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Kritik - Alban Bergs "Wozzeck" in Frankfurt Zwischen Zärtlichkeit und Wahnsinn

Sie zählt zu den Schlüsselwerken des modernen Musiktheaters: Alban Bergs Oper "Wozzeck". In Christof Loys Inszenierung für die Oper Frankfurt hält die Psychoanalyse Einzug auf der Bühne: Der Soldat Wozzeck, der im Affekt seine Geliebte Marie umbringt, handelt weder schuldig noch ist er Opfer der ihn umgebenden Gesellschaft, sondern getrieben von seiner kranken Seele - so Loys Interpretation. Andreas Bomba war für BR-KLASSIK bei der Premiere dabei.

Szenenbild aus "Wozzeck" von Alban Berg an der Oper Frankfurt | Bildquelle: © Monika Rittershaus

Bildquelle: © Monika Rittershaus

Premierenkritik

Alban Bergs "Wozzeck" an der Oper Frankfurt

Wozzeck! Das klingt zackig, schneidig, militärisch. Wozzeck! Hätte Karl Emil Franzos, als er 1879 die Fragmente von Georg Büchners Drama "Woyzeck" vollendete und herausgab, sich nicht verlesen, wäre Alban Bergs Oper um diese Pointe ärmer gewesen. Wozzeck! Immer wieder skandieren der Hauptmann und der Doktor den Namen ihres Delinquenten, zynisch, sarkastisch. Christoph Loy schärft den Charakter aller Personen dieser 1925 uraufgeführten Oper ungemein. Die zwanziger Jahre waren schließlich eine Zeit schonungsloser Klarheit, in der die Vorhänge aufgerissen wurden, Masken und Tabus fielen, die menschlichen Seelen ihre Geheimisse preisgaben. Wie im Wartezimmer eines Analytikers sieht es manchmal aus in dem betongrauen Kasten, den Herbert Murauer auf die Bühne stellt. Manchmal ist dieser Kasten in drei Räume mit hohen Durchgängen abgeteilt, manchmal nach hinten offen, manchmal rahmenhaft für lebende Bilder, die von George Grosz oder Otto Dix stammen könnten. Oder, beim Mord an Marie, aus einem Scherenschnittfilm von Lotte Reininger.

Bilder von der Inszenierung

Zwischen Zärtlichkeit und Wahnsinn

Judith Weihrauchs Kostüme stecken diese Gesellschaft in zeitlos kleinbürgerliche Biederkeit. Den von Peter Bronder gesungenen Hauptmann ebenso wie Alfred Reiters Doktor, oder den Tambourmajor, den der aus Nürnberg neuverpflichtete Vincent Wolfsteiner singt. Nur Wozzeck nicht, und auch Marie nicht, eine von Claudia Mahnke zwischen Zärtlichkeit und Wahnsinn ausgebreitete Figur.

Schrill und grell wie die Gesellschaft

Wozzeck selbst - in Jeans und orangefarbenem T-Shirt - ist, anders als sonst, kein Opfer seiner Umgebung. Er ist krank, das macht er von Anfang an deutlich. Man hat Mitleid mit ihm - so, wie ihn Audun Iversen singt und spielt. Lieben will er und kann es nicht. "Ich muss fort", sagt er immer wieder - aber wohin? Seine Visionen weisen in eine Welt voller Harmonie und Menschlichkeit - wie sie sich alle, die nur spotten und krakeelen und gefangen sind in ihren Posen, eigentlich wünschen. Hier trifft sich Christof Loys Sicht auf die Oper mit Alban Bergs Musik. Sie ist schrill und grell wie die Gesellschaft, noch forciert durch das von Sebastian Weigle aufgepeitschte Orchester. Ihre Formen orientieren sich jedoch an strengen Mustern: Suite, Sonate, Inventionen, Rondos und Fugen geben, klanglich aufgefächert, den Abgründen der Seelen Halt und Struktur. Das ist an diesem Abend eindringlich zu verfolgen. Dann gibt es noch den Narren, eigentlich eine völlig nebensächliche Figur. Bei Christof Loy ist er unablässig den Menschen nahe, verfolgt sie auf Schritt und Tritt. Zum Schluss schlüpft er in die Rolle des nun verwaisten Knaben. Das Kind ist erwachsen - und damit, wir haben’s befürchtet, der Gegenwart näher gekommen!

Weitere Vorstellungen

Alban Berg: "Wozzeck"
Oper Frankfurt
Inszenierung: Christof Loy
Musikalische Leitung: Sebastian Weigle

Donnerstag, 30. Juni 2016, 19:30 Uhr
Samstag, 02. Juli 2016, 19:30 Uhr
Mittwoch, 06. Juli 2016, 19:30 Uhr
Samstag, 09. Juli 2016, 19:30 Uhr
Mittwoch, 13. Juli 2016, 19:30 Uhr

TV-Übertragung auf 3sat am Samstag 16. Juli, 20.15 Uhr

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