an zu wachsen.

Flashmob mit Sir Simon Rattle für das Neue Konzerthaus am 8.7.2022 im Münchner Werksviertel-Mitte | Bildquelle: BR / Astrid Ackermann Flashmob des BRSO mit Sir Simon Rattle im Sommer 2022 | Bildquelle: BR / Astrid Ackermann Man muss Menschen Erfahrungen ermöglichen, aber auch schauen, wer dafür bereit ist. Man muss sicherstellen, dass die Menschen einen echten Bezug dazu haben. Man darf sie nicht einfach mit etwas konfrontieren und sagen: "Seid ruhig und hört zu." In den letzten 30-40 Jahren haben wir das immer mehr gelernt: Je näher die Leute an der Musik dran sein können, je mehr sie selber etwas erschaffen können, desto besser ist das. Aber ich bin froh, dass es hier beim BRSO schon tolle Education-Projekte gibt und und wirklich gute Leute daran arbeiten. Wir werden zusammen viele unterschiedliche Wege finden, um Menschen dafür zu begeistern.

Anne Schoenholtz: Was ist für Sie typisch münchnerisch? Was haben Sie im Alltag schon erlebt, wo Sie sagen — ja, das ist anders als in Berlin?

Sir Simon Rattle: München ist eine große Stadt, die sehr klein geblieben ist. Eine sehr freundliche Stadt, die ein wenig für sich bleibt. Eine Stadt, die sich nicht immer zum Rest der Welt öffnet, aber eine Stadt voller Großzügigkeit, Wärme und — mit wirklich gutem Essen!

Kommentare (5)

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Montag, 29.Mai, 18:20 Uhr

Fred Keller

simon rattle

in all den jahren hat er die deutsche sprache noch nicht kapiert?
ich finde ihn seit seinen tagen bournemouth oder wars birmingham masslos überschätz, repertoiremässig hat er nicht nichts zu bieten. grässlich der ring in aix und salzburg. noch einmal: masslos überschätzt.

Montag, 22.Mai, 15:49 Uhr

Peter Valko

Bei Ivor Bolton und Christopher Moulds sieht es ähnlich aus.. kann man scharmant übersehen, ist mir aber auch schon aufgefallen.. bin halt kleinlich..

Samstag, 20.Mai, 10:59 Uhr

Dr Joachim Winter

Deutsch spprechen

Der langjährige Cbefdirigent der NDR-Radiophilharmonie Hannover, Andrew Manze, ob seiner musikalischen Kompetenz vielfach gerühmt, hat sich weder in Interviews, noch in öffentlichen Statements jemals bemüht, auch nur ein deutsches Wort über die Lippen zu bringen....schrecklich!
Eitelkeit? Arroganz? Dummheit? Oder einfach Faulheit?

Freitag, 19.Mai, 09:42 Uhr

Klaus Lemming

Lieber Herr Spitzner

Die lingua franca der Musik war schon immer italienisch, idenenfalls ist es mir wichtiger dass Sir Simo Rattle die Sprache der Musik so sensationell beherrscht als er ein Interview auf Deutsch führen kann. Sir Simon hat auch Schwächen, können Sie das akzeptieren..?

Mittwoch, 17.Mai, 13:13 Uhr

Dr. Dietich Spitzner

Sir Rattle

Ich bin schon erstaunt, daß ein so großer Dirigent nach Jahrzehnten die Deutschland nicht in der Lage ist, ein Interview in Deutsch zu führen. Deutsch war mal bei Musikern die lingua franca, und hat nicht Sprache auch was mit Musik zu tun? Oder verachtet er etwa Deutsch?

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