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Yehudi Menuhin zum 100. Geburtstag Legendäres Konzert im KZ wiederaufgeführt

Am 27. Juli 1945 gab der Weltgeiger Yehudi Menuhin im Konzentrationslager von Bergen-Belsen ein legendäres Konzert für die Überlebenden. Jetzt haben zwei junge Künstler in der KZ-Gedenkstätte das gleiche Konzertprogramm aufgeführt wie einst Menuhin - der damals übrigens nicht nur Applaus erntete.

Der weltberühmte Geiger Yehudi Menuhin während eines Konzerts gemeinsam mit dem erweiterten Zürcher Kammerorchester 1963. | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Es ist wenige Monate nach Kriegsende. Der berühmte Geiger Yehudi Menuhin gibt zusammen mit dem Pianisten und Komponisten Benjamin Britten am 27. Juli 1945 ein Konzert im Roundhouse, dem Zentrum des damaligen Camps für sogenannte "Displaced Persons" in Bergen-Belsen. Sie spielen für die Überlebenden unter anderem Werke von Bach, Beethoven und Debussy. Ein Lichtblick für die Menschen, die nur knapp dem Tod im Konzentrationslager entkommen waren - sollte man zumindest meinen.

Menuhin und Britten - ein einmaliges Duo

Benjamin Britten, 1948 | Bildquelle: www.bbc.co.uk Benjamin Britten war zu dem Zeitpunkt des Konzerts noch kaum bekannt. Durch seine Freundschaft mit Yehudi Menuhin sollte sich das ändern. | Bildquelle: www.bbc.co.uk Es ist der Beginn der Zusammenarbeit des damals noch relativ wenig bekannten Benjamin Britten am Klavier mit dem schon bekannteren Geiger. Wer die Idee für die Konzertreihe durch mehrere Konzentrationslager Europas hatte, ist nicht mehr eindeutig zu klären. Das Konzept dahinter ist hingegen klar. "Es ging darum, eine musikalische Form der Zuwendung zu geben", erklärt Thomas Rahe, der wissenschaftliche Leiter der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Man habe den Überlebenden der NS-Verfolgung das Gefühl geben wollen, sie seien wieder komplette Menschen - mit einem breiten Spektrum an Interessen, zu dem eben auch Kultur gehört. "Es war ein Stückchen Rehabilitation, wenn man so will, wenige Wochen nach der Befreiung", so Rahe.

Unerwartete Kritik vom Publikum

Unruhig verfolgen die ehemaligen Lagerinsassen das Konzert, erinnert sich Yehudi Menuhuin später. Viele von ihnen sind traumatisiert. Klassische Musik - live gespielt - haben sie lange nicht gehört. Eine Lagerkapelle hatte es in Bergen-Belsen nicht gegeben. Allerdings stören sie sich daran, dass die Musiker nicht im Frack, sondern in Hemd und kurzen Hosen auftreten. Es ist nicht die einzige Kritik am Konzert. Es gab im Programm eine Reihe von Stücken von Bach und Beethoven, also von deutschen Komponisten. "Da hatten viele von den osteuropäischen Juden mittlerweile Vorbehalte", erzählt Thomas Rahe. Die Frage lautete, warum nichts Jüdisches gespielt würde.

Begegnung mit dem Holocaust

Menuhin, der selbst jüdischen Wurzeln hatte, wurde bei seinen Konzerten in den Konzentrationslagern 1945 erstmals intensiv mit dem extremen Leid dieser Menschen konfrontiert - auch wenn er das Ausmaß dessen damals noch nicht so stark wahrgenommen hatte. Menuhin selbst war in Amerika aufgewachsen und zum Zeitpunkt des Konzerts 29 Jahre alt. Ein halbes Jahrhundert später reiste der Geiger erneut nach Bergen-Belsen. Bei diesem Besuch bemerkte Menuhin, dass es ihm damals nicht wirklich so deutlich gewesen sei, in welchem Zustand sich die Leute eigentlich befunden hätten - körperlich, mental und psychisch. Was Menuhin hingegen besonders beeindruckt habe, sei ein kleiner Roma-Junge von etwa vier Jahre gewesen, erzählt Thomas Rahe. "Vielleicht wegen seiner Schönheit, vielleicht, weil die Geige das Instrument der Sinti und Roma ist", vermutet Rahe. Vielleicht habe Menuhin aber auch die Elternlosigkeit des Jungen angerührt, so Rahe weiter.

Vorbildlich: Solidarität mit den Heimatlosen

Worum ging es dem großen Geiger bei diesem Konzert? Verfolgte er nur den humanitären Aspekt? Oder ging es ihm auch darum, sich solidarisch zu zeigen mit den Heimatlosen, die von der deutschen Bevölkerung damals abgelehnt wurden? Das zumindest vermutet Jens-Christian Wagner, Leiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten: "Hier gibt es durchaus Aktualitätsbezüge zur heutigen Situation", so Wagner. "Auch heute leben in Deutschland eine große Zahl sogenannter heimatloser Ausländer: Flüchtlinge, Vertriebene, Kriegsopfer. Wenn wir darauf gucken, mit welchem humanitären und politischen Auftrag Yehudi Menuhin seinen Auftritt hier selbst versehen hat, dann hat das natürlich auch eine Vorbildfunktion für heutige Zeiten."

Gedenkkonzert 100 Jahre Yeduhi Menuhin in Bergen Belsen - Pianistin Inna Firsova und Geiger Aleksey Semenenko mit Menuhins Tochter Zamira Menuhin-Benthall und deren Mann im Gespräch. | Bildquelle: © Martin Bein Pianistin Inna Firsova und Geiger Aleksey Semenenko mit Menuhins Tochter Zamira Menuhin-Benthall und deren Mann im Gespräch. | Bildquelle: © Martin Bein Anlässlich des 100. Geburtstags, den Menuhin in diesem Jahr gefeiert hätte, fand am 28. August 2016 nun in der Gedenkstätte von Bergen-Belsen ein Konzert statt, das an den Auftritt von Yehudi Menuhin und Benjamin Britten vor 71 Jahren erinnern sollte. Der ukrainische Geiger Alexey Semenenko und die russische Pianistin Inna Firsova spielten in Anwesenheit von Menuhins Tochter Teile des Konzertprogramms von damals.

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