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Zubin Mehta zum 85. Geburtstag Immer Courage beweisen

Kann ein Dirigent Autorität ausstrahlen – und gleichzeitig liebenswürdig sein? Seit Jahrzehnten macht es Zubin Mehta vor. Bereits mit 16 Jahren hat Mehta das Bombay Symphony Orchestra dirigiert. Und als einer der Jüngsten, die je am Pult von Weltklasse-Orchestern standen, gab Mehta zwischen seinem 24. und 30. Lebensjahr Debüts bei Institutionen, nach denen sich andere in diesem Alter die Finger lecken würden: von Montreal bis Mailand. Am 29. April feiert der Weltstar seinen 85. Geburtstag.

Was für ein Moment! Gustav Mahlers "Auferstehungs-Symphonie", zum Gedenken an den verstorbenen Mariss Jansons, dirigiert von dessen Freund Zubin Mehta. Am 15. Januar 2020 war das, in der Münchner Philharmonie. Mit spärlichster Zeichengebung führte Mehta, der alte Könner, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks souverän durch das Riesenwerk. Nach erfolgreichen Tumorbehandlungen hat er erst diesen Januar einen neuen Rekord aufgestellt: Innerhalb einer Woche gab Mehta Corona-Konzerte mit seinen drei Münchner Orchestern: dem BRSO, den Münchner Philharmonikern und dem Bayerischen Staatsorchester. Mehrfach wurde ihm der Titel "Ehrendirigent" verliehen.

Münchner Jahre: "Mit größter Demut"

Dirigent Zubin Mehta | Bildquelle: © Marco Brescia La Scala Zubin Mehta | Bildquelle: © Marco Brescia La Scala Acht Jahre lang, von 1998 bis 2006, hat Zubin Mehta die Bayerische Staatsoper als Generalmusikdirektor geprägt, Sir Peter Jonas hatte ihn ans Haus geholt. In München dirigierte Mehta ein breites Repertoire von Mozart bis Reimann, vor allem seine Verdi- und Wagner-Aufführungen begeisterten. Aber nicht nur sein Temperament und sein Charme machten ihn zum Publikumsliebling – auch seine Bescheidenheit. Zubin Mehta ist eben nicht nur ein Pultstar, sondern auch ein Menschenfreund. Sein Orchester wusste das gleichfalls zu schätzen.
Im Rückblick meinte Mehta: "Mit größter Demut muss ich sagen, dass ich besonders in den Aufführungen von Wagners 'Ring des Nibelungen' hier in München von den Musikerinnen und Musikern sehr viel gelernt habe." Natürlich habe er auch intensiv geprobt. Aber entscheidend sei gewesen, "was nicht geprobt war, was die Musiker von selbst oder von ihrer Tradition mitbrachten. In bestimmten Szenen habe ich erlebt, dass manches so gar nicht in den Noten stand – was wir aber natürlich alle gemacht haben. Das habe ich hier gelernt, und dafür bin ich sehr dankbar."

Erweckungserlebnis in Wien

Geboren ist Zubin Mehta 1936 in Bombay, dem heutigen Mumbai, in eine Musikerfamilie, die der Minderheit der Parsen angehörte. Dank der riesigen Plattensammlung seines Vaters macht er sich schon früh mit der klassisch-romantischen Symphonik vertraut – aber das eigentliche Erweckungserlebnis kommt 1954, als Mehta zum Musikstudium nach Wien geht, in die legendäre Klasse des Dirigentenlehrers Hans Swarowsky. Die Musik der Zweiten Wiener Schule um Schönberg steht ihm seither nahe. Und damals hört er auch gleich die Wiener Philharmoniker zum ersten Mal live.

Das bleibt für mich heute der ideale Klang.
Zubin Mehta über den Klang der Wiener Philharmoniker

Wiener Klang – nach Amerika exportiert

Zubin Mehta dirigiert das Neujahrskonzert 2015 mit den Wiener Philharmonikern | Bildquelle: picture-alliance/dpa Zubin Mehta dirigiert das Neujahrskonzert 2015 mit den Wiener Philharmonikern | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Das war für mich die große Klangrevolution, denn ich hatte vorher noch nie ein richtiges Symphonieorchester gehört", erzählt Mehta. "Meine erste Begegnung damit fand statt, als mich mein Kontrabass-Professor – er war Solo-Bassist der Wiener Philharmoniker – in eine Probe mitgenommen hat, in der Karl Böhm die Erste Symphonie von Brahms probte. Und ich konnte nicht glauben, was ich da gehört hatte." Der Klang dieses Orchesters habe ihn umgehauen. "Das bleibt für mich heute der ideale Klang im besten Konzertsaal der Welt, dem Goldenen Saal im Wiener Musikverein. Und diesen Klang habe ich dann in Amerika geprägt und versucht nachzumachen. Das war eben der einzige Klang, den ich kannte. Ich habe nach meiner Geburt achtzehn Jahre warten müssen – und dann erst hab' ich was Richtiges gehört!"

Pultstar mit Charisma

Das ist lange her. Inzwischen hat Zubin Mehta das Wiener Neujahrskonzert schon fünf Mal selbst dirigiert. Überhaupt war Mehta populären Events mit Glamour-Faktor nie abgeneigt. Da waren seine massentauglichen Auftritte mit den Drei Tenören bei Fußball-Weltmeisterschaften. Oder seine Opernproduktionen fürs Fernsehen, an Originalschauplätzen gedreht wie "Tosca" in Rom, "La Traviata" in Paris und – besonders spektakulär – "Turandot" in der Verbotenen Stadt Pekings. Und natürlich kam der Pultstar mit seinem Charisma auch in den USA bestens an, als er für drei Jahrzehnte die Leitung der Toporchester in Los Angeles und New York übernahm. Und dabei seine langjährige Zusammenarbeit mit den Berliner und den Wiener Philharmonikern nicht vernachlässigte. Ab 1985 kam noch für über dreißig Jahre die Leitung des Opernfestivals Maggio Musicale in Florenz dazu.

Humanitäres und politisches Engagement

In seiner glanzvollen Karriere hat Mehta auch immer Courage bewiesen. Zum Beispiel mit seinem sozialen, humanitären und politischen Engagement für Sarajevo, Fukushima oder Kaschmir. Zwar ist auch Mehta lange vor seinem Freund Daniel Barenboim an dem Tabu gescheitert, Wagner in Israel aufzuführen. Aber schon im Sechstagekrieg stand Mehta seinen Musikern vom Israel Philharmonic Orchestra tatkräftig zur Seite.

Chefdirigent auf Lebenszeit in Israel

"Das wurde 1967 natürlich besonders kritisch", erinnert er sich. "Aber das war damals ein anderes Israel. Ein Israel, das von über fünfzig Millionen Menschen umzingelt war, die das Land einfach auslöschen wollten. Und in so einer Situation schlägt das Herz natürlich für so ein bedrohtes Volk, das seine Nation sowieso schon aus der Not gegründet hatte. Damals war jedem klar, dass die Menschen Musik brauchten wie das tägliche Brot. Die Israelis können ohne Musik nicht leben." Für seinen unermüdlichen Einsatz, seine Aufbauarbeit und seine Treue hat ihn das Israel Philharmonic Orchestra schon 1981 zum Chefdirigenten auf Lebenszeit ernannt. Auf Zubin Mehta kann man sich eben verlassen.

Sendung: "Allegro" am 29. April 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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