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Vesselina Kasarova über ihre Karriere "Dafür werde ich es immer bereuen"

In diesem Jahr singt die Mezzosopranistin Vesselina Kasarova beim Kissinger Sommer, als Artist in Residence. Im Interview mit BR-KLASSIK spricht Vesselina Kasarova sehr offen über die schönen Seiten ihres Berufes aber auch über die Entbehrungen.

Sängerin Vesselina Kasarova | Bildquelle: © Marco Borggreve

Bildquelle: © Marco Borggreve

BR-KLASSIK: Ich möchte mit einer Frage beginnen, die Ihnen in einem viel zitierten Interview 2007 von einer Kollegin von mir gestellt wurde: Würden Sie diesen Beruf noch einmal ergreifen? Wie lautet Ihre Antwort heute?

Vesselina Kasarova: Wenn man jung ist und etwas wirklich mit Leib und Seele machen will, dann überlegt man nicht lange. Ich habe das getan, große Chancen gehabt und mit tollen Musikern gearbeitet. Deshalb würde ich sagen: Ja, vielleicht würde ich diesen Weg wieder wählen, aber andererseits hätte ich nie gedacht, welchen Preis man dafür zahlt.

BR-KLASSIK: Was war das für ein Preis?

Vesselina Kasarova: Auf manche Dinge zu verzichten. Ich bin Mutter und es sind unzählige Male, die ich nicht zuhause war, als mein Sohn noch klein war und mich brauchte. Dafür werde ich es immer bereuen.

BR-KLASSIK: Da klingt viel Nachdenklichkeit mit.

Vesselina Kasarova: Ja, aber andererseits: Musik gibt mir so viel Kraft als Mensch - Gefühle, die ich nie erlebt hätte als jemand, der nichts mit Musik zu tun hat.

BR-KLASSIK: Übrigens, in dem Interview von 2007 haben Sie gesagt, dass Sie nicht glauben, diesen Beruf nochmal wählen zu wollen. Wörtlich sagten Sie, der professionelle Musikapparat selbst sei marode, und haben die Inkompetenz mancher Intendanten angeprangert. Mutige Worte, die man nicht sehr oft von Künstlern Ihres Ranges hört.

Vesselina Kasarova: Ich hoffe, dass ich all die Jahre nie arrogant war. Ich liebe eher die Bescheidenheit, ich liebe Bodenständigkeit, aber ich mag nicht, wenn ich irgendwelche einstudierten Phrasen rede und niemand glaubt mir.

Die Sänger haben zu mir gesagt: Vesselina, warum versuchst du nicht zu singen?
Vesselina Kasarova

BR-KLASSIK: Bei Ihnen sah zunächst alles nach einer Pianistinnenkarriere aus. Was war der entscheidende Anlass für Sie, Ihrer zweiten Berufung, dem Gesang, zu folgen?

Vesselina Kasarova bei den Salzburger Festspielen - "La Clemenza di Tito" 2006 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Vesselina Kasarova bei den Salzburger Festspielen 2006 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Vesselina Kasarova: Ich hatte als Pianistin manchmal die Gelegenheit, Sänger zu begleiten. Sie waren sehr empfindlich und sensibel. Mal hat der Schlaf gefehlt, mal hat der Raum akustisch nicht gepasst, mal brauchten sie mehr Wasser. Das hat mich sehr fasziniert. Ich habe aber auch immer schon gewusst, dass ich eine Stimme habe, manchmal habe ich sogar mitgesungen. Dann haben die Sänger zu mir gesagt: Vesselina, warum versuchst du nicht zu singen? Und letztendlich hat mich auch fasziniert, dass das Singen mit dem Schauspielen verbunden ist. Ich kann mich erinnern, als ich mit etwa 18 Jahren meinen Eltern erzählt habe, dass ich Opernsängerin werden möchte. Die waren sprachlos. Mein Vater hat mich immer unterstützt, der hat nicht viel überlegt - vielleicht weil er mich so gut kennt, denn ich habe von ihm meine Musikalität bekommen. Aber meine Mutter sagte sofort: Du weißt gar nicht, was das bedeutet.

