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Nach Machtübernahme der Taliban in Afghanistan Was wird jetzt aus dem Afghanischen Musik-Erbe?

Seit Herbst 2014 helfen Weimarer Wissenschaftler vom Music Research Center dabei, den jahrhundertealten afghanischen Musikschatz zu konservieren. Wie es damit nach den jüngsten Entwicklungen in Afghanistan weitergehen soll? Die Aussichten sind besorgniserregend. Denn für die an die Macht zurückgekehrten Taliban ist Musik eine Sünde.

Zwei Musikerinnen eines afghanischen Ensembles spielen die traditionellen Instrumente Sitar and Sarod, Aufnahme 2013 | Bildquelle: picture alliance / AP Images | Manuel Balce Ceneta

Bildquelle: picture alliance / AP Images | Manuel Balce Ceneta

Der Besitz und das Spielen von Musikinstrumenten hatten die Taliban 1996 in Afghanistan schon einmal verboten. Denn für sie ist Musik sündhaft und nicht mit dem islamischen Glauben vereinbar. Die Folge damals: zerstörte Musikarchive und verfolgte Musikerinnen und Musiker.

Der afghanische Musikschatz sollte digital überleben

Tiago de Oliveira Pinto, Professor für "Transcultural Music Studies" an der Musikhochschule in Weimar | Bildquelle: picture alliance / ZB | Alexander Burzik Tiago de Oliveira Pinto vom UNESCO-Lehrstuhl für Transkulturelle Musikforschung in Weimar | Bildquelle: picture alliance / ZB | Alexander Burzik Ein Teil des afghanischen musikalischen Erbes ist während des Taliban-Regimes von 1996 bis 2001 bereits verlorengegangen. Rund 30.000 analoge Aufnahmen überlebten im Rundfunkarchiv in Kabul, auch Musikaufzeichnungen, die bis in die 1950-er Jahre zurückgehen. Geprägt ist die afghanische Musik von indischen, pakistanischen und persischen Einflüssen. Dass dieser einzigartige Musikschatz nicht verschwindet und auch für künftige Generationen erhalten bleibt, darum hat sich seit knapp acht Jahren ein deutsch-afghanisches Projekt bemüht: das Afghanistan Music Research Center, das an der Weimarer Musikhochschule beheimatet ist. Ein wichtiger Teil der Arbeit bestand darin, die wertvollen Aufnahmen aus dem Archiv in Kabul zu digitalisieren.

Wir sind in Europa das Zentrum, das am umfassendsten traditionelle afghanische Musik dokumentiert hat.
Tiago de Oliveira Pinto vom UNESCO-Lehrstuhl für Transkulturelle Musikforschung in Weimar

Im Weimarer Institut schätzt man die jetzige Lage als verheerend ein. Und niemand von den am Projekt beteiligten Wissenschaftlern weiß, wie es weitergeht. An die verhalten versöhnlichen Signale der aktuellen Machthaber glaube eigentlich niemand, vor allem nicht die afghanischen Partner vor Ort, sagt Projekt-Gründer Tiago de Oliveira Pinto im BR-KLASSIK-Interview. Völlig unklar ist auch, was passiert, wenn die Taliban das Musik-Archiv entdecken. Und Pinto bezweifelt eben, dass das in Kabul aufbewahrte digitale Material wirklich sicher ist: "Die Backups auf externen Festplatten – das sind physische Objekte, die die Taliban, die mit Musikkultur nichts zu tun haben, natürlich als erstes zerstören."

Es droht der Verlust eines Teils der afghanischen kulturellen Identität

Die noch größere Sorge gilt momentan aber den bedrohten Musikerinnen und Musikern im Land. Der Musikwissenschaftler Tiago de Oliveira Pinto setzt Hoffnungen in die Anfang der Woche von Bundesaußenminister Maas in Aussicht gestellte Hilfe auch für Kulturschaffende in Afghanistan. Doch die Stimmung vor Ort sei doch sehr wenig optimistisch: "Die Afghanen, mit denen wir zu tun haben, sind doch sehr misstrauisch. Das, was gesichert werden kann, versuchen sie zu sichern." Wenn das nicht gelingt, wäre es ein riesig großer Verlust für das Land. Afghanistan würde, so Tiago de Oliveira Pinto, Belege seiner eigenen kulturellen Identität und seines kulturellen Profils unwiederbringlich verlieren. An erster Stelle stünden aber natürlich jetzt die Menschenleben.

Sendung: "Allegro" am 19. August 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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Samstag, 21.August, 12:08 Uhr

Hans L. Hirsch

Afghanische Aufnahmen

Carissimo Tiago, hoffentlich gelingt es Dir / Euch zu retten und zu helfen! Buona Fortuna! Hans L. Hirsch / Perugia

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