Kissinger Sommer 2017

Vesselina Kasarova ist "Artist in Residence " beim diesjährigen Kissinger Sommer

Konzerte mit Vesselina Kasarova:
Montag, 24.06.2017 "Sommernächte" - Liederabend mit Iryna Krasnovska
Sonntag, 2.07.2017 "Liebe, Treue und Verrat" - Konzert mit dem Münchner Rundfunkorchester
Samstag, 15.07.2017 "Kleopatras Tod" - Konzert mit den Bamberger Symphoniker – Bayerische Staatsphilharmonie

BR-KLASSIK: Unmittelbar nach Beendigung Ihres Gesangstudiums sind Sie nach Zürich gegangen, wo Sie Ihr erstes Engagement außerhalb Bulgariens gleich ans Züricher Opernhaus führte. Hier beginnen zu können, ist eine große Möglichkeit für eine junge Sängerin. Aber das hieß auch, dass Sie Ihrer Heimat Bulgarien den Rücken kehrten. War 1989, wie Sie in Ihrer Biographie schreiben, also Ihr Schicksalsjahr?

Vesselina Kasarova: Absolut. Schon 1988 traf ich Herbert von Karajan und Luisa Lasser-Petrov, die immer noch eine Agentur in Frankfurt hat. Sie haben mir geholfen, in den Westen zu kommen. Für mich war es ein großer Schock als Mensch, als ich in die westliche Welt gekommen bin. Ich hatte erstens enormen Respekt, denn ich dachte, ich bin nicht gut genug auf meine Arbeit vorbereitet. Und zweitens die Lebensqualität: Ich bin in einem kommunistischen Land aufgewachsen und wir hatten nie das, was es hier gab. Heute empfinde ich das als großes Privileg, weil ich beide Welten kenne.

Ich hatte immer den Gedanken im Hinterkopf: Ich bin ersetzbar.
Vesselina Kasarova

BR-KLASSIK: Die Kehrseite einer Weltkarriere ist harte Arbeit, Disziplin und oftmals Einsamkeit. Wie haben Sie sich mit diesen Bedingungen arrangiert? Gab es Krisen?

Vesselina Kasarova: Ja, nach der Geburt meines Sohnes. Da kamen viele Fragen auf: Was willst du von dir? Wie willst du weiter leben? Ich habe meinen Beruf so sehr geliebt und ich liebe ihn immer noch. Jungen Sängern rate ich oft, nicht verbissen zu sein, sich nicht dauern zu sagen: Ich will eine große Karriere machen. Wenn man das will, erfüllt es sich oft nicht. Man sollte nie eifersüchtig sein auf Kollegen. Ich hatte immer den Gedanken im Hinterkopf: Ich bin ersetzbar.

BR-KLASSIK: Eine sehr demütige Einstellung.

Vesselina Kasarova: Für mich ist es eine sehr gesunde Einstellung, um mit dem Druck klarzukommen. Sie müssen sich vorstellen: Wenn wir eine Oper vorbereiten, dann sind wir immer auf den Beinen, es gibt ständige Wiederholungen, das ist wie Sport. Zudem wollte ich immer, dass die Regisseure kritisch mit mir sind, mir sagen, was sie wollen. Ich wollte, dass die Regisseure ernsthaft mit mir arbeiten, ohne auf meine Berühmtheit zu achten. Die Kommunikation mit Menschen ist sehr schwierig. Diplomatie, Verständnis, Intelligenz, Wille, Ästhetik, das alles sind wichtige Facetten der künstlerischen Arbeit. Ich habe mich, wenn ich das sagen darf, mit jedem Regisseur verstanden.

Die Fragen stellte Ursula Adamski-Störmer für BR-KLASSIK.

Sendung: "Meine Musik" am 17. Juni 2017, 11.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